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Turock starrte ihn an. Er sagte nichts. Und nach einer Weile drehte sich Kim wieder zu Themistokles herum und sagte: »Lass ihn gehen.«

Für einen endlosen, quälenden Augenblick schwieg auch Themistokles und starrte ihn auf eine Art an, die ihm beinahe Angst machte.

Doch dann nickte er. »So sei es. Geht, Turock. Die Welt ist groß genug für Euch und uns. Aber kehrt nicht zurück, bevor Ihr nicht gelernt habt, dass man Freundschaft und Vertrauen nur mit der Wahrheit erringen kann.«

Turock blickte ihn noch einen Moment lang eindringlich an, aber er sagte nichts mehr. Nach zwei oder drei Sekunden drehte er sich auf dem Absatz herum und verließ das Zelt. Der Pack wimmerte leise, folgte ihm aber nicht.

Kai starrte ihm mit finsterem Gesicht hinterher. »Das war ein schwerer Fehler«, murmelte er.

Kim schüttelte den Kopf. »Man kann nicht jedes Problem mit Gewalt lösen«, sagte er. »So wenig wie ihr euer Problem mit Gewalt lösen könnt.«

»Das ist -«, begann Kai, aber Kim sprach rasch und mit leicht erhobener Stimme weiter:

»Denkt nicht etwa, dass eure Probleme dort, wo ich herkomme, nicht auch bekannt wären. Alt und Jung streiten miteinander, solange die Welt besteht! Ihr solltet einsehen, dass ihr nur gemeinsam überleben könnt.« Er deutete auf Wolf, fuhr aber an Kai gewandt fort: »Du glaubst, er wäre starrsinnig und unbelehrbar, nur weil er alt ist? Auch er war einmal jung. Denkst du, er hätte sich so geändert, nur weil er älter geworden ist? Und du, Wolf! Denkst du, er wäre dumm und alles, was er sagt, falsch, nur weil er jünger ist als du?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Ihr braucht euch gegenseitig, ihr Narren! Die einen die Erfahrung und das Wissen der Alten und die anderen die Kraft und die Neugier der Jungen!«

»Worte!«, sagte Kai verächtlich. Das hieß - er wollte verächtlich klingen, aber eigentlich hörte er sich nur ziemlich verunsichert an.

Auch Wolf sah sehr nachdenklich drein, fast verwirrt.

»Es ist gut für jetzt«, sagte Themistokles. »Wir sind alle müde. Es war ein anstrengender Tag. Lasst uns ruhen und das Gespräch morgen fortsetzen. Kim und ich haben noch etwas zu erledigen.«

Kim hatte erwartet, dass Kai und Wolf nun gingen, doch stattdessen wandte sich Themistokles zum Ausgang und verließ das Zelt, sodass Kim ihm folgen musste. Der Pack trippelte hinter ihnen her, hielt aber einen gehörigen Abstand ein und mied auch weiter Kims Blick.

Nach einer Weile kam Twix herbeigeflogen und landete unsicher auf Kims Schulter. Sie war vollkommen erschöpft und zitterte am ganzen Leib. Kim hatte sie während des gesamten Tages nur zwei- oder dreimal gesehen. Die Elfe hatte mit ihrem heilenden Staub geholfen, wo sie nur konnte, aber auch ihre Kräfte waren begrenzt. Sie hatte sich kaum auf Kims Schulter niedergelassen und sich nach seinem Wohlbefinden erkundigt, da sank sie auch schon gegen seinen Hals und war eingeschlafen.

»Wohin gehen wir?«, fragte Kim, nachdem er Themistokles eingeholt hatte.

»Nur ein Stück.« Themistokles deutete zum Ende des Zeltlagers und den Hügel hinauf, auf dem noch am Morgen die Dampfkanonen der Zwerge gestanden hatten. »Es wird Zeit, einen guten Freund zu verabschieden. Ich dachte mir, dass du dabei sein möchtest.«

»Sturm?«

»Seine Eltern sind gekommen«, nickte Themistokles. »Sie wollen ihn nach Hause holen.«

»Ich hoffe, du bist nicht zu streng zu ihm gewesen«, sagte Kim.

»Zu streng? Aber warum ...?« Themistokles schüttelte lachend den Kopf. »Oh, ich verstehe. Du redest von seinem vermeintlichen Ungeschick am Ende der Welt?«

»Vermeintlich?« Kim blieb stehen.

Themistokles drehte sich zu ihm herum. Ein gutmütiges Lächeln erschien in seinen Augen. »Ich gestehe, dass ich zu einem kleinen ... Trick gegriffen habe«, sagte er. »Ich war es, der dafür gesorgt hat, dass ihm die Kugel entglitt und in den Abgrund fiel.«

»Und du hast ihn auch glauben lassen, dass es die echte Zauberkugel war?«, fragte Kim. Er griff in die Tasche und zog die Glaskugel hervor. »Nicht dieses ... Spielzeug.«

»Es war die echte Zauberkugel«, sagte Themistokles.

Kim blinzelte. »Wie?«

»Turock ist der Meister der Lüge, nicht ich«, antwortete Themistokles. »Ich musste ein einziges Mal zu einer List greifen und ich habe mich nicht wohl dabei gefühlt. Alles andere ist wahr.«

»Dann ... hast du deine Zauberkraft wirklich aufgegeben?«, fragte Kim fassungslos.

»Oh, nicht alles. Einen kleinen Rest habe ich behalten. Für den Hausgebrauch, sozusagen.« Themistokles streckte die Hand aus und plötzlich erschien eine schimmernde Lichtkugel über seiner Handfläche, die gleich darauf zu einem wunderschönen Schmetterling wurde, der zweimal mit den Flügeln schlug und dann davonflatterte.

Kim blickte ihm nicht einmal nach. »Aber warum nur?«

Plötzlich wurde Themistokles sehr ernst. Auch die geringste Spur des Lächelns war aus seinen Augen verschwunden. »Damit sich so etwas wie heute niemals mehr wiederholt«, sagte er. »Magie bedeutet eine große Macht, Kim. Aber auch große Verantwortung. Sie ist ein Segen für die Menschen, doch in den falschen Händen vermag sie auch unermesslichen Schaden anzurichten. Nie wieder soll jemand in die Versuchung geraten, diese Macht an sich zu reißen. Deshalb habe ich entschieden, dass die Macht der Fantasie nicht mehr an diesem Ort aufbewahrt werden soll.«

»Aber ... aber ohne die Magie ist Märchenmond verloren!«, stammelte Kim. »Es ist eine magische Welt! Sie braucht den Zauber um zu existieren!«

Themistokles lächelte. »Oh, keine Sorge«, sagte er. »Die Magie ist noch da.«

»Und wo?«

»Am sichersten Ort des Universums«, antwortete Themistokles geheimnisvoll, und allein die Art, wie er das sagte, machte Kim klar, dass er keine genauere Auskunft von ihm bekommen würde, ganz egal, wie nachhaltig er es auch versuchte.

Als sie weitergehen wollten, hörte Kim ein leises Wimmern hinter sich und drehte sich noch einmal um. Der Pack war in drei oder vier Metern Abstand stehen geblieben und sah fast bettelnd zu ihm hoch, wagte es aber nicht, sich ihm weiter zu nähern.

»Du darfst ihm nicht böse sein«, sagte Themistokles. »Er konnte nicht anders, weißt du? Er wurde dazu geschaffen, seinem Herrn zu gehorchen.«

»Böse?« Kim schüttelte den Kopf. »Ich bin ihm nicht böse.« Er streckte die Hand aus und der Pack kreischte vor Freude und sprang ihm mit solchem Ungestüm auf die Arme, dass er um ein Haar sein Gleichgewicht verloren hätte und die Elfe von seiner Schulter fiel.

Während er lachend um seine Balance kämpfte und sich Twix schimpfend im Gras aufrichtete, schüttelte Themistokles nur den Kopf und betrachtete die Szene aus Augen, in denen ein gutmütiger Spott funkelte.

Nebeneinander gingen sie weiter den Hügel hinauf. Das Zeltlager und das Schlachtfeld des vergangenen Morgens fielen langsam hinter ihnen zurück und erneut ergriff ein sehr sonderbares Gefühl Besitz von Kim. Er konnte es nicht richtig in Worte fassen, aber es war, als ... fehle noch etwas. Themistokles hatte ihm noch nicht alles gesagt.

Er stellte jedoch keine Frage, sondern fasste sich in Geduld. Es gab keinen Grund mehr zur Eile. Nun, wo Turock besiegt und das Heer der Zwerge abgezogen war, hatten sie alle Zeit der Welt. Kim wusste ja aus Erfahrung, dass er so lange hier bleiben konnte, wie er wollte, ohne dass in der Welt, aus der er kam, auch nur mehr als eine einzige Sekunde verging.

Twix landete wieder auf seiner Schulter und sie marschierten schweigend den Hügel hinauf, wo Sturm und seine sonderbaren Eltern bereits auf sie warteten. Kim fiel auf, dass alle drei zwar lächelten, als sie ihn erblickten, aber irgendwie ... niedergeschlagen wirkten; als bedrücke sie etwas, was sie sich nicht anmerken lassen wollten.