Als er weiterreiten wollte, sprang der Pack aus einem Gebüsch am Straßenrand und vertrat ihm den Weg. Er schnatterte aufgeregt und fuchtelte mit beiden Armen wild in der Luft herum.
»Nein«, sagte Kim. »Bitte nicht. Ich habe jetzt wirklich keine Lust auf deine Späße.«
Er ließ das Pferd wieder antraben, aber der Pack ging ihm nicht aus dem Weg, sondern schnatterte nur noch aufgeregter und versuchte sogar nach den Zügeln zu greifen. Das Pferd biss nach ihm und der haarige Gnom zog seine Hand hastig zurück und klammerte sich stattdessen an Kims Steigbügel. Kim konnte sich gerade noch beherrschen um ihn nicht mit einem derben Tritt davonzuschleudern. Aber seine Geduld mit dem aufdringlichen Geschöpf neigte sich nun wirklich dem Ende zu. Ohne das immer lauter werdende Keifen und Lamentieren des Pack zu beachten, ritt er weiter, stieg vor dem Geländer aus dem Sattel und band das Pferd neben den drei anderen Tieren fest. Der Pack gab immer noch keine Ruhe, zerrte an seinem Arm und versuchte schließlich sogar sich an seine Beine zu klammern. Kim ignorierte ihn, so gut es ging, schüttelte ihn schließlich mit schon deutlich mehr als nur sanfter Gewalt ab und betrat das Gebäude.
Wie er erwartet hatte, handelte es sich um ein Gasthaus. Die Wirtsstube war klein und sehr dunkel, denn sie hatte nur ein einziges, noch dazu hoffnungslos verschmutztes Fenster. Die Einrichtung bestand aus einem halben Dutzend schäbiger Tische und Stühle und einem großen Brett, das über einige Fässer gelegt war und wohl die Theke darstellen sollte. Vier oder fünf ziemlich abenteuerlich aussehende Gestalten lungerten an den Tischen herum und tranken und auch der Wirt, der hinter seiner verschrammten Theke stand, machte keinen sehr viel Vertrauen erweckenden Eindruck.
Als Kim den Raum betrat, geschah etwas Sonderbares: Alle Gespräche verstummten schlagartig. Die Blicke der wenigen Gäste richteten sich auf ihn und auch er erstarrte mitten in der Bewegung, die er gerade ausführte. Für die allererste Sekunde wäre ihm diese Reaktion vielleicht sogar noch halbwegs normal vorgekommen. Wenn jemand ein Gasthaus betrat, dann sah man ganz automatisch hin und in einer Gegend wie dieser war ein fremdes Gesicht wahrscheinlich nicht gerade etwas Alltägliches.
Aber es blieb nicht bei dieser einen Sekunde und auch nicht bei einem Blick.
Kim blieb für die Dauer eines Herzschlages unter der Tür stehen um seinen Augen Gelegenheit zu geben, sich an das schwache Licht hier drinnen zu gewöhnen. Die Männer starrten ihn weiter an. Und der Ausdruck auf ihren Gesichtern war keineswegs nur Neugier. Auf einem Gesicht las er blankes Entsetzen und auch die anderen Männer sahen ihn alarmiert, misstrauisch oder erschrocken an.
Er schloss die Tür hinter sich, ging langsam zur Theke und versuchte dabei die brennenden Blicke der Männer in seinem Rücken zu ignorieren, so gut es ging.
Kim war ziemlich verwirrt, mahnte sich in Gedanken aber zur Vorsicht. Vielleicht war es nur eine Kleinigkeit. Vielleicht lag es nur an dem Bogen, den er sich über die Schulter gehängt hatte, oder an seiner Kleidung, der man die Anstrengungen der Reise mittlerweile mehr als deutlich ansah.
Der Wirt starrte ihn finster an. Er war ein sehr großer, grobschlächtiger Mann, der wahrscheinlich gar nicht freundlich dreinblicken konnte. Aber er erkundigte sich weder nach Kims Wünschen noch fragte er, wer er war und wo er herkam. »Guten Tag«, sagte Kim schließlich; nicht besonders geistreich, zugleich aber das Einzige, was ihm einfiel.
Der Wirt starrte ihn weiter an und machte eine Bewegung, die man mit sehr viel gutem Willen als Nicken auslegen konnte. Kim hörte Geräusche hinter sich, Stühlescharren und Schritte. Er widerstand der Versuchung, sich herumzudrehen, aber er spürte, dass einige der Gäste aufgestanden waren und sich ihm näherten. Vielleicht alle. Gefahr lag plötzlich wie etwas Greifbares in der Luft.
»Ich hätte gerne etwas zu trinken«, sagte Kim. »Einen Saft. Oder auch Wasser.« Als der Wirt nicht reagierte, griff er in die Tasche und zog eine der Münzen hervor, die er in dem leer stehenden Haus gefunden hatte. Er konnte spüren, wie die Männer näher kamen. Noch immer sagte keiner von ihnen ein Wort.
Der Wirt starrte die Münze an, als hätte Kim ihm irgendein ekeliges Insekt auf die Theke gelegt. Er rührte sie nicht an, zuckte aber nach einem Moment mit den Schultern und knallte einen Krug mit Bier auf die Theke, dass der Schaum spritzte.
»Ein Krug Apfelsaft wäre mir lieber«, sagte Kim kopfschüttelnd. »Oder auch Wasser, wenn Sie nichts anderes haben.« Er kannte die Art Bier, die in den Gasthäusern dieses Landes ausgeschenkt wurde. Das Zeug war sehr viel stärker als normales Bier und er hatte keine Lust, nach dem zweiten Schluck aus den Stiefeln zu kippen.
Jetzt hätte er eigentlich eine spöttische Antwort oder wenigstens ein herablassendes Grinsen erwartet, aber der Wirt griff nur schweigend nach dem Krug, stellte ihn beiseite und verschwand dann immer noch wortlos in einem Nebenzimmer.
Kim drehte sich nun doch herum und stellte ohne sonderliche Überraschung fest, dass nicht nur einige, sondern sämtliche Gäste von ihren Stühlen aufgestanden und hinter ihn getreten waren.
Auch aus der Nähe boten sie keinen sehr viel angenehmeren Anblick. Die Männer waren groß und kräftig. Viele hatten Narben und einer trug einen zerschrammten Brustpanzer, der früher einmal kunstvoll ziseliert gewesen sein mochte, jetzt aber nur noch aus Dellen und rostigen Flecken zu bestehen schien. Drei von ihnen waren mit Schwertern bewaffnet, die an ihren Gürteln hingen, und der mit dem Brustpanzer trug eine gewaltige Klinge auf dem Rücken.
Kim begann sich unter den Blicken der Männer so unwohl zu fühlen, dass er einfach nicht mehr still stehen konnte. Er hätte besser auf die Warnung des Pack gehört, aber nun war es zu spät.
»Was ist hier eigentlich los?«, fragte er in dem schwachen Versuch, einen Scherz zu machen. »Habt ihr alle ein Schweigegelübde abgelegt oder darf man hier nur von acht bis fünf reden?«
Er war nicht einmal sicher, ob die Männer seine Worte verstanden, denn sie antworteten nicht. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern zeigte weiterhin Erschrecken, Misstrauen und offene Feindseligkeit. Schließlich fragte der mit dem Zweihänder auf dem Rücken: »Was suchst du hier?«
»Ich habe Durst«, antwortete Kim wahrheitsgemäß. »Und ich suche ein Lager für die Nacht. Und jemanden, der mir den Weg erklären kann.«
»Welchen Weg?«, fragte der Krieger.
»Gorywynn«, antwortete Kim. »Ich bin auf der Suche nach Themistokles.«
Er spürte ganz deutlich, dass diese Antwort nicht klug gewesen war. Die Gesichter der Männer verfinsterten sich weiter. Nach einigen Augenblicken drehte sich einer von ihnen herum und verließ das Gasthaus und der Krieger fragte in scharfem Ton: »Was willst du in Gorywynn?«
»Wir suchen Themistokles«, wiederholte Kim, wurde aber sofort von dem Mann mit dem Zweihänder unterbrochen:
»Wir? Wer ist wir?«
»Ich«, verbesserte sich Kim. »Es war ein Versprecher, entschuldigen Sie bitte.« Vielleicht war es besser, wenn er nichts von dem Pack erzählte.
»Aber jetzt lasst mich ein paar Fragen stellen«, fuhr er fort. »Wieso seid ihr alle so ... misstrauisch? Was ist hier eigentlich los? Und warum tragt ihr alle Waffen?«
Der Krieger verzog abfällig die Lippen. »Was bist du, Bursche?«, fragte er. »Ganz besonders dumm oder ganz besonders dreist?«
Kim verstand nicht, was diese Antwort bedeutete, doch bevor er eine entsprechende Frage stellen konnte, ging die Tür auf und der Wirt kam zurück. Er hielt einen kleinen Tonkrug in der Hand, den er Kim reichte.
»Dein Traubensaft«, knurrte er unfreundlich.
»Trink«, fügte der Krieger hinzu. »Dann reden wir.«