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»Packt ihn!«, brüllte der Krieger immer wieder. »Wenn er entkommt, sind wir alle verloren!«

Plötzlich erscholl ein schrilles Pfeifen und in der nächsten Sekunde flogen die Reihen der Verfolger regelrecht auseinander. Ein schwarzer Hengst brach in gestrecktem Galopp durch die Menge. In seinem Sattel hockte ein haariger Kobold, der das Pferd mit schrillem Kreischen und derben Hackentritten antrieb.

Der Einzige, der sich dem schwarzen Hengst in den Weg stellte, war der Krieger. Er fuhr herum, hob sein gewaltiges Schwert und spreizte die Beine um festen Stand zu haben. Kim hätte beim besten Willen nicht sagen können, wer weiter flog - der Krieger in die eine oder sein Schwert in die andere Richtung.

Der Hengst raste heran. Kim streckte die Hand aus, hielt sich am Sattelknauf fest und schwang sich in vollem Lauf auf den Rücken des Tieres. Der Pack kreischte und fiel prompt auf der anderen Seite hinunter, klammerte sich aber blitzschnell am Schwanz des Pferdes fest und wurde auf diese Weise mitgeschleift; eine Fortbewegungsmethode, in der er ja bereits eine gewisse Übung hatte.

Kim galoppierte noch gute zwei- oder dreihundert Meter weiter, ehe er den Hengst etwas langsamer traben ließ und schließlich anhielt. Seine Verfolger hatten aufgegeben. Die Männer standen ratlos in kleinen Gruppen zusammen und starrten in seine Richtung, hatten aber wohl begriffen, dass sie mit dem Tempo des Pferdes nicht mithalten konnten. Der Krieger rappelte sich gerade benommen wieder auf, während sich zwei andere Männer mit seinem Schwert abschleppten.

Er stieg aus dem Sattel, lief rasch zwei Schritte zurück und bückte sich um den Pack aufzuheben, der am Ende einer frischen Furche dalag, die er mit seinem Gesicht in den Acker gegraben hatte.

»Bist du verletzt?«, fragte Kim erschrocken.

Das Wesen grunzte eine Antwort, die natürlich unverständlich blieb, spuckte einen Mund voll Erde aus und schlug mit spitzen Krallen nach Kim. Er reagierte einen Sekundenbruchteil zu spät. Auf seinem Handrücken blieben drei lange, blutige Kratzer zurück.

»Ja«, maulte Kim. »Du bist in Ordnung.«

Ein scharfes Zischen erklang und dann bohrte sich keine zwei Meter von ihnen entfernt ein Pfeil in den Boden. Der Pack sprang schimpfend auf die Füße und wollte davonlaufen, aber Kim hielt ihn blitzschnell am Arm zurück.

»Du brauchst nicht zu laufen«, sagte er. »Das Pferd kann uns beide tragen.«

Der Pack trat ihn wuchtig mit der Ferse auf die Zehen und Kim sprang zur Seite. Dann machte er einen weiteren, noch größeren Sprung, als ein zweiter Pfeil heranzischte und sich nur einen halben Schritt neben ihm in den Boden bohrte. Der Krieger hielt jetzt einen Bogen in den Händen und ganz offensichtlich wusste er auch mit dieser Waffe hervorragend umzugehen.

»Das reicht!«, sagte Kim. Ihm standen noch immer die Tränen in den Augen, so hart hatte ihm der Pack auf die Zehen getreten. Wütend raffte er den Pfeil auf, nahm den Bogen von der Schulter und schickte das Geschoss zu seinem Besitzer zurück. Er zielte nicht einmal richtig.

Trotzdem traf er.

Der Pfeil durchschlug den Brustharnisch des Kriegers mit einem hellen, metallischen Laut und warf den Mann hintenüber. Ein vielstimmiger, gellender Schrei erscholl und Kim ließ seinen Bogen sinken und starrte den gestürzten Krieger an. Der Mann bewegte sich. Wenigstens hatte er ihn nicht umgebracht, sondern nur verletzt.

Aber auch das hatte er nicht gewollt. Er hatte ja nicht einmal richtig gezielt! Es war, als hätte der Pfeil gewusst, wohin er fliegen sollte!

Zwei oder drei Männer hoben plötzlich wieder ihre Waffen und begannen in seine Richtung zu laufen. Sie waren zu weit entfernt um wirklich eine Gefahr darzustellen, aber er hatte trotzdem keine Zeit mehr zu verlieren.

Kim hängte sich den Bogen wieder über die Schulter, stieg in den Sattel und ritt davon.

Er verbrachte diese Nacht ebenso wie die vorherigen unter freiem Himmel. Aber das Rätsel der unheimlichen Veränderung, die mit Märchenmond vor sich gegangen war, ließ ihn nicht besonders gut schlafen. Aus einem Land voller freundlicher Menschen, die jedem Fremden mit offenen Armen entgegentraten, war eine Welt geworden, in der Misstrauen und offene Feindschaft regierten und in der man offensichtlich erst zuschlug und dann nachsah, was man eigentlich getroffen hatte. Wäre der Pack nicht gewesen, dann wäre er jetzt vermutlich tot.

Auch das erschien ihm im Nachhinein beinahe absurd. Ausgerechnet das einzige Wesen, das von Anfang an sein Feind gewesen war, hatte sich nun als sein einziger Verbündeter erwiesen. Es war, als wäre alles auf den Kopf gestellt.

Kim erwachte am nächsten Morgen unausgeschlafen und hungrig. Der Pack war nicht da, aber neben ihm lag ein wenig frisches Obst. Sein haariger Schutzengel war also noch in der Nähe.

Er verzehrte das Obst, machte sich auf die Suche nach seinem Pferd und fand den Hengst nur wenige Minuten entfernt und praktischerweise gleich am Ufer eines schmalen Baches, an dem er sich waschen und seinen Durst stillen konnte. Danach stieg er ohne weitere Verzögerung in den Sattel und setzte seinen Weg fort.

Während der ersten Stunden traf er auf niemanden, aber er sah mehrmals Rauch am Horizont und einmal erblickte er in der Ferne die Silhouette einer Ortschaft, hütete sich aber, ihr auch nur nahe zu kommen. Bevor er sich erneut in menschliche Gesellschaft begab, musste er herausfinden, was hier geschehen war.

Gegen Mittag sah er wieder Rauch vor sich aufsteigen. Er war noch weit entfernt, aber es war viel zu viel, als dass er nur von einem einzigen Gebäude stammen konnte oder auch einer kleinen Ortschaft. Hinter den Hügeln dort vorne musste eine größere Ansiedlung liegen.

Kim dachte einen Moment lang darüber nach, sie in weitem Bogen zu umgehen, entschied sich aber dann dagegen. Er musste mit einem Menschen sprechen, wenn er herausfinden wollte, was hier passiert war. Und diese Ortschaft war so gut wie jede andere. Er würde eben sehr vorsichtig sein müssen.

Der Weg war weiter, als es den Anschein gehabt hatte. Kim ritt gute zwei Stunden, bis er sich der Hügelkette näherte, hinter der die Ortschaft liegen musste. Langsam näherte er sich ihrer Kuppe, sah sich immer wieder suchend um und nahm schließlich sogar noch einen kleinen Umweg in Kauf um die Hügelkuppe im Schütze einiger kleiner Bäume zu erreichen.

Eine Vorsichtsmaßnahme, die sich als überflüssig erwies.

Unter ihm lag ein mittelgroßes Dorf, das aus vielleicht zwei oder drei Dutzend Häusern bestand und von einer mannshohen Palisade umgeben war.

Genauer gesagt das, was davon noch übrig war ...

Der Rauch, den er aus so großer Entfernung gesehen hatte, stammte von fünf oder sechs Häusern am südlichen Rand der Ortschaft, die in hellen Flammen standen. Der Rest des Dorfes war bereits bis auf die Grundmauern niedergebrannt und zu qualmenden Ruinen geworden. Gut die Hälfte der hölzernen Palisade war niedergerissen oder zu schwarzen Stümpfen verkohlt.

Aber es war kein Unglücksfall gewesen, dem dieser Ort zum Opfer gefallen war.

Zwischen den Ruinen lagen zahllose reglose Gestalten. Zerbrochenes Metall schimmerte im Morast und zusammen mit dem Brandgeruch stieg auch der durchdringende Gestank des Todes zu ihm herauf.

Unter ihm lag ein Schlachtfeld.

Für eine geraume Zeit blieb er im Schutz des Unterholzes stehen und ließ seinen Blick über das Bild entsetzlicher Verwüstung schweifen, das sich vor ihm ausbreitete, aber er entdeckte nirgendwo auch nur das geringste Lebenszeichen. So wie es aussah, waren die Angreifer gekommen, hatten den Ort in Schutt und Asche gelegt und waren sofort wieder verschwunden, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, ihre Toten zu bestatten.