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Sosehr ihn der Anblick auch schockierte, er ließ ihn doch plötzlich vieles sehr viel besser verstehen. Die verlassenen Häuser und Ortschaften, die Furcht, die sein bloßer Anblick bei den Menschen auslöste - all das ergab Sinn, wenn auf Märchenmond Krieg herrschte. Aus einem Grund, den er nicht kannte, aber bald herauszufinden hoffte, hatten ihn die Menschen für ein Mitglied der feindlichen Armee gehalten, die sie bedrohte; wahrscheinlich für einen Späher. Kein Wunder, dass sie versucht hatten ihn gefangen zu nehmen.

Ein Grund für ihn noch vorsichtiger zu sein. Wenn es dort unten noch Überlebende gab, dann würden sie alles andere als froh sein, ihn zu sehen.

Er wartete lange. Erst nachdem er sicher war, dass sich unter ihm nichts mehr rührte, ließ er sein Pferd zwischen den Bäumen hervortreten und lenkte es langsam den Hügel hinab.

Es war ihm nicht möglich, Angreifer und Verteidiger voneinander zu unterscheiden. Auf dem Schlachtfeld lagen Bauern, Handwerker, Krieger und einfache Dorfbewohner nebeneinander, und als er sich dem Tor in der Palisadenwand näherte, stieß er sogar auf zwei Gefallene in den weißen Umhängen der Steppenreiter.

Ihr Anblick traf Kim besonders schmerzlich. Er hatte immer ein besonderes Verhältnis zu den stolzen Kriegern aus Caivallon gehabt und tief in sich hatte er sich wohl auch stets gewünscht, so wie sie sein zu können. Hinzu kam, dass die beiden keinen Tag älter sein konnten als er.

Überhaupt gab es unter den Gefallenen erschreckend viele Jugendliche und Kinder. Manche waren kaum älter als zehn oder elf Jahre, andere waren in seinem Alter oder gerade an der Schwelle zum Mann oder zur Frau. Die Verteidiger mussten in ihrer Verzweiflung jedem Mann, jeder Frau, jedem Jungen und jedem Mädchen, das auch nur in der Lage war ein Schwert zu heben, eine Waffe in die Hand gedrückt haben.

Es hatte ihnen nichts genutzt. Die Angreifer hatten keine Rücksicht auf Geschlecht oder Alter genommen.

Kim brachte es nicht über sich, den Ort zu betreten. Er wusste, dass er dort keine Überlebenden finden würde. Er wollte nur noch weg von diesem Ort des Grauens.

Aber wohin?

Während er das Schlachtfeld in umgekehrter Richtung überquerte, näherte sich seine Stimmung einem Zustand, die purer Verzweiflung ziemlich nahe kam. Wenn sich der Weg, den er eingeschlagen hatte, so fortsetzte, dann würde er als Nächstes vermutlich mitten in eine Schlacht geraten oder Gorywynn in Trümmern vorfinden. Was war nur geschehen? Waren die finsteren Mächte Morgons wieder erwacht oder hatte irgendein schrecklicher Zauber eine neue, furchtbare Gefahr heraufbeschworen?

Sosehr ihn der Gedanke erschreckte, er hatte nur eine Wahclass="underline" Er musste der Spur des feindlichen Heeres folgen um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, wer der Feind war.

Der Spur zu folgen war nicht besonders schwer. Sie führte in westlicher Richtung von dem brennenden Dorf fort, schlängelte sich die sanften Hügel auf der anderen Seite des Tales hinauf und verschwand schließlich hinter einem kleinen Waldstück. Der Breite des zertrampelten Grases nach zu schließen, musste es sich auch nach der verlustreichen Schlacht noch immer um eine größere Armee handeln; Hunderte von Pferden, deren Hufe den Boden so tief aufgerissen hatten, dass hier und da schon das Grundwasser zutage trat.

Kim hatte kein gutes Gefühl, als er den Hengst dicht neben der Spur den Hügel hinauftraben ließ. Wäre er der Kommandant der unbekannten Armee, dann hätte er garantiert jemanden zurückgelassen, der das niedergebrannte Dorf und die nähere Umgebung noch ein wenig im Auge behielt.

Seine Blicke suchten misstrauisch den Waldrand über ihm ab. Dort oben rührte sich nichts. Der Lärm der Schlacht und das Feuer mussten jedes lebende Wesen in weitem Umkreis verscheucht haben. Trotzdem konnte er nicht sicher sein, dass dort oben nicht jemand im Schütze des Unterholzes saß und jede seiner Bewegungen verfolgte. Oder vielleicht auch schon einen Pfeil auf die Sehne legte ...

Kim zögerte einen Moment, aber dann ritt er noch einmal zum Schlachtfeld zurück und nahm Schwert und Schild eines der Toten an sich. Er war kein Krieger und konnte nicht besonders gut mit diesen Waffen umgehen. Trotzdem fühlte er sich schon wesentlich sicherer, als er zum zweiten Mal den Hang hinaufritt und sich dem Waldrand näherte. Er war sich des Risikos bewusst, das er damit einging, aber er brauchte den Waldrand auch als Deckung. Auf der anderen Seite des Hügels mochte nichts sein, vielleicht aber auch eine Armee von Hunderten von Monstern.

Mit äußerster Vorsicht näherte er sich dem Waldrand. Die Spur der Reiterarmee beschrieb hier einen scharfen Knick nach rechts und führte dann parallel zu den Bäumen weiter. An ihrem Ende, so weit entfernt, dass er nicht sicher sein konnte sie wirklich zu sehen, glaubte er eine gewaltige Staubwolke wahrzunehmen. Trotzdem hielt er sein Pferd noch einmal an, lenkte es dann einige Schritte weit in den Wald hinein und folgte der Spur im Schutz der dicht stehenden Bäume. Auf diese Weise kam er zwar weitaus langsamer voran, als ihm lieb war, aber er wurde wenigstens nicht gesehen.

Der Wald wurde immer dichter, aber die unheimliche Stille, die Kim aufgefallen war, blieb. Das war nicht in Ordnung. Es war, als lebte hier nichts mehr. Der Lärm und das Feuer mochten ja alle Vögel und die größeren Tiere verjagt haben, aber er hätte trotzdem das Rascheln von Insekten hören müssen, das von Blättern und Ästen, die sich bewegten, oder wenigstens das Flüstern des Windes. Aber es war vollkommen still. Die einzigen Laute, die zu hören waren, waren die, die er selbst verursachte.

Er sah etwas Helles, sehr Kleines vor sich auf dem Waldboden liegen, zügelte sein Pferd und stieg schließlich aus dem Sattel um das letzte Stück zu Fuß weiterzugehen. Sein Herz begann schneller zu pochen, als er allmählich erkannte, was da zwischen abgestorbenen Ästen und totem Laub auf dem Boden lag. Die letzten Meter legte er rennend zurück, löste den Schild von seinem linken Arm und lehnte ihn an einen Baumstamm, ehe er sich auf die Knie herabsinken ließ und die Hände nach dem reglosen Geschöpf ausstreckte. Unendlich behutsam hob er es auf.

Es war eine Elfe.

Sie war tot. Ihre schmalen, zerbrechlichen Glieder waren erschlafft. Die porzellanweiße Haut begann sich hier und da grau zu färben und das kleine Gesicht, das so erstaunlich an das eines Menschen erinnerte, ohne es wirklich zu sein, würde nie wieder jenes fröhliche Lachen zeigen, an dem Rebekka und er sich immer so erfreut hatten, wenn sie in den Wäldern mit den kleinen Naturgeistern gespielt hatten. Die an Libellenflügel erinnernden Schwingen der Elfe hatten ihre Regenbogenfarben verloren.

Kim empfand ein Gefühl unendlich tiefer Trauer. Es gab niemanden auf Märchenmond, der Elfen nicht mochte, und erst recht niemanden, der ihnen etwas zuleide tun würde. Selbst die finsteren Horden aus Morgon, die mit Feuer und Tod über die wehrlose Welt hergefallen waren, hatten diese verspielten, ewig fröhlichen kleinen Wesen verschont.

Vorsichtig drehte er das kleine Geschöpf in den Händen. Ein wenig goldener Elfenstaub blieb auf seinen Handflächen zurück. Die Elfe konnte noch nicht lange tot sein. Und seltsam war, dass er nicht die mindeste Verletzung sehen konnte.

Er legte die Elfe wieder auf den Boden und häufte einige trockene Blätter über den kleinen Körper. Er hätte sie beerdigt, wusste aber, dass sich das kleine Wesen ohnehin mit dem letzten Licht des Tages in Nichts auflösen würde. Elfen waren im Tode so zerbrechlich wie im Leben.

Als er aufstehen wollte, entdeckte er eine zweite tote Elfe, nur wenige Schritte entfernt, dann eine dritte, vierte und schließlich fünfte.

Kim kämpfte sein Erschrecken nieder, so gut es ging, und zwang sich, auch diese Elfen genau zu untersuchen. Mit Ausnahme eines der kleinen Geschöpfe, dessen Flügel gebrochen waren, als wäre es aus großer Höhe abgestürzt, waren sie alle unverletzt. Es war, als wäre das Leben einfach ohne Grund aus ihnen gewichen.