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Aber er war noch nie so ... erniedrigt worden.

Er setzte sich an den Schreibtisch, schaltete den Computer ein und probierte zwei, drei Spiele aus, ohne die richtige Begeisterung zu entwickeln. Sein Gesicht spiegelte sich matt auf dem Bildschirm und er konnte sehen, dass sein Auge bereits jetzt blau anzulaufen begann. Der Augenblick ließ seine Laune noch weiter sinken. Er hämmerte mit solcher Kraft auf die Tastatur ein, dass der Computer ein protestierendes Piepsen von sich gab.

Die Tür ging auf und seine Schwester kam herein, wie üblich natürlich ohne anzuklopfen. Kim drehte sich mit seinem Bürosessel zur Tür herum und blickte ihr finster entgegen. »Was willst du?«

Seine Schwester grinste. »Gut siehst du aus. Soll ich dir vielleicht eine Augenklappe nähen?«

»Du würdest dich höchstens ins den Finger stechen und wie Dornröschen im Schlaf versinken«, knurrte Kim.

»Aber dann würdest du doch bestimmt kommen und mich retten.«

»Ganz bestimmt sogar nicht«, antwortete Kim. »Ich würde die Rosenhecke gießen, damit sie schön dicht wird, verlass dich drauf!«

Rebekka kicherte. »Du bist sauer. Unglaublich. Kim, der Held aus der Schlacht um Gorywynn, ist stinksauer, weil er eins aufs Auge bekommen hat!«

»Hör auf damit«, sagte Kim. »Du weißt, dass ich nichts mehr von diesem Unsinn hören will.«

»Unsinn?« Rebekka zog eine Grimasse. »Themistokles wäre da anderer Meinung. Und Gorg würdest du das nicht ins Gesicht sagen, da wette ich.«

»Du spinnst, Schwesterchen«, antwortete Kim kopfschüttelnd. »Du weißt, dass das alles nur in deiner Fantasie stattgefunden hat.«

»Und in deiner. Ist schon komisch, nicht, dass zwei Leute den gleichen Traum haben?«

»Stimmt«, bestätigte Kim. Er zuckte mit den Schultern. »Aber wahrscheinlich gibt es eine ganz logische Erklärung dafür.«

»Ja, ganz bestimmt«, bestätigte Rebekka spöttisch. Sie schüttelte den Kopf. »Was ist los mit dir? Hat es deine Ehre verletzt, dass du nicht ganz allein mit den Burschen fertig geworden bist? Ich, finde, eins zu sechs ist kein faires Verhältnis. Es hätte schlimmer kommen können.«

»Das ist kein Argument. Schlimmer kann es immer kommen.«

»Was ist es dann?«, wollte Rebekka wissen.

Kim schwieg einen kurzen Moment. Der Computer neben ihm lief immer noch. Plötzlich störte ihn das Flimmern, das er aus den Augenwinkeln wahrnahm. Er schaltete ihn aus, bevor er antwortete.

»Weil ich mich ziemlich dumm benommen habe«, sagte er dann. »Irgendwie war das Ganze meine Schuld. Wenn ich die Burschen nicht provoziert hätte, wäre wahrscheinlich gar nichts passiert. Wenn du so willst, habe ich Vater in eine ganz schön gefährliche Situation gebracht.«

»Es ist ja nichts passiert, oder?«

»Aber es hätte -«, begann Kim, brach aber dann mitten im Satz ab, als es an der Tür klopfte und sein Vater hereinkam.

»Störe ich?«, fragte er.

»Nein«, antwortete Kim hastig. »Kein bisschen. Wir waren gerade dabei mit dem Computer zu spielen.«

»Aha«, sagte sein Vater. Er streifte den ausgeschalteten Monitor mit einem kurzen Blick und griff in die Jeansjacke, während er näher kam.

»Ich habe etwas für dich«, sagte er, an Rebekka gewandt. »In der Aufregung heute Mittag habe ich es ganz vergessen. Hier.« Er reichte Rebekka einen in Seidenpapier eingepackten, kinderhandgroßen Gegenstand.

Rebekka griff hastig danach und hüpfte vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen. Sie liebte es, Geschenke zu bekommen.

»Was ist es?«, fragte sie aufgeregt, während sie mit fliegenden Fingern das Papier herunterfetzte - und die Stücke natürlich auf den Teppich fallen ließ. Kim sparte sich die Frage, wer sie später wieder aufheben durfte.

»Nur eine Kleinigkeit«, antwortete Vater.

Rebekka riss das Papier vollends ab und stieß einen kleinen, überraschten Laut aus, als sie sah, was darunter zum Vorschein kam.

Es war eine vielleicht sechs oder sieben Zentimeter große schimmernde Kugel aus Kunstglas, die von einer goldenen Schlange gehalten wurde, die sich auf den zweiten Blick als kunstvoll ausgeführter Drache herausstellte. Im Inneren der Kugel befand sich ein Gebilde aus pastellfarbigem Glas oder Kunststoff, das vielleicht einen Kristall darstellen mochte, ebenso gut aber auch eine Fantasiestadt mit unzähligen Türmchen und Ecken, Mauerzinnen und Dächern.

»Aber das ist ja fantastisch!«, murmelte Rebekka. Sie klang ein bisschen verwirrt. Ungefähr so, wie Kim sich fühlte.

»Es ist hübsch, nicht wahr?«, sagte Vater. »Ich weiß zwar nicht genau, was es sein soll, aber als ich es in der Buchhandlung sah, konnte ich einfach nicht widerstehen. Gefällt es dir?«

»Ob es mir gefällt?« Rebekka sah erst ihren Vater an, dann mit noch größerer Verwirrung wieder Kim. »Das ... das ist... Rangarig!«

»Was?«, fragte Vater.

»Großartig«, verbesserte sich Rebekka. »Ich wollte sagen: Großartig.«

»Ich wusste, dass es dir gefällt«, sagte Vater. Er strahlte über das ganze Gesicht, dann wandte er sich an Kim. »Für dich habe ich leider nichts. Außer vielleicht ein rohes Steak.«

»Ein rohes Steak?«

»Das soll angeblich ganz hervorragend wirken, wenn man ein blaues Auge hat«, antwortete sein Vater. Er wandte sich wieder an Rebekka. »Es gefällt dir also?«

»Na und wie!«, versicherte Rebekka.

»Dann kommt jetzt die schlechte Nachricht«, fuhr Vater fort. »Du hast deine Hausaufgaben noch nicht gemacht.«

Rebekka zog einen Schmollmund, aber die Freude über das Geschenk überwog. Sie presste ihren Schatz an sich und verschwand damit. Kim war erleichtert. Es gab keinen logischen Grund dafür, aber der Anblick der Glaskugel hatte ihn ziemlich nervös gemacht.

»Und du?«, fragte sein Vater.

»Alles schon erledigt, Boss«, antwortete Kim. Sie hatten an diesem Tag gar keine Arbeiten aufbekommen, aber das lief ja wohl auf dasselbe hinaus.

»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte sein Vater. Er drehte sich zur Tür, blieb aber dann mit der Hand auf der Klinke stehen und sah zu ihm zurück. »Wegen vorhin ...« Er druckste einen Augenblick herum, dann lächelte er nervös. »Ich war wohl ein bisschen heftig«, fuhr er fort. »Es tut mir Leid. Ich war nervös, weißt du? Auch Väter haben Nerven. Alles okay?«

»Natürlich«, antwortete Kim. »Es war genauso mein Fehler. Wenn wir diese Kerle noch einmal treffen sollten, halte ich bestimmt mein vorlautes Mundwerk.«

»Das werden wir kaum«, erwiderte sein Vater. »Sie kommen so gut wie nie in diese Gegend. Und nach dem Schrecken, den ihnen der Polizeiwagen eingejagt hat, erst recht nicht mehr.«

»Du hast wahrscheinlich Recht«, sagte Kim.

Er konnte es nicht wissen, aber diese Bemerkung passte zu einigen anderen, die er im Laufe des Tages bereits gemacht hatte.

Sie war ein Fehler.

Ihre Eltern hatten Theaterkarten für diesen Abend und wie üblich, wenn sie beide nicht zu Hause waren, brachten sie Rebekka zu Tante Birgit. Im Grunde genommen hätte sie auch mit Kim dableiben können, Kim hielt sich für durchaus alt genug, um für einen Abend den Babysitter zu spielen, und Rebekka glaubte mit ihren neun Jahren auch alt genug zu sein, um ein paar Stunden allein mit ihrem großen Bruder im Haus zu verbringen.

Ihre Eltern sahen das allerdings etwas anders - und Kim war eigentlich ganz froh, nicht den ganzen Abend mit dieser Nervensäge verbringen und sich wenig originelle Bemerkungen über sein blaues Auge und die verlorene Schlacht vor der Buchhandlung (Rebekka nannte es tatsächlich so!) anzuhören.

Er begleitete seine Eltern bis zur Garageneinfahrt und winkte ihnen nach, als sie abfuhren. Als der Wagen verschwunden war, drehte er sich herum um zum Haus zurückzugehen. Dabei sah er gerade noch, wie jemand hinter einem Gebüsch nur ein paar Häuser weit entfernt verschwand. Jemand mit grünen Haaren und einem feuerroten Hemd.

Kim blieb wie angewurzelt stehen. Sein Herz begann zu hämmern und für die Dauer von ein paar Sekunden starrte er das Gebüsch so konzentriert an, dass seine Augen vor Anstrengung zu brennen begannen.