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Als sie zwanzig oder dreißig Schritte zurückgelegt hatten, begann der Boden unter ihren Füßen zu zittern. Ein dumpfes, immer lauter werdendes Grollen erklang.

Kim sah sich erschrocken um. Die Ebene war mit Felstrümmern und Steinen übersät, die von der Größe einer Kinderfaust bis zu der eines kleinen Fässchens schwankten. Und sie alle hatten zu zittern begonnen. Das Beben war jetzt so stark, dass sie sich kaum noch auf den Füßen zu halten vermochten. Dann brach der Boden zwanzig Meter vor ihnen ein und in der Öffnung erschien der geschuppte Schädel eines alten Bekannten.

»Jetzt seid ihr dran!«, brüllte der Drache. »Jetzt ist Schluss mit lustig! Jetzt wird abgerechnet!« Gleichzeitig hörte Kim hinter sich das johlende Gebrüll aus Hunderten von Zwergenkehlen. Er sah sich erschrocken um und registrierte, dass sich das Zwergenheer wie ein Mann in Bewegung gesetzt hatte. Über die große Entfernung betrachtet sah es aus, als strömten Ameisen den Hang herab. Aber es waren entsetzlich viele Ameisen und sie hatten Speere, Keulen und Schwerter ...

Der Pack brüllte wütend und stürzte sich mit erhobenen Fäusten auf den Drachen, aber der geschuppte Gigant hatte aus seiner ersten Begegnung gelernt: Er fegte den Pack mit einem Prankenhieb zur Seite, stemmte sich weiter aus dem Loch heraus und drehte sich blitzschnell, als die Spinne ein hastig geflochtenes Netz nach ihm warf. Das Netz ging vorbei und der Pack landete fünfzig Meter entfernt zwischen den Felsen und blieb benommen liegen. Der Drache brüllte triumphierend, stemmte sich mit beiden Vorderpfoten gegen den Rand des Loches, das er in den Boden gebrochen hatte, und arbeitete sich weiter heraus.

Das hieß - er versuchte es ...

Irgendetwas hielt ihn fest.

Der Drache grunzte, wandte unwillig den Kopf, um hinter sich zu blicken, und stützte sich mit noch größerer Kraft auf. Der Boden zitterte wieder. Kim konnte das Knirschen und Bersten gewaltiger Felsen tief unten in der Erde hören und der Drache keuchte nun vor Anstrengung und stemmte sich zentimeterweise weiter aus der Erde heraus. Vielleicht hing er ja irgendwo fest.

Dann begriff Kim, was es wirklich war.

»O nein«, flüsterte er.

»Was hast du?«, fragte Sturm erschrocken.

Kim kam nicht mehr dazu, zu antworten. Der Drache stieß ein ungeheuerliches Brüllen aus und stemmte sich in einer letzten, gewaltigen Anstrengung ins Freie und in derselben Sekunde schrien sie alle ebenfalls vor Schreck laut auf.

Der Drache hatte sich nicht zwischen den Felsen verkeilt. Etwas hatte ihn tatsächlich festgehalten und es hing nun an seinem Schwanz, hässlich, bleich und nur unwesentlich kleiner als der Drache selbst. Der eisige Atem der Hölle schien Kims Seele zu berühren.

Der Skull stieß eine Folge zischender, unheimlicher Laute aus, als der Drache mit dem Schwanz zu schlagen begann, wodurch er immer wieder hoch in die Luft gewirbelt und dann mit unheimlicher Gewalt auf den Boden geschmettert wurde. Die Erschütterungen waren so heftig, dass Kim und Sturm von den Füßen gerissen wurden und selbst die Zwerge auf dem entfernten Berghang ihren Halt verloren und den Rest des Weges auf eine weit unsanftere Art fortsetzten, als sie sich vorgestellt hatten, nämlich stürzend und übereinander kugelnd. Doch selbst das Auftauchen des Ungeheuers hinderte sie nicht daran, sich sofort wieder aufzurappeln und johlend weiterzustürmen.

»Fleisch!«, krähte die Spinne.

Kim verstand im ersten Moment nicht, was sie meinte. Erst als er sich mühsam hochstemmte und sah, dass sie aus weit aufgerissenen Augen den Skull anstarrte und vor lauter Gier zu sabbern begonnen hatte, wurde es ihm klar.

»Das würde ich an deiner Stelle nicht versuchen«, sagte er. »Du könntest dir den Magen verderben.«

Gehetzt sah er sich um. Das Zwergenheer stürzte am Fuße des Berges zu einem gewaltigen Knäuel aus Gliedmaßen und Leibern zusammen und auf der anderen Seite war es dem Drachen endlich gelungen den Skull abzuschütteln. Unverzüglich fuhr er herum und stürzte sich mit Zähnen und Klauen auf die fahle Kreatur. Es gelang Kim immer noch nicht, den Skull wirklich zu erkennen. Er sah nur etwas Großes, Bleiches, das irgendwie insektenhaft zu sein schien und sich seinen Blicken auf geheimnisvolle Weise immer wieder entzog.

»Den Kerl kauf ich mir!«, piepste Twix. »Den mach ich fertig!«

»Nein!«, schrie Kim. »Twix! Tu das -«

Es war zu spät. Die Elfe flog los, wobei sie vor lauter Aufregung bereits einen Schweif aus goldschimmerndem Staub hinter sich herzog.

Sie erreichte den Skull jedoch nicht. Der Drache und sein unheimlicher Gegner hatten sich regelrecht ineinander verkeilt und hieben mit Zähnen, Krallen und Scheren aufeinander ein. Als Twix über die Kämpfenden hinwegflog, schlug der Drache mit dem Schwanz aus und traf die Elfe. Twix wirbelte kreischend und sich überschlagend davon und schlug wie ein Funken sprühender Meteor weit entfernt zwischen den Felsen auf. Auf der anderen Seite hatten sich die Zwerge wieder zu einer schiefen Schlachtreihe formiert und begannen vorzurücken.

»Sturm«, sagte Kim nervös. »Jetzt wäre vielleicht der passende Moment um auszuprobieren, ob deine Kräfte wieder zurückgekehrt sind.«

Sturm antwortete nicht. Als sich Kim zu ihm herumdrehte, sah er, dass er sich aufgerichtet hatte und aus weit aufgerissenen Augen in den Himmel starrte. Über ihnen waren Wolken aufgezogen, graue, bauchige Gebilde, in denen es ununterbrochen brodelte und wogte.

Auf der anderen Seite tobte der Kampf der Giganten weiter. Die Erde bebte. Steinsplitter, Funken und Staub spritzten in alle Richtungen, während die beiden Riesen mit der Kraft entfesselter Naturgewalten aufeinander einschlugen. Der Drache kämpfte brüllend, der Skull mit stummer, unheimlicher Verbissenheit. Es war nicht zu erkennen, welches der beiden Ungeheuer die Oberhand gewann. Aus der entgegengesetzten Richtung rückten die Zwerge näher. Kim konnte nicht einmal mehr schätzen, wie viele es waren. Was sich da schwankend auf sie zubewegte, das schien eine einzige, kompakte Mauer aus keifender Schwärze zu sein, aus der ein ganzer Wald von Speerspitzen und Schwertern ragte.

»Sturm!«, sagte er nervös.

Der Junge rührte sich noch immer nicht, sondern starrte nur weiter konzentriert in den Himmel hinauf. Die Wolken waren dunkler geworden, beinahe schwarz. Ihre Schatten lasteten wie riesige unregelmäßige Flecken ewiger Dämmerung auf der Ebene und tief in ihrem Inneren blitzte es unheimlich auf. Es wurde spürbar kälter.

»Sturm!«, schrie Kim.

Er bekam keine Antwort und ihm blieb auch keine Zeit sich noch einmal zu Sturm umzudrehen.

Die Zwerge waren heran und der Kampf brach los.

Die Spinne schleuderte den Zwergen ein Fangnetz entgegen, bückte sich blitzschnell nach den Waffen, die die erschrockenen Zwerge fallen ließen, und drosch plötzlich mit drei Schwertern, zwei Keulen und etwas, das wie eine zu groß geratene Fliegenklatsche mit eisernen Dornen aussah, auf ihre völlig überraschten Gegner ein. Kim schwang sein Schwert und kappte mit einem einzigen Hieb vier oder fünf Speere, die in seine Richtung stocherten, und auch der Pack ließ die Fäuste fliegen. Er schien als Einziger wirklich Spaß an der ganzen Sache zu haben.

Im ersten Moment schienen sie sogar tatsächlich in der Lage den Ansturm der Zwergenarmee aufzuhalten, denn die Angreifer hatten ganz offensichtlich nicht mit einem so entschlossenen Widerstand gerechnet. Aber es nutzte nichts. So viele Zwerge Kim und die anderen auch niederstreckten, von hinten drängten immer mehr und mehr nach und sie mussten zurückweichen, zwar nur Schritt für Schritt, aber unaufhaltsam.

Kim wehrte einen weiteren, gemeinen Speerstoß ab, hatte seine eigene Kraft aber unterschätzt und wurde nach vorne gerissen. Mit einem hastigen Schritt zurück versuchte er sein Gleichgewicht wieder zu finden, stolperte über einen Stein und fiel auf den Rücken. Sofort waren die Zwerge über ihm. Ein Speer mit einer langen, rasiermesserscharfen Spitze stieß auf seine Kehle herab und zwei oder drei Schwerter gleichzeitig versuchten sich in seinen Leib zu bohren. Kim schrie gellend auf.