»Das ist doch ein recht böser Mann!« sagte der kleine Klaus; »da wollte er mich totschlagen! Es war doch gut für die alte Mutter, daß sie schon tot war, sonst hätte er ihr das Leben genommen!«
Nun legte er der alten Großmutter Sonntagskleider an, lieh sich von dem Nachbar ein Pferd, spannte es vor den Wagen und setzte die alte Großmutter auf den hintersten Sitz, sodaß sie nicht hinausfallen konnte, wenn er fuhr, und so rollten sie von dannen durch den Wald. Als die Sonne aufging, waren sie vor einem großen Wirtshause, da hielt der kleine Klaus an und ging hinein, um etwas zu genießen.
Der Wirt hatte sehr viel Geld, er war auch ein recht guter, aber hitziger Mann, als wären Pfeffer und Tabak in ihm.
»Guten Morgen!« sagte er zum kleinen Klaus. »Du bist heute früh ins Zeug gekommen!«
»Ja,« sagte der kleine Klaus, »ich will mit meiner alten Großmutter zur Stadt; sie sitzt da draußen auf dem Wagen, ich kann sie nicht in die Stube hereinbringen. Wollt Ihr derselben nicht ein Glas Meth geben? Aber Ihr müßt recht laut sprechen, denn sie hört nicht gut.«
»Ja, das will ich thun!« sagte der Wirt und schenkte ein großes Glas Meth ein, mit dem er zur toten Großmutter hinausging, welche in dem Wagen aufrecht gesetzt war.
»Hier ist ein Glas Meth von Ihrem Sohne!« sagte der Wirt, aber die tote Frau erwiderte kein Wort, sondern saß ganz still.
»Hört Ihr nicht?« rief der Wirt, so laut er konnte. »Hier ist ein Glas Meth von Ihrem Sohne!«
Noch einmal rief er dasselbe und dann noch einmal, aber da sie sich durchaus nicht von der Stelle rührte, wurde er ärgerlich und warf ihr das Glas in das Gesicht, sodaß ihr der Meth gerade über die Nase lief und sie hintenüber fiel, denn sie war nur aufgesetzt und nicht festgebunden.
»Heda!« rief der kleine Klaus, sprang zur Thür heraus und packte den Wirt an der Brust, »da hast Du meine Großmutter erschlagen! Siehst Du, da ist ein großes Loch in ihrer Stirn!«
»O, das ist ein Unglück!« rief der Wirt und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen; »das kommt alles von meiner Heftigkeit! Lieber, kleiner Klaus, ich will Dir einen Scheffel Geld geben und Deine Großmutter begraben lassen, als wäre es meine eigene, aber schweige nur still, sonst wird mir der Kopf abgeschlagen, und das wäre doch zu arg!«
So bekam der kleine Klaus einen ganzen Scheffel Geld, und der Wirt begrub die alte Großmutter so, als ob es seine eigene gewesen wäre.
Als nun der kleine Klaus wieder mit dem vielen Gelde nach Hause kam, schickte er gleich seinen Knaben hinüber zum großen Klaus, um ihn bitten zu lassen, ihm ein Scheffelmaß zu leihen.
»Was ist das?« sagte der große Klaus. »Habe ich ihn nicht totgeschlagen? Da muß ich selbst nachsehen!« Und so ging er selbst mit dem Scheffelmaß zum kleinen Klaus.
»Wo hast Du doch all' das Geld bekommen?« fragte er und riß die Augen auf, als er alles das erblickte, was noch hinzugekommen war.
»Du hast meine Großmutter, aber nicht mich erschlagen!« sagte der kleine Klaus. »Die habe ich nun verkauft und einen Scheffel Geld dafür bekommen!«
»Das ist wahrlich gut bezahlt!« sagte der große Klaus, eilte nach Hause, nahm eine Axt und schlug seine alte Großmutter tot, legte sie auf den Wagen, fuhr mit ihr zur Stadt, wo der Apotheker wohnte, und fragte, ob er einen toten Menschen kaufen wollte.
»Wer ist es und woher habt Ihr ihn?« fragte der Apotheker.
»Es ist meine Großmutter!« sagte der große Klaus. »Ich habe sie totgeschlagen, um einen Scheffel Geld dafür zu bekommen!«
»Gott bewahre uns!« sagte der Apotheker. »Ihr redet irre! Sagt doch nicht dergleichen, sonst könnt Ihr den Kopf verlieren!« Und nun sagte er ihm gehörig, was das für eine böse That sei, die er begangen habe, und was für ein schlechter Mensch er sei und daß er bestraft werden müsse. Da erschrak der große Klaus so sehr, daß er von der Apotheke gerade in den Wagen sprang, und auf die Pferde schlug und nach Hause fuhr; aber der Apotheker und alle Leute glaubten, er sei verrückt, und deshalb ließen sie ihn fahren, wohin er wollte.
»Das sollst Du mir bezahlen!« sagte der große Klaus, als er draußen auf der Landstraße war, »ja, ich will Dich bestrafen, kleiner Klaus!« Sobald er nach Hause kam, nahm er den größten Sack, den er finden konnte, ging hinüber zum kleinen Klaus und sagte: »Nun hast Du mich wieder gefoppt; erst schlug ich meine Pferde tot, dann meine alte Großmutter; das ist alles Deine Schuld; aber Du sollst mich nie mehr foppen!« Da packte er den kleinen Klaus um den Leib und steckte ihn in seinen Sack, nahm ihn so auf seinen Rücken und rief ihm zu: »Nun gehe ich und ertränke Dich!«
Es war ein weiter Weg, den er zu gehen hatte, bevor er zu dem Flusse kam, und der kleine Klaus war nicht leicht zu tragen. Der Weg ging dicht bei der Kirche vorbei; die Orgel ertönte und die Leute sangen schön darinnen. Da setzte der große Klaus seinen Sack mit dem kleinen Klaus darin dicht bei der Kirchthür nieder und dachte, es könne wohl ganz gut sein, hineinzugehen und einen Psalm zu hören, ehe er weiter gehe; der kleine Klaus konnte ja nicht herauskommen und alle Leute waren in der Kirche. So ging er denn hinein.
»Ach Gott, ach Gott!« seufzte der kleine Klaus im Sack und drehte und wandte sich, aber es war ihm nicht möglich, das Band aufzulösen. Da kam ein alter, alter Viehtreiber daher, mit schneeweißem Haare und einem großen Stab in der Hand; er trieb eine ganze Herde Kühe und Stiere vor sich her, die liefen an den Sack, in dem der kleine Klaus saß, so daß er umgeworfen wurde.
»Ach Gott!« seufzte der kleine Klaus, »ich bin noch so jung und soll schon ins Himmelreich!«
»Und ich Armer,« sagte der Viehtreiber, »bin schon so alt und kann noch immer nicht dahin kommen!«
»Mache den Sack auf!« rief der kleine Klaus. »Krieche statt meiner hinein, so kommst Du sogleich ins Himmelreich!«
»Ja, das will ich herzlich gern,« sagte der Viehtreiber und band den Sack auf, aus dem der kleine Klaus sogleich heraussprang.
»Willst Du nun auf das Vieh Acht geben?« sagte der alte Mann und kroch dann in den Sack hinein, den der kleine Klaus zuband und dann mit allen Kühen und Stieren seines Weges zog.
Bald darauf kam der große Klaus aus der Kirche. Er nahm seinen Sack wieder auf den Rücken, obgleich es ihm schien, als sei derselbe leichter geworden, denn der alte Viehtreiber war nur halb so schwer, als der kleine Klaus. »Wie leicht ist er doch zu tragen geworden! Ja, das kommt daher, daß ich einen Psalm gehört habe!« So ging er nach dem Flusse, welcher tief und groß war, warf den Sack mit dem alten Viehtreiber ins Wasser und rief hinterdrein, denn er glaubte ja, daß es der kleine Klaus sei: »Sieh, nun sollst Du mich nicht mehr foppen!«
Darauf ging er nach Hause; aber als er an die Stelle kam, wo der Weg sich kreuzte, begegnete er dem kleinen Klaus, welcher mit all' seinem Vieh dahertrieb.
»Was ist das?« sagte der große Klaus. »Habe ich Dich nicht ertränkt?«
»Ja,« sagte der kleine Klaus, »Du warfst mich ja vor einer kleinen halben Stunde in den Fluß hinunter!«
»Aber wo hast Du all' das herrliche Vieh bekommen?« fragte der große Klaus.
»Das ist Seevieh!« sagte der kleine Klaus. »Ich will Dir die Geschichte erzählen und Dir Dank sagen, daß Du mich ertränktest, denn nun bin ich wahrlich reich! Mir war bange, als ich im Sacke steckte, und der Wind pfiff mir um die Ohren, als Du mich von der Brücke hinunter in das kalte Wasser warfst. Ich sank sogleich zu Boden, aber ich stieß mich nicht, denn da unten wächst das schönste, weiche Gras. Darauf fiel ich, und sogleich wurde der Sack geöffnet, und das lieblichste Mädchen, in schneeweißen Kleidern und mit einem grünen Kranz um das nasse Haar, nahm mich bei der Hand und sagte: ›Bist Du da, kleiner Klaus? Da hast Du zuerst einiges Vieh; eine Meile weiter auf dem Wege steht noch eine ganze Herde, die ich Dir schenken will!‹ Nun sah ich, daß der Fluß eine große Landstraße für das Meervolk bildete. Unten auf dem Grunde gingen und fuhren sie gerade von der See her und ganz hinein in das Land, bis wo der Fluß endet. Da waren die schönsten Blumen und das frischeste Gras; die Fische, welche im Wasser schwammen, schossen mir an den Ohren vorüber, gerade so wie hier die Vögel in der Luft. Was gab es da für hübsche Leute und was war da für Vieh, das an Gräben und Wällen weidete!«