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Seine Großmutter hatte ihm erzählt, als er noch ganz klein war, aber anfangen sollte zur Schule zu gehen, daß jede Blume im Garten des Paradieses der süßeste Kuchen, die Staubfäden der beste Wein sei; auf einem stehe Geschichte, auf einem andern Geographie, man brauche nur Kuchen zu essen, so kenne man seine Aufgabe; je mehr man speise, um so mehr Geschichte und Geographie habe man inne.

Das glaubte er damals; aber als er ein größerer Knabe wurde, mehr lernte und klüger war, begriff er wohl, daß eine ganz andere Herrlichkeit im Garten des Paradieses sein müsse.

»O, weshalb pflückte doch Eva vom Baume der Erkenntnis? Warum aß Adam von der verbotenen Frucht? Das sollte ich gewesen sein, so wäre es nicht geschehen! Nie wäre die Sünde in die Welt gekommen!«

Das sagte er damals, und das sagte er noch, als er siebzehn Jahre alt war. Der Garten des Paradieses erfüllte alle seine Sinne.

Eines Tages ging er im Wald allein, denn das war sein größtes Vergnügen.

Der Abend brach an, die Wolken zogen sich zusammen, es wurde ein Regenwetter, als ob der ganze Himmel eine einzige Schleuße wäre, aus der das Wasser stürzte; es war so dunkel, wie im tiefsten Brunnen. Bald glitt er in dem nassen Grase aus, bald fiel er über die nackten Steine, welche aus dem Felsengrunde hervorragten. Alles triefte vom Wasser, es war nicht ein trockener Faden an dem armen Prinzen. Er mußte über große Steinblöcke klettern, wo das Wasser aus dem hohen Moose quoll. Er war nahe daran, kraftlos umzusinken, da hörte er ein sonderbares Sausen, und vor sich sah er eine große, erleuchtete Höhle. Mitten in derselben brannte ein Feuer, sodaß man einen Hirsch daran braten konnte, und das geschah auch; der prächtigste Hirsch mit seinem stolzen Geweihe war auf einen Spieß angesteckt und wurde langsam zwischen zwei abgehauenen Tannenbäumen herumgedreht. Eine ältliche Frau, groß und stark, als wäre sie eine verkleidete Mannsperson, saß am Feuer und warf ein Stück Holz nach dem andern dazu.

»Komm nur näher!« sagte sie. »Setze Dich an das Feuer, damit Deine Kleider trocknen.«

»Hier zieht es arg!« sagte der Prinz und setzte sich auf den Fußboden nieder.

»Das wird noch ärger werden, wenn meine Söhne nach Hause kommen!« erwiderte die Frau. »Du bist hier in der Höhle der Winde, meine Söhne sind die vier Winde der Welt. Kannst Du das verstehen?«

»Wo sind Deine Söhne?« fragte der Prinz.

»Ja, es ist schwer zu antworten, wenn man dumm fragt,« sagte die Frau. »Meine Söhne treiben es auf eigene Hand, sie spielen Federball mit den Wolken dort oben im Königssaal!« Und dabei zeigte sie in die Höhe hinauf.

»Ach so,« sagte der Prinz. »Ihr sprecht übrigens ziemlich barsch und seid nicht so sanft wie die Frauenzimmer, die ich sonst um mich habe!«

»Ja, die haben wohl nichts anderes zu thun! Ich muß hart sein, wenn ich meine Knaben in Gehorsam erhalten will; aber das kann ich, obgleich sie steife Nacken haben! Siehst Du die vier Säcke, die an der Wand hängen? Die fürchten sie ebenso wie Du früher die Ruthe hinter dem Spiegel. Ich kann die Knaben zusammenbiegen, sag' ich Dir, und dann müssen sie in den Sack; da machen wir keine Umstände! Da sitzen sie und dürfen nicht eher wieder heraus und herumstreifen, als bis ich es für gut erachte. Da haben wir den einen!«

Das war der Nordwind, der mit einer eisigen Kälte hereintrat; große Hagelkörner hüpften auf dem Fußboden hin und Schneeflocken stöberten umher. Er war in Bärenbeinkleidern und Jacke; eine Mütze von Seehundsfell ging über die Ohren hinab; lange Eiszapfen hingen ihm am Barte, und ein Hagelkorn nach dem andern glitt ihm vom Jackenrock hinunter.

»Gehen Sie nicht sogleich an das Feuer!« sagte der Prinz. »Sie können sonst leicht Frost in das Gesicht und die Hände bekommen.«

»Frost,« sagte der Nordwind und lachte laut auf. »Frost! Das ist ja gerade mein größtes Vergnügen! Was bist Du übrigens für ein Klapperbein! Wie kommst Du in die Höhle der Winde?«

»Er ist mein Gast,« sagte die Alte, »und bist Du mit dieser Erklärung nicht zufrieden, so kannst Du in den Sack kommen! Verstehst Du mich nun?«

Sieh, das half, und der Nordwind erzählte, von wo er kam und wo er fast einen ganzen Monat gewesen.

»Vom Polarmeer komme ich,« sagte er; »ich bin auf dem Bäreneilande mit den russischen Walroßfängern gewesen. Ich saß und schlief auf dem Steuer, als sie vom Nordkap wegsegelten; wenn ich mitunter ein wenig erwachte, flog mir der Sturmvogel um die Beine. Das ist ein lustiger Vogel; er macht einen raschen Schlag mit den Flügeln, dann hält er sie unbeweglich ausgestreckt und fliegt doch fort.«

»Mache es nur nicht so weitläufig,« sagte die Mutter der Winde, »dann kamst Du nach dem Bäreneilande?«

»Dort ist es schön! Da ist ein Fußboden zum Tanzen, flach wie ein Teller, halbgetauter Schnee mit wenig Moos; scharfe Steine und Knochengerippe von Walrossen und Eisbären lagen da wie Riesenarme und Beine mit verschimmeltem Grün. Man möchte glauben, daß die Sonne nie darauf geschienen hätte. Ich blies ein wenig in den Nebel, damit man den Schuppen sehen konnte. Das war ein Haus von Wrackholz erbaut und mit Walroßhäuten überzogen; die Fleischseite war nach außen gekehrt, sie war rot und grün; auf dem Dache saß ein Eisbär und brummte. Ich ging nach dem Strande, sah nach den Vogelnestern, erblickte die nackten Jungen, die schrieen und den Schnabel aufsperrten; da blies ich in ihre Kehlen hinab, und sie lernten den Schnabel schließen. Weiterhin wälzten sich Walrosse wie lebende Eingeweide oder Riesenmaden mit Schweinsköpfen und ellenlangen Zähnen!«

»Du erzählst gut, mein Sohn,« sagte die Mutter. »Das Wasser läuft mir im Munde zusammen, wenn ich Dir zuhöre!«

»Dann ging es auf den Fang! Die Harpune wurde in die Brust des Walrosses geworfen, sodaß der dampfende Blutstrahl einem Spingbrunnen gleich über das Eis spritzte. Da gedachte ich auch meines Spieles; ich blies auf und ließ meine Segler, die klippenhohen Eisberge, die Boote einklemmen. Hui! wie man pfiff und wie man schrie, aber ich pfiff lauter; die toten Walroßkörper, Kisten und Tauwerk mußten sie auf das Eis auspacken; ich schüttelte die Schneeflocken über sie und ließ sie in den eingeklemmten Fahrzeugen mit ihrem Fang nach Süden treiben, um dort Salzwasser zu kosten. Sie kommen nie mehr nach dem Bäreneilande!«

»So hast Du ja Böses gethan!« sagte die Mutter der Winde.

»Was ich Gutes gethan habe, mögen die andern erzählen!« sagte er. »Aber da haben wir meinen Bruder vom Westen, ihn mag ich von allen am besten leiden, er schmeckt nach der See und führt eine herrliche Kälte mit sich!«

»Ist das der kleine Zephir?« fragte der Prinz.

»Ja wohl ist das Zephir!« sagte die Alte, »aber er ist doch nicht so klein. Früher war es ein hübscher Knabe, aber das ist nun vorbei!«

Er sah aus wie ein wilder Mann, aber er hatte einen Fallhut auf, um nicht zu Schaden zu kommen. In der Hand hielt er eine Mahagonikeule, in den amerikanischen Mahagoniwäldern gehauen. Das war nichts Geringes.

»Woher kommst Du?« fragte die Mutter.

»Von den Urwäldern,« sagte er, »wo die dornigen Lianen eine Hecke zwischen jedem Baume bilden, wo die Wasserschlange in dem nassen Grase liegt und die Menschen unnötig zu sein scheinen!«

»Was triebst Du dort?«

»Ich sah in den tiefen Fluß, sah, wie er von den Klippen stürzte, Staub wurde und gegen die Wolken flog, um den Regenbogen zu tragen. Ich sah den wilden Büffel im Flusse schwimmen, aber der Strom riß ihn mit sich fort; er trieb mit dem Schwarm der wilden Enten, welche in die Höhe flogen, wo das Wasser stürzte; der Büffel mußte hinunter; das gefiel mir, und ich blies einen Sturm, daß uralte Bäume zersplitterten und zu Spänen wurden.«

»Weiter hast Du nichts gethan?« fragte die Alte.

»Ich habe in den Savannen Purzelbäume geschossen, ich habe die wilden Pferde gestreichelt und Kokosnüsse geschüttelt! Ja, ja, ich habe Geschichten zu erzählen; aber man muß nicht alles sagen, was man weiß. Das weißt Du wohl, Alte!« Und dann küßte er seine Mutter, sodaß sie fast hintenüber gefallen wäre; er war wahrlich ein wilder Mann.