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»So, das ist also der Weg zum Garten des Paradieses?« fragte der Prinz.

Nun gingen sie in die Höhle hinein. Hu, wie war es dort eisig kalt! Aber es währte doch nicht lange. Der Ostwind breitete seine Flügel aus, und sie leuchteten gleich dem hellsten Feuer. Welche Höhle! Die großen Steinblöcke, von denen das Wasser träufelte, hingen über ihnen in den wunderbarsten Gestalten; bald war es da so eng, daß sie auf Händen und Füßen kriechen mußten, bald so hoch und ausgedehnt, wie in der freien Luft. Es sah aus, wie Grabkapellen mit stummen Orgelpfeifen und versteinerten Orgeln.

»Wir gehen wohl den Weg des Todes zum Garten des Paradieses?« fragte der Prinz, aber der Ostwind antwortete keine Silbe, zeigte vorwärts, und das schönste blaue Licht strahlte ihnen entgegen. Die Steinblöcke über ihnen wurden mehr und mehr ein Nebel, der zuletzt so klar war, wie eine weiße Wolke im Mondenschein. Nun waren sie in der herrlichsten, milden Luft, so frisch wie auf den Bergen, so duftend, wie bei den Rosen des Thales. Da strömte ein Fluß, so klar, als die Luft selbst, und die Fische waren wie Silber und Gold; purpurrote Aale, die bei jeder Bewegung blaue Feuerfunken sprühten, spielten da unten im Wasser, und die breiten Seerosenblätter hatten des Regenbogens Farben, die Blume selbst war eine rotgelbe, brennende Flamme, der das Wasser Nahrung gab, gleichwie das Öl die Lampe beständig im Brennen erhält. Eine feste Brücke von Marmor, aber so künstlich und fein ausgeschnitten, als wäre sie von Spitzen und Glasperlen gemacht, führte über das Wasser zur Insel der Glückseligkeit, wo der Garten des Paradieses blühte.

Der Ostwind nahm den Prinzen auf seine Arme und trug ihn hinüber. Da sangen die Blumen und Blätter die schönsten Lieder aus seiner Kindheit, aber so lieblich, wie keine menschliche Stimme singen kann.

Waren das Palmenbäume oder riesengroße Wasserpflanzen, die hier wuchsen? So saftige und große Bäume hatte der Prinz noch nie gesehen; in langen Kränzen hingen da die wunderlichsten Schlingpflanzen, wie man sie nur mit Farben und Gold auf dem Rande alter Gebetbücher, oder sich durch die Anfangsbuchstaben schlingend, abgebildet findet. Das waren die seltsamsten Zusammensetzungen von Vögeln, Blumen und Schnörkeln. Dicht daneben im Grase stand ein Schwarm Pfauen mit entfalteten, strahlenden Schweifen. Doch als der Prinz daran rührte, merkte er, daß es keine Tiere, sondern Pflanzen waren; es waren die großen Kletten, die hier gleich des Pfaues herrlichem Schweif strahlten. Der Löwe und der Tiger sprangen gleich geschmeidigen Katzen zwischen den grünen Hecken, die wie die Blumen des Ölbaumes dufteten, und der Löwe und der Tiger waren zahm; die wilde Waldtaube glänzte wie die schönste Perle und schlug mit ihren Flügeln den Löwen an die Mähne, und die Antilope, die sonst so scheu ist, stand und nickte mit dem Kopfe, als ob sie auch mitspielen wollte.

Nun kam die Fee des Paradieses; ihre Kleider strahlten wie die Sonne, und ihr Antlitz war mild, wie das einer frohen Mutter, wenn sie recht glücklich über ihr Kind ist. Sie war jung und schön, und die hübschesten Mädchen, jedes mit einem leuchtenden Stern im Haar, folgten ihr. Der Ostwind gab ihr das beschriebene Blatt vom Vogel Phönix und ihre Augen funkelten vor Freude; sie nahm den Prinzen bei der Hand und führte ihn in ihr Schloß hinein, wo die Wände Farben wie das prächtigste Tulpenblatt, wenn es gegen die Sonne gehalten wird, hatten; die Decke selbst war eine große, strahlende Blume, und je mehr man in dieselbe hinaufsah, desto tiefer erschien deren Becher. Der Prinz trat an das Fenster und sah durch eine der Scheiben; da sah er den Baum der Erkenntnis mit der Schlange, und Adam und Eva standen dicht dabei. »Sind die nicht fortgejagt?« fragte er, und die Fee lächelte und erklärte ihm, daß die Zeit auf jeder Scheibe so ihr Bild eingebrannt habe, aber nicht, wie man es zu sehen gewohnt, nein, es war Leben darin, die Blätter der Bäume bewegten sich, die Menschen kamen und gingen wie in einem Spiegelbilde. Er sah durch eine andere Scheibe, und da war Jakobs Traum, wo die Leiter gerade bis in den Himmel ging, und die Engel mit großen Schwingen schwebten auf und nieder. Ja, alles, was auf dieser Erde geschehen war, lebte und bewegte sich in den Glasscheiben; so künstliche Gemälde konnte nur die Zeit einbrennen.

Die Fee lächelte und führte ihn in einen großen und hohen Saal, dessen Wände durchscheinend erschienen, mit Bildern, wo das eine Gesicht schöner, als das andere war. Da waren Millionen Glückliche, die lächelten und sangen, sodaß es in eine Melodie zusammenfloß; die allerobersten waren so klein, daß sie kleiner erschienen, als die kleinste Rosenknospe, wenn sie wie ein Punkt auf dem Papier gezeichnet wird. Mitten im Saale stand ein großer Baum mit hängenden, üppigen Zweigen; goldene Äpfel, große und kleine, hingen wie Apfelsinen zwischen den grünen Blättern. Das war der Baum der Erkenntnis, von dessen Frucht Adam und Eva gegessen hatten. Von jedem Blatte tröpfelte ein glänzender, roter Tautropfen; es war, als ob der Baum blutige Thränen weinte.

»Laß uns nun in das Bot steigen!« sagte die Fee; »da wollen wir Erfrischungen auf dem schwellenden Wasser genießen! Das Bot schaukelt, kommt aber nicht von der Stelle, doch alle Länder der Erde gleiten an unseren Augen vorbei.« Es war eigentümlich zu sehen, wie sich die ganze Küste bewegte. Da kamen die hohen, schneebedeckten Alpen mit Wolken und schwarzen Tannen, das Horn erklang wehmütig und der Hirt jodelte hübsch im Thale. Nun bogen die Bananenbäume ihre langen, hängenden Zweige über das Bot nieder, kohlschwarze Schwäne schwammen auf dem Wasser und die seltsamsten Tiere und Blumen zeigten sich am Ufer; das war Australien, der fünfte Erdteil, der mit einer Aussicht auf die blauen Berge vorbeiglitt. Man hörte den Gesang der Priester und sah den Tanz der Wilden zum Schall der Trommeln und der knöchernen Trompeten. Ägyptens Pyramiden, die bis in die Wolken ragten, umgestürzte Säulen und Sphinxe, halb im Sande begraben, segelten vorbei. Die Nordlichter flammten über ausgebrannte Vulkane des Nordens; das war ein Feuerwerk, was niemand nachmachen konnte. Der Prinz war glücklich, ja er sah wohl hundertmal mehr, als wir hier erzählen.

»Kann ich immer hier bleiben?« fragte er.

»Das kommt auf Dich selbst an!« erwiderte die Fee. »Wenn Du nicht, wie Adam, Dich gelüsten läßt, das Verbotene zu thun, so kannst Du immer hier bleiben!«

»Ich werde die Äpfel auf dem Erkenntnisbaume nicht anrühren!« sagte der Prinz. »Hier sind ja Tausende von Früchten, ebenso schön wie die!«

»Prüfe Dich selbst, und bist Du nicht stark genug, so gehe mit dem Ostwinde, der Dich herbrachte; er fliegt nun zurück und läßt sich hier in hundert Jahren nicht wieder blicken. Die Zeit wird an diesem Orte für Dich vergehen, als wären es nur hundert Stunden, aber es ist eine lange Zeit für die Versuchung und Sünde. Jeden Abend, wenn ich von Dir gehe, muß ich Dir zurufen: ›Komm mit!‹ Ich muß Dir mit der Hand winken, aber bleibe zurück. Gehe nicht mit, denn da wird mit jedem Schritt Deine Sehnsucht größer werden; Du kommst in den Saal, wo der Baum der Erkenntnis wächst; ich schlafe unter seinen duftenden, hängenden Zweigen, Du wirst Dich über mich beugen und ich muß lächeln; drückst Du aber einen Kuß auf meinen Mund, so sinkt das Paradies tief in die Erde und es ist für Dich verloren. Der Wüste scharfer Wind wird Dich umsausen, der kalte Regen von Deinem Haare träufeln. Kummer und Drangsal wird Dein Erbteil.«

»Ich bleibe hier!« sagte der Prinz. Und der Ostwind küßte ihn auf die Stirn und sagte: »Sei stark, dann treffen wir uns hier nach hundert Jahren wieder! Lebe wohl, lebe wohl!«

Und der Ostwind breitete seine großen Schwingen aus; sie glänzten wie das Wetterleuchten in der Erntezeit oder wie das Nordlicht im kalten Winter.