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Das Grinsen in den Zügen der Krieger war verblasst. Imenja hob zum Abschied die Hand. »Gut gemacht, Krieger der Elai. Das Meer ist dank euch heute ein wenig sicherer. Geht und feiert euren Sieg mit eurem Volk.«

»Ja!«, stimmte der Krieger, der den Kelch geborgen hatte, ihr zu.

»Dann lebt wohl«, rief einer der anderen Krieger. »Und wir wünschen euch eine sichere Reise.«

»Vielen Dank für eure Hilfe!«

»Auf Wiedersehen!«

Jetzt kam der vierte Elai an die Oberfläche; er trug goldene Ketten um den Hals. Er sah sich um, stellte fest, dass seine Kameraden davonschwammen, und eilte hinter ihnen her.

Imenja drehte sich um und gab den Befehl, die Reise fortzusetzen.

»Nicht zu schnell«, fügte sie leise an den Kapitän gewandt hinzu. »Wenn der König der Elai von diesem Zwischenfall erfährt, möchte ich nicht, dass wir zu weit entfernt sind, um ihm die Gelegenheit zu geben, uns zu einer Rückkehr in sein Land einzuladen.« Der Kapitän nickte. Sie sah Reivan an und lächelte schief. »Das heißt«, murmelte sie, »falls er keinen Anstoß daran nimmt, dass ich einige junge, naive Krieger dazu verleitet habe, ein Plündererschiff zu versenken.«

45

Seit Emerahl in das Sumpfgebiet gekommen war, hatten die Einheimischen ihr jeden Abend eine Nachricht überbracht. Zuerst hatte es geheißen: »Folge dem Blut der Erde.« Das war offenkundig gewesen, da der rote Schlamm, den einige der Nebenläufe mit sich führten, kaum übersehen werden konnte. Sobald alles Wasser die gleiche Farbe hatte, hatte die Weisung »Begib dich zu dem flachen Berg« sie in dieselbe Richtung geführt. Nicht dass sie in einer geraden Linie hätte gehen können. Sie musste ihren Weg zwischen Inseln finden, deren kleinste nur wasserumspülte Grasbülten, deren größte aber schon kleine Hügel waren, und gleichzeitig alle für ihr Boot gefährlichen Untiefen meiden. Heute Morgen hatte sie sich bemühen müssen, »mit der stärksten Strömung zu kämpfen», die zu ihrer Erleichterung in einem ausreichend tiefen Kanal ging, um ihr Boot ohne Grundberührung hindurchzumanövrieren.

Sobald der Boden fest genug war, um mehr zu tragen als Grasbüschel, war sie auf eine hohe, üppige Pflanzenwelt gestoßen. Dünne Baumstämme ragten hoch in den Himmel, locker verwoben von Ranken aller Art. Wurden die Bäume allzu hoch für den sumpfigen Grund, lehnten sie sich schräg aneinander oder stürzten vollends um, und ihr gewaltiges Wurzelwerk erhob sich aus dem Morast.

Und es gibt keine Hinweise auf irgendwelche Höhlen, dachte Emerahl. Dazu finden sich hier einfach zu wenige Felsen. Ich schätze, ich habe noch einen weiten Weg vor mir.

Noch während ihr diese Überlegung durch den Sinn ging, erkannte sie, dass sie sich irrte. Der Fluss hatte eine Biegung gemacht, und vor ihr erhob sich eine Felswand, die kaum höher war als die Bäume. An ihrem Fuß hatte das Wasser flache Hohlräume ausgespült – keiner davon groß genug, um eine Höhle zu sein, aber es bestand durchaus die Möglichkeit, dass sich das bald ändern würde.

Ihr Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Der Fluss folgte weiterhin diesen niedrigen Klippen. Emerahl widerstand der Versuchung, das Boot schneller voranzutreiben. Unter der Oberfläche des trüben roten Wassers lagen noch immer Baumstümpfe und Untiefen verborgen.

Die Felswand wellte sich und zwang den Fluss in einen gewundenen Lauf. Nachdem sie seinen Biegungen über eine Stunde lang gefolgt war, umrundete sie eine Ecke und stieß einen Seufzer der Zufriedenheit aus.

Vor ihr weitete sich der Fluss zu einem kleinen See, an dessen Ufer sie ein Maßwerk von Löchern und Höhlen vorfand. Gekräuseltes Wasser auf dem See verriet ihr, wo darin die Strömung verlief. Sie führte sie direkt zum Eingang einer größeren Höhle. Emerahl hielt darauf zu. Unmittelbar bevor sie die Höhle erreichte, blickte sie zum Himmel auf und verzog ihr Gesicht zu einem grimmigen Lächeln.

Höhlen. Warum verschlägt es uns Unsterbliche immer wieder in Höhlen?

Das gedämpfte Licht des Sumpfwaldes verblasste rasch. Emerahl schuf ein Licht und ließ es vor sich leuchten. Das Dach der Höhle fiel so weit ab, dass ihre Mastspitze sie berührt haben würde, hätte sie nicht bereits am Vortag den Mast gelegt, damit er sich nicht in den zahlreichen Ranken und Lianen verfing. In ihrem Licht erkannte sie Öffnungen zu beiden Seiten, die in ein Labyrinth natürlicher Hohlräume und Durchgänge führten.

Sie folgte der Strömung weiter in die Felswand hinein. Sie verlief geradlinig und verriet sich weiter durch ein leichtes Kräuseln der Wasseroberfläche. Die Luft war feuchtigkeitsgeschwängert, und es herrschte eine beklemmende Stille.

Plötzlich wurde die Decke vor Emerahl so hoch, dass sich ihr Licht darin verlor, und die Wände und Höhlen zu beiden Seiten verschwanden ebenfalls. Sie verlangsamte ihre Fahrt, lief vorsichtig in die Leere vor ihr ein und erhellte ihr Licht so weit, bis es eine riesige Höhle ausleuchtete. Nur die von ihrem Boot verursachten Wellen bewegten hier noch das stille Wasser. Am gegenüberliegenden Ende der Höhle erkannte sie knapp über der Wasseroberfläche einen Felssims.

Und auf dem Felssims stand ein großer irdener Krug.

Das ist vermutlich die Stelle, an der ich von Bord gehen soll, überlegte sie.

Sie lenkte das Boot an den Felsvorsprung, griff nach ihrer Vorleine und ging an Land. Der Krug war gefüllt mit klarem Wasser. Emerahl sah sich um. In der Nähe gab es zwei Höhleneingänge. Über dem größeren war ein Symbol eingemeißelt – zwei kleine durch eine Linie verbundene Kreise.

Als sie Zug auf dem Anlegeseil spürte, wurde Emerahl klar, dass sie das Boot würde festmachen müssen, damit die Strömung es nicht davontrug. Dafür kam auf dem ansonsten leeren Felssims nur der Krug in Frage, falls er fest genug stand. Sie schlang das Seil darum und trat einen Schritt zurück, bereit, danach zu greifen, wenn der Krug sich bewegte. Das Seil straffte sich, aber der Krug blieb stehen. Emerahl stieß ihn vorsichtig an. Er schien fest genug zu stehen. Sie wandte sich ab und näherte sich der durch das Symbol gezeichneten Höhle. Sie bewegte ihr Licht durch den Eingang, und es erhellte einen kleinen Raum.

Der Raum war rund. Die Wände waren mit einem kunstvollen Muster aus Punkten bemalt. In der Mitte stand ein weiterer mit Wasser gefüllter Krug. Von der Decke tropfte Feuchtigkeit hinein.

»Wer bist du?«

Die Stimme sprach im Flüsterton und in einer lange ausgestorbenen Sprache. Emerahl konnte nicht erkennen, aus welcher Richtung sie gekommen war. Es klang so, als hätten zwei Personen gesprochen, aber das mochte auch an dem Echo im Raum liegen.

Emerahl überlegte, welchen Namen sie nennen sollte. »Ich bin…« Wer immer dort wartete, würde ihren richtigen Namen vielleicht nicht kennen, ging ihr plötzlich auf. »Ich bin die alte Hexe.«

»Warum bist du hier?«

»Um dich zu treffen«, antwortete sie.

»Dann trink und sei mir willkommen.«

Emerahl betrachtete den Krug argwöhnisch. Das Wasser war so klar, dass sie auf den Grund des Gefäßes sehen konnte. Gab es hier irgendetwas, das sie fürchten musste? Gewiss hätte die Möwe sie nicht in eine Falle geschickt. Nein, sie legte nur wieder einmal übertriebene Vorsicht an den Tag. Die Einladung war wahrscheinlich ein Ritual des guten Benehmens. Also tauchte sie eine Hand in das Wasser, führte ein wenig davon an ihre Lippen und nippte.

Sofort begann ihr Mund zu brennen. Sie keuchte und zuckte zurück, als könne das den Schmerz lindern. Das Gefühl breitete sich langsam aus. Sie berührte abermals ihr Gesicht und stellte erschrocken fest, dass es schnell anschwoll.

»Was…?«, versuchte sie zu sagen, aber ihre geschwollenen Lippen konnten keine Worte mehr formen.