Imenja würde das nicht zulassen, sagte sie sich. Sie ist ein guter Mensch. Und sie besitzt mächtige Gaben. Niemand würde es wagen, ihr den Gehorsam zu verweigern.
Wenn Imi sich keine Sorgen um die Zukunft machte, die ihrem Volk durch ihre Einmischung bevorstand, machte sie sich Sorgen, dass überhaupt nichts dergleichen geschehen würde. Dass die Pentadrianer sich auf die Bedingungen ihres Vaters nicht einlassen würden. Sie könnten zu dem Schluss kommen, dass die Elai nichts von Wert besaßen, das einen Handel mit ihnen rechtfertigte, oder dass die Elai zu schwach waren, um nützliche Verbündete abzugeben.
Selbst wenn das der Wahrheit entspräche, selbst wenn es nicht zu der Allianz kommen sollte, hat sich vieles für uns verändert.
Sie dachte an das Strahlen in den Augen der Krieger, die das Plündererschiff versenkt hatten. Vater wird sie nicht ohne weiteres davon abhalten können, das noch einmal zu versuchen. Oder andere Möglichkeiten zu ersinnen, um den Seeräubern Schaden zuzufügen. Er kann es ihnen verbieten, aber es würde ihnen nicht gefallen. Sie runzelte die Stirn. Ist das der einzige Grund, warum er den Boten ausgeschickt hat? Fürchtet er, die Leute würden ihm grollen oder sich sogar gegen ihn wenden, wenn er ihnen diese Chance verweigert zurückzuschlagen? Hatte er das Gefühl, keine Wahl zu haben? Ist das meine Schuld?
Nein, sagte sie sich. Selbst wenn er denkt, er müsse den Kriegern nachgeben, braucht er sich deswegen noch lange nicht auf die Pentadrianer einzulassen. Wir brauchen sie nicht, um gegen die Seeräuber zu kämpfen.
Aber wenn die Seeräuber sich als ein zu mächtiger Feind erweisen sollten, würden die Elai einen Verbündeten wie die Pentadrianer benötigen, der ihnen half.
Wenn dies. Wenn das. So viele Wenns.
Es klopfte an der Tür. Imi sah zu, wie Teiti aus ihrem Zimmer kam, um zu öffnen. Als Rissi an ihrer Tante vorbeitrat, seufzte sie vor Erleichterung.
»Hallo, Prinzessin.«
»Rissi«, erwiderte sie. Dies war eine willkommene Ablenkung. Sie fragte sich, ob er wohl lange bleiben konnte. Vielleicht konnten sie ein Tischspiel miteinander spielen. Ihr war alles recht, solange sie nur nicht an ihre Sorgen denken musste. Sie führte ihn zu einigen Stühlen hinüber. »Teiti, könntest du uns etwas zu trinken schicken lassen? Vielleicht auch etwas zu essen?«
Ihre Tante musterte Rissi mit schmalen Augen, dann nickte sie und verließ den Raum. Als Imi sich setzte, nahm auch Rissi zaghaft Platz. An seinen Armen waren dunkle bläuliche Flecken.
»Was ist mit dir passiert?«, fragte sie.
Er verzog das Gesicht. »Ich habe geübt.«
»Was hast du geübt?«
»Kämpfen.«
»Wozu das denn?« Sie runzelte die Stirn. »Ihr Jungen spielt doch nicht wieder Krieg, oder?«
Er grinste. »Nein. Ich und einige andere nehmen Unterricht in der Kriegskunst.«
»Oh.« Sie zuckte die Achseln. »Bist du nicht noch ein wenig jung dafür?«
Er machte ein finsteres Gesicht. »Nein.«
Sie biss sich auf die Lippen, als ihr klar wurde, dass sie ihn gekränkt hatte. Jungen waren so. Sie wollten älter wirken.
»Natürlich bist du nicht zu jung«, sagte sie entschuldigend. »Ist das etwas, das die Söhne aller Händler tun?«
Er wandte den Blick ab. »Wir müssen uns verteidigen können, wenn wir die Stadt verlassen.«
Sie sah ihn eindringlich an. Es steckte mehr hinter dieser Geschichte, das spürte sie. Er erwiderte ihren Blick, dann zuckte er die Achseln.
»Und außerdem will ich nicht Kaufmann werden. Ich will Krieger werden.«
Langsam trat Erschrecken an die Stelle ihrer Überraschung. Wenn er jetzt Krieger wurde, da die Krieger die Plünderer angreifen würden, könnte er dabei getötet werden. Und auch das wäre dann ihre Schuld.
»Der Erste Krieger hat mir versprochen, dass ich, sobald ich alt genug bin, einen Platz unter den Rekruten bekommen werde«, erklärte er. »Sofern ich die Prüfungen bestehe. Vater gefällt es nicht, aber er kann mich nicht aufhalten.«
»Warum?«, platzte Imi heraus.
Er breitete die Hände aus. »Weil er will, dass ich sein Geschäft übernehme.«
»Nein, ich meine, warum willst du Krieger werden?«
Er sah sie schweigend an, dann breitete sich langsam ein Lächeln auf seinen Zügen aus. »Weil, Prinzessin Imi, ich dich eines Tages heiraten werde.«
Teiti rettete sie vor der Notwendigkeit, sich eine Antwort auf diese Feststellung überlegen zu müssen. Die Tür zu ihrem Zimmer wurde geöffnet, und ihre Tante kam hereingestürzt. Auf einer Hand balancierte sie ein Tablett mit Essen, und in der anderen hielt sie einen Krug. Sie stellte beides auf einen Tisch neben Imi und Rissi, dann richtete sie sich auf.
»Der König hat dir eine Nachricht geschickt, Prinzessin«, sagte Teiti. Wenn Rissi sie besuchte, benutzte sie stets und mit großem Nachdruck die königlichen Titel. »Der Bote ist von den Pentadrianern zurückgekehrt. Sie haben sich mit allen Bedingungen einverstanden erklärt.«
Imi sprang auf. »Wirklich! Das ist ja wunderbar. Ich muss sofort mit Vater reden!«
Und ohne auf Teitis Protest zu achten, dass sie ihnen soeben erst etwas zu essen gebracht habe, nutzte Imi die Gelegenheit zu fliehen.
Während sie durch den Palast eilte, blitzte Ärger in ihr auf. Ich müsste eigentlich überglücklich sein, aber das hat Rissi mir gründlich verdorben. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war noch nie im Leben so verlegen! Und wie kommt er bloß auf die Idee, dass er mich heiraten könnte, indem er Krieger wird?
Dann fiel es ihr wieder ein. Sie hatte es ihm erzählt. Sie hatte ihm erzählt, dass ihr Vater sie wahrscheinlich mit einem Mann von königlichem Geblüt verheiraten würde, es sei denn, er käme zu dem Schluss, dass ein Kriegerführer von hohem Rang frisches Blut in die Familie bringen würde.
Es dürfte eine Menge dazugehören, Vater zu beeindrucken, dachte sie. Aber er ist bereit, es zumindest zu versuchen.
Und das, so überlegte sie, war ziemlich schmeichelhaft. Würde irgendeiner ihrer Vettern, ihrer Vettern zweiten Grades oder ihrer entfernteren Verwandten das tun? Sie bezweifelte es.
Lächelnd verlangsamte sie ihren Schritt und widmete sich der Frage, wo ihr Vater zu finden sein würde.
48
Ah, da ist er«, sagte Tamun und blickte von ihrem Webstuhl auf, um sich zum Höhleneingang umzudrehen.
Emerahl sah Surim die Treppe heraufkommen. Um seinen Hals hing eine gewaltige Schlange, deren Körper so dick war wie sein Oberschenkel und so lang, dass er sich das Tier zweimal um die Schultern gelegt hatte. Er trug es in den Teil der Höhle, in dem sie ihre Mahlzeiten zubereiteten, dann streifte er es sich von den Schultern.
Er blickte zu Emerahl hinüber und grinste. »Das Abendessen. Wir werden es uns heute Abend gutgehen lassen.«
Emerahl betrachtete die Schlange voller Entsetzen.
»Das wird ein recht langweiliges Mahl werden, wenn das alles ist, was du mitgebracht hast«, erwiderte Tamun.
»Ich habe noch mehr«, verteidigte sich Surim. Er griff in einen gewebten Beutel, der zuvor unter dem Leib der Schlange verborgen gewesen war, und zog mehrere Dinge heraus, allesamt pflanzlichen Ursprungs, wie Emerahl erleichtert bemerkte. Sie betrachtete die Schlange, die reglos auf dem Boden lag.
»Hast du schon mal Takker gegessen?«, fragte Surim.
Emerahl riss den Blick von dem Reptil los. »Nein.«
»Sie sind köstlich«, erklärte er. »In der Beschaffenheit ähnlich wie Breem, aber ein wenig fleischiger im Geschmack.«
»Du hättest etwas Alltäglicheres mitbringen sollen«, sagte Tamun missbilligend. Sie sah Emerahl an und lächelte. »Du brauchst es nicht zu essen. Es hat eine Weile gedauert, bis wir uns an diesen Ort angepasst hatten, aber wir haben uns an einige recht unübliche Ergänzungen unserer Kost gewöhnt. Du bist unser Gast, und…« Ihre Augen wurden schmal, als sie sich zu Surim umwandte. »Und man sollte nicht von dir erwarten, dass du dergleichen Dinge isst.«