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Danjin wirkte nicht überrascht. »Als zusätzlichen Schutz?«

»Ja. Die Siyee haben während des Krieges schreckliche Verluste erlitten. Selbst mit ihren neuen Jagdgeschirren werden sie niemals in der Lage sein, Invasoren zurückzuschlagen. Wir sollten zumindest sicherstellen, dass sie sich sofort mit uns in Verbindung setzen können, falls sie unsere Hilfe benötigen.«

Der Gedanke an die Siyee erfüllte sie mit einer anderen Art von Sehnsucht und Schmerz. Die Monate, die sie in Si verbracht hatte, waren allzu kurz gewesen. Sie wünschte, sie hätte einen Grund, dorthin zurückzukehren. Neben der aufrichtigen, unkomplizierten Lebensart der Siyee erschienen ihr die Ansprüche und Sorgen ihres eigenen Volkes lächerlich oder unnötig schäbig und selbstsüchtig.

Doch ihr Platz war hier. Die Götter mochten ihr die Gabe des Flugs gegeben haben, so dass sie über die Berge reisen und die Siyee überreden konnte, ein Bündnis mit den Weißen zu schließen, aber das bedeutete nicht, dass sie ein Volk dem anderen vorziehen durfte.

Dennoch darf ich auch die Siyee nicht im Stich lassen. Ich habe sie in den Krieg und in den Tod geführt. Ich muss dafür sorgen, dass sie wegen ihres Bündnisses mit uns nicht noch mehr Verluste erleiden.

»Der größte Teil ihres Landes ist für Landgeher fast unpassierbar«, bemerkte Danjin. »Das wird das Fortkommen von Eindringlingen verlangsamen und ihnen Zeit geben, Hilfe zu rufen.«

Sie lächelte über seine Verwendung des Ausdrucks der Siyee für gewöhnliche Menschen. »Vergiss die Zauberin nicht, die im vergangenen Jahr in Si eingedrungen ist, und diese grausamen Vögel, die sie hält. Selbst Zauberer von geringer Stärke könnten eine Menge Schaden anrichten, wenn sie unbemerkt ins Land gelangten.«

»Trotzdem, wenn die Pentadrianer uns abermals angreifen wollten, würden sie sich gewiss nicht mit Si abgeben.«

»Si ist dasjenige unserer verbündeten Länder, das dem südlichen Kontinent am nächsten liegt. Es gibt keine Priester dort, und die wenigen Siyee, die Gaben besitzen, verfügen nur über eine geringe Ausbildung. Sie sind unser schwächster Verbündeter.«

Danjin blickte nachdenklich drein, dann nickte er. »Es ist nicht so, als könnte Jarime nicht einige Priester und Priesterinnen erübrigen. Aber auf jeden Fall sollten unerschrockene junge Leute, die du nach Si schickst, auch gute Heiler sein. Du willst dir die Dankbarkeit der Siyee gewiss erhalten. In zwanzig Jahren werden sich die älteren Siyee noch immer daran erinnern, dass du König Berro gezwungen hast, die torenischen Siedler aus ihrem Land zu entfernen. Die jüngeren Siyee werden die Bedeutung dieser Tat nicht verstehen – oder sie werden sich einreden, dass sie es auch ohne dich geschafft hätten. Es wäre durchaus möglich, dass sie sich das jetzt schon einreden.« Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«

»Vorstellbar wäre es. Die Menschen können sich alles einreden, wenn sie einen Schuldigen suchen.«

Sie zuckte zusammen. Einen Schuldigen. Die Trauer hatte einige Leute dazu getrieben, die Schuld am Tod geliebter Menschen während des Krieges bei den Weißen oder sogar bei den Göttern zu suchen. Ihre Fähigkeit, die Trauer anderer zu spüren, war ein weiterer Nachteil ihrer Gabe, Gedanken zu lesen. Manchmal hatte sie das Gefühl, als betrauere jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in der Stadt den Verlust eines Verwandten oder Freundes.

Dann waren da noch die Überlebenden. Sie war nicht die Einzige, die von unwillkommenen Erinnerungen an den Krieg gequält wurde. Jeder, der gekämpft hatte, hatte schreckliche Dinge gesehen, und nicht alle Menschen konnten vergessen. Auraya schauderte bei dem Gedanken an die Alpträume, die sie seit der Schlacht gequält hatten. In diesen Träumen ging sie endlos über ein Schlachtfeld, und die verstümmelten Leichen von Männern und Frauen flehten um Hilfe oder schrien ihre Anklagen heraus.

Wir müssen alles tun, um einen weiteren Krieg zu vermeiden, ging es ihr durch den Kopf. Oder wir müssen eine bessere Möglichkeit finden, uns zu verteidigen. Wir Weißen verfügen über große magische Stärke. Gewiss können wir einen Weg finden, eine Schlacht zu bestreiten, ohne dass so viele Menschen sterben müssen.

Aber selbst wenn sie einen solchen Weg fanden, würde er ihnen vielleicht nichts nutzen, falls die Götter der Feinde real waren. Sie dachte an einen Morgen einige Tage vor der Schlacht zurück, als sie beobachtet hatte, wie die pentadrianische Armee die Minen verließ. Ihr Anführer hatte eine leuchtende Gestalt heraufbeschworen. Sie hätte das Bild als Illusion abtun können, hätten ihre Sinne ihr nicht gesagt, dass diese Gestalt über ungeheure magische Macht verfügte.

Die Zirkler hatten immer geglaubt, dass die Pentadrianer falschen Göttern folgten. Dass der Zirkel der Fünf aus den einzig wahren Göttern zusammengesetzt war, die den Krieg der Götter überlebt hatten. Wenn sie einen realen Gott gesehen hatte, wie war das dann möglich?

Die Weißen hatten nach der Schlacht die Götter befragt. Chaia hatte es durchaus für denkbar gehalten, dass sich seit dem Krieg neue Götter erhoben hatten. Er und die anderen Götter gingen dieser Frage derzeit nach.

Seither hatte sie die verschiedenen Möglichkeiten viele Male mit den anderen Weißen erörtert. Rian widerstrebte es, zu akzeptieren, dass neue Götter geboren worden sein könnten. Obwohl er normalerweise so leidenschaftlich und zuversichtlich war, brachte ihn die Aussicht auf neue Götter aus der Fassung und machte ihn wütend. Auraya verstand langsam, was hinter seiner Einstellung steckte: Für ihn mussten die Götter eine unbezwingbare Kraft in der Welt darstellen. Eine Kraft, die immer gleich blieb und auf die er sich verlassen konnte.

Mairae dagegen war unbesorgt. Die Vorstellung, dass es neue Götter auf der Welt geben könnte, beunruhigte sie nicht. »Wir dienen unseren fünf Göttern, das ist alles, was zählt«, hatte sie einmal gesagt.

Juran und Dyara waren nicht davon überzeugt, dass der »Gott«, den Auraya gesehen hatte, real war. Dennoch waren sie besorgter als Mairae. Wie Juran erklärt hatte, wären reale Götter eine große Bedrohung für Nordithania. Seiner Meinung nach hatten die Pentadrianer behauptet, dass ihre falschen Götter sie in den Krieg geschickt hätten, um sich auf diese Weise den Gehorsam ihres Volkes zu sichern. Jetzt war es möglich, dass diese Götter real waren und dass sie die Pentadrianer ermutigt oder ihnen vielleicht sogar befohlen hatten, in zirklische Länder einzufallen.

In einem Punkt waren sie sich alle einig: Wenn einer der pentadrianischen Götter tatsächlich existierte, existierten die übrigen wahrscheinlich ebenfalls. Kein Gott würde seinen Anhängern gestatten, neben ihm noch falschen Göttern zu dienen.

Auraya runzelte die Stirn. Ich bin davon überzeugt, dass das, was ich gesehen habe, ein realer Gott war, daher muss ich davon ausgehen, dass es fünf neue Götter auf dieser Welt gibt. Aber das ist doch gewiss

»Auraya?«

Sie zuckte zusammen und blickte zu Danjin auf. »Ja?«

»Hast du überhaupt etwas von dem gehört, was ich gerade gesagt habe?«

Sie verzog das Gesicht. »Nein. Entschuldige.«

Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen. Was immer dich so gründlich ablenken kann, muss wichtig sein.«

»Ja, aber es ist nichts, was mich nicht schon tausend Mal zuvor abgelenkt hätte. Was hast du gesagt?«

Danjin breitete die Hände aus und machte sich geduldig daran, noch einmal zu wiederholen, was er ihr erzählt hatte.

Emerahl saß reglos da.

Aus allen Richtungen drangen die Laute des nächtlichen Waldes auf sie ein: das Rascheln von Blättern, das Zirpen von Vögeln, das Knacken von Zweigen… Und irgendwo, nicht allzu weit entfernt, war das schwache Geräusch von Tritten zu hören.

Als es näher kam, straffte sie sich. Ein Schatten glitt in das Licht der Sterne.

Was ist das? Etwas Essbares, hoffe ich. Komm näher, kleine Kreatur