Выбрать главу

Es war ungemein ärgerlich. Sie war sich nicht sicher, was Mirar von ihr wollte. Als sie ihn auf dem Schlachtfeld entdeckt hatte, hatte er die Verletzten geheilt, geradeso wie alle anderen Traumweber es taten, aber offenkundig war diese Tarnung nicht ausreichend gewesen, sonst hätte er sie nicht gebeten, ihn fortzubringen. Allerdings hatte er nicht gesagt, wohin sie ihn bringen sollte. Diese Entscheidung hatte er ihr überlassen.

Da sie wusste, dass er dazu neigte, sich Ärger mit den Göttern einzuhandeln, hatte sie ihn an den sichersten und entlegensten Ort gebracht, den sie kannte. Schon bald darauf hatte sie Leiard entdeckt. Er schien ihre Gesellschaft nur deshalb zu akzeptieren, weil er keine andere Wahl hatte. Sie konnte die Gefühle beider Männer wahrnehmen. Die Erkenntnis, dass Mirars Geist offen und leicht zu lesen war, war ein Schock für sie gewesen. Erst mit einiger Verzögerung hatte sie sich daran erinnert, dass Mirar seine Gedanken niemals so gut hatte verbergen können wie sie selbst. Es war eine Fähigkeit, die zu erwerben Zeit und die Hilfe eines Gedankenlesers erforderte, und wie alle Gaben musste man sie stets üben, oder der Geist verlernte sie.

Das bedeutete, dass die Götter seine Gedanken lesen würden, wenn sie zufällig in seine Richtung schauten, und durch ihn würden sie sie sehen. Mirar wusste, wer sie war.

Natürlich würden sie eigentlich keinen Grund haben, diesen halbverrückten Traumweber überhaupt zu beachten. Eines wusste sie über die Götter: Auch sie konnten niemals an mehr als einem Ort zugleich sein. Entfernungen konnten sie binnen eines Augenblicks überwinden, aber ihre Aufmerksamkeit galt stets nur einem Punkt. Da sie so viele Dinge beschäftigten, waren die Chancen, dass sie Mirar bemerkten, gering.

Und wenn sie ihn bemerkten, für wen würden sie diese Person halten? Für Leiard oder für Mirar? Mirar hatte ihr etwas über die Götter erzählt, das sie zuvor nicht gewusst hatte. Sie konnten die körperliche Welt nur durch die Augen von Sterblichen sehen. Nach hundert Jahren lebten keine Sterblichen mehr, die Mirar schon früher begegnet waren, daher würde niemand ihn erkennen. Selbst jene Traumweber, die von ihren Vorgängern Netzerinnerungen an Mirar hatten, würden ihn jetzt nicht wiedererkennen. Die Erinnerung an die äußere Erscheinung war individuell verschieden.

Die einzigen Menschen, die ihn noch erkennen konnten, waren Unsterbliche: sie, andere Wilde und Juran von den Weißen. Doch der Mirar, den sie kannten, hatte viel gesünder ausgesehen als dieser Mann. Sein Haar war blond gewesen und sorgfältig frisiert. Er hatte glatte Haut und mehr Fleisch auf den Knochen gehabt. Als sie einmal eine Bemerkung über seine Veränderung gemacht hatte, hatte er gelacht und sich selbst beschrieben, wie er zwei Jahre zuvor ausgesehen hatte. Er hatte langes weißes Haar und einen Bart getragen und war noch magerer gewesen als jetzt.

Er machte sich größere Sorgen, dass man ihn als Leiard erkennen könnte, obwohl er den Grund dafür nicht nennen wollte. Anscheinend besaß Leiard eine ebenso große Begabung wie Mirar, sich in Schwierigkeiten zu bringen.

Der Marsch durch die Berge von Si war schwierig und langwierig, aber nicht unmöglich für Menschen, die über solch starke Gaben verfügten wie sie. Falls sie verfolgt wurden, mussten ihre Verfolger inzwischen weit zurückgefallen sein.

Mirar gähnte. »Wie lange dauert es noch?«

»Das lässt sich nicht sagen«, erwiderte sie. Sie hatte sich geweigert, ihm zu erklären, wohin sie gingen. Wenn er es gewusst hätte, hätten die Götter es möglicherweise in seinen Gedanken lesen und jemanden vorausschicken können, der sie abfing.

Ein Lächeln zuckte um seine Lippen. »Ich meinte, wie lange dauert es noch, bis das Breem gar ist?«

Sie lachte leise. »Wer’s glaubt! Du hast bisher jeden Abend gefragt, wie lange wir noch unterwegs sein werden.«

»Das ist wahr.« Er lächelte. »Also, wie lange noch?«

»Eine Stunde«, antwortete sie und deutete mit dem Kopf auf das Breem.

»Warum garst du es nicht mit Magie?«

»Das Fleisch schmeckt besser, wenn man es langsam gart, und außerdem bin ich zu müde, um mich zu konzentrieren.« Sie musterte ihn kritisch. Er sah erschöpft aus. »Schlaf jetzt ein wenig. Ich wecke dich, wenn das Essen fertig ist.«

Sein Nicken war kaum wahrnehmbar. Sie erhob sich und machte sich auf die Suche nach frischem Feuerholz. Morgen würden sie ihr Ziel erreichen. Morgen würden sie sich endlich vor den Blicken der Götter verstecken können.

Und dann?

Sie seufzte. Dann werde ich versuchen herauszufinden, was in seinem verworrenen Geist eigentlich vorgeht.

2

Die sind ja wunderschön«, sagte Teiti, als sie zum nächsten Marktstand weiterging.

Imi blickte zu den Lampen auf. Eine jede war aus einer riesigen Muschel gemacht, in die winzige Löcher gestoßen worden waren, so dass die Flamme im Innern der Lampe tausende kleiner nadelgroßer Lichtstrahlen aussandte. Sie waren sehr hübsch, aber nicht kostbar genug für ihren Vater. Nur etwas Seltenes würde ihn zufriedenstellen. Sie rümpfte die Nase und wandte den Blick ab.

Teiti verlor kein Wort mehr über die Lampen. Ihre Tante war lange genug Imis Beschützerin gewesen, um zu wissen, dass der Versuch, sie von der Schönheit eines Gegenstands zu überzeugen, genau das Gegenteil bewirken würde. Sie schlenderten zum nächsten Marktstand weiter. Dort standen dicht an dicht Schalen, die bis zum Rand mit Pulvern aller Farben gefüllt waren, während in anderen Gefäßen getrocknete Korallen und Algen zur Schau gestellt wurden, kostbare Steine, getrocknete oder konservierte Meerestiere und Pflanzen, die über und unter dem Wasser wuchsen.

»Sieh nur«, rief Teiti. »Amma! Das ist sehr selten. Dufthersteller machen daraus wunderbare Essenzen.«

Der Verkäufer, ein dicker Mann mit fettiger Haut, verbeugte sich vor Imi. »Hallo, kleine Prinzessin. Hat das Amma eure Aufmerksamkeit erregt?«, fragte er strahlend. »Es sind die getrockneten Tränen des Riesenfischs. Sehr selten. Möchtest du einmal daran riechen?«

»Nein.« Imi schüttelte den Kopf. »Mein Vater hat mir schon früher Amma gezeigt.«

»Natürlich.« Er verbeugte sich, während Imi sich abwandte. Teiti wirkte enttäuscht, sagte jedoch nichts. Als sie an mehreren weiteren Marktbuden vorbeikamen, stieß Imi schließlich einen Seufzer aus.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich hier irgendetwas finden werde«, jammerte sie. »Die seltensten und kostbarsten Dinge sind ohnehin direkt an meinen Vater gegangen, und er lässt bereits die besten Handwerker der Stadt für sich arbeiten.«

»Alles, was du ihm schenkst, wird kostbar sein«, erwiderte Teiti. »Selbst wenn es nur eine Handvoll Sand wäre, wäre sie ihm teuer.«

Imi runzelte ungeduldig die Stirn. »Ich weiß, aber dies ist sein vierzigster Ersttag. Das ist etwas ganz Besonderes. Ich muss etwas für ihn finden, das besser ist als alles, was er je bekommen hat. Ich wünschte…«

Sie ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen. Ich wünschte, er hätte zugestimmt, mit den Landgehern Handel zu treiben. Dann könnte ich etwas für ihn finden, das er noch nie zuvor gesehen hat.

Das war etwas, von dem sie eigentlich nichts hätte wissen dürfen. An dem Tag, an dem die Landgeherzauberin in die Stadt gekommen war, war Imi in ihrem Zimmer eingesperrt gewesen. Sie hatte Teiti rausgeschickt, damit ihre Tante herausfand, was vorging – aber das war nicht der einzige Grund gewesen. Imi hatte außerdem etwas tun wollen, bei dem sie nicht gesehen werden durfte.

Hinter einer alten, geschnitzten Vertäfelung in ihrem Zimmer befand sich ein schmaler Tunnel, der gerade so breit war, dass sie hindurchschlüpfen konnte. Er war ursprünglich versperrt gewesen, aber sie hatte den Durchgang schon vor langer Zeit geöffnet. Am Ende des Gangs befand sich ein geheimer, mit Rohren gesäumter Raum. Wenn sie ein Ohr an eines der Rohre legte, konnte sie hören, was am anderen Ende gesprochen wurde. Ihr Vater hatte ihr einmal davon erzählt und ihr auch erklärt, dass er auf diesem Weg die Geheimnisse der Leute in Erfahrung bringe.