»Ich... ich bin mir nicht sicher«, sagte sie.
Sie kam nicht dazu, ihren Gedankengang zu beenden. Die nur rund zehn Yard von uns entfernte Tür zum Verkaufsraum des Car Paradise wurde aufgerissen und ein dünnes Kerlchen in Cowboyhut, Westernstiefeln und einem braunen Fransenlederanzug stürmte heraus. Das war ganz eindeutig Nelson T. Bennet. Die Selbstverständlichkeit, mit der er den Cowboy spielte, hätte mir zu anderer Zeit ein Schmunzeln entlockt. Doch so starrte ich ihn mit plötzlichem Misstrauen an. Meine Idee, über diesen eigentümlichen Autofriedhof Kontakt zum Bruder des ermordeten Präsidenten herzustellen, kam mir mit einemmal absurd vor.
Bennets Kopf ruckte zu uns herum und einen kurzen Augenblick trafen sich unsere Blicke, noch nicht einmal so lang, wie ein Aufblitzen der Leuchtreklame dauerte. Doch es war offensichtlich lang genug, dass er mich erkannte: Seine Augen öffneten sich schreckensgeweitet und das professionelle Lächeln wich schlagartig aus seinem Gesicht.
Beim nächsten Aufblitzen der Leuchtreklame war er schon auf zwei Schritte an unseren Wagen herangekommen. Ich legte automatisch den Rückwärtsgang ein, bereit, bei jeder verdächtigen Bewegung sofort Vollgas zu geben. Es war etwas in Bennets Blick gewesen, das mich erschreckt hatte. Es war nicht unbedingt der Blick eines Menschen, der hive war. Aber es war in jedem Fall der Blick eines Menschen, der bis ins Mark getroffen war.
»Sie sind hier«, keuchte Kimberley. »Es sind Hive hier!«
»Bennet?«, fragte ich rasch.
Kimberley zuckte mit dem Kopf, kaum mehr als ein angedeutetes Kopfschütteln, dann aber nickte sie. »Ich weiß es nicht...«, stammelte sie hilflos.
Da war der schmalschultrige Cowboy mit dem viel zu großen Hut auch schon heran. Er riss ohne zu zögern an der Türklinke. Aber ich hatte sie nicht entriegelt und dachte auch gar nicht daran, das jetzt nachzuholen. Ganz im Gegenteiclass="underline" Mein Fuß spielte mit der Kupplung und der Wagen machte einen kleinen, grotesk anmutenden Satz nach hinten, bevor er wieder zur Ruhe kam.
»Mister Loengard, um Gottes Willen!«, rief Bennet, der der Bewegung des Wagens gefolgt war. Seine Stimme klang durch die geschlossene Fensterscheibe seltsam dumpf und dunkel. »Was wollen Sie hier?«
Sie sind hier, echote Kims Warnung durch meine Gedanken und das konnte alles oder auch nichts bedeuten. Fast erwartete ich, dass Bennet mit der übermenschlichen Kraft der Hive die Autotür mit einem Ruck aus den Angeln reißen und sich mit der nächsten Bewegung auf mich stürzen würde. Aber was, wenn er ungefährlich war, wenn er nach wie vor unsere einzige Chance war, direkt an Robert Kennedy heranzukommen?
»Gehen Sie von der Tür weg«, schrie ich Bennet zu.
Der vorgebliche Gebrauchtwagenverkäufer zuckte zusammen, als sei er geschlagen worden, wich dann aber gehorsam zwei, drei Schritte zurück. Im Licht der rotgrünblauen Glühlampen wirkte sein Gesicht wie eine groteske Karikatur eines Rodeoreiters, der sich zum Clown geschminkt hatte. Bei jedem Aufflackern des grellhellen Leuchtpfeils schlossen sich seine Augen zu einem schmalen Spalt. Trotzdem erkannte ich in ihnen die gleiche Art Angst und Unsicherheit, die auch mich ergriffen hatte.
Ohne den Gang auszukuppeln, kurbelte ich das Fenster einen Spalt runter. »Ich muss unbedingt Mister Robert sprechen«, sagte ich ungeduldig.
»Das geht jetzt nicht«, antwortete Bennet ungehalten. Sein rechtes Augenlid begann unkontrolliert zu zucken. »Mister Robert ist wegen dringender Familienangelegenheiten verhindert. Und Sie sollten sehen, dass Sie von hier verschwinden. Wir haben geschlossen!«
»Kommen Sie, Bennet«, sagte ich nicht weniger gereizt als er. »Es ist verdammt wichtig. Es geht ja gerade um diese... Familienangelegenheiten. Mister Robert wird es Ihnen sehr übel nehmen, wenn Sie ihn jetzt nicht unterrichten.«
»Das geht nicht.« Bennets rechte Hand kroch in die Tasche seines übertrieben wirkenden Fransenanzugs. Ich spürte, wie mir der kalte Schweiß ausbrach. Wenn der falsche Cowboy ebenso schnell mit der Waffe war wie seine Vorbilder in den Kinowestern, würde mich das Blech der Autotür nicht schützen. Nicht auf diese geringe Entfernung. »Wir haben...«
Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Hinter ihm wurde die Tür aufgerissen. Ein wahrer Hüne stürmte hervor und war mit ein paar wenigen Schritten bei Bennet.
»Was ist los?«, herrschte er den Autoverkäufer mit barscher Stimme an. Als Bennets Kopf herumfuhr, spürte ich, wie sich alles in mir verkrampfte. Der Mann war schnell und bewegte sich trotz seiner Größe mit einer katzengleichen Eleganz. Seine Kleidung wirkte neben der des Autoverkäufers, als käme er aus einer anderen Welt: dunkler Anzug mit hellem Hemd und unauffälliger Krawatte. Dazu ein schwarzer Hut mit grauem Hutband und ein Gesichtsausdruck, der zu glatt wirkte, um eine Emotion zu verraten. Der Mann sah aus wie Elliot Ness in der gleichnamigen Krimireihe, wenn er an der Spitze seiner Unbestechlichen das Lager eines Alkoholhändlers stürmte, um dem mittlerweile längst untergegangenen Gesetz der Prohibition Geltung zu verschaffen. Heute gehörte dieser Schlag Menschen zum FBI oder einer ähnlich staatlichen Organisation. Wenn ich Glück hatte, stand der Hüne auf der Gehaltsliste des Justizministers. Wenn nicht, sollte ich machen, dass ich so schnell wie möglich hier wegkam.
»Eh, nichts«, hörte ich Bennet sagen. Er drehte sich einfach um und ging mit langsamen, fast tänzelnden Bewegungen zum Eingang des angeblichen Gebrauchtwagenladens zurück. Erst da begriff ich. Der Hüne hatte uns nicht gesehen; ihm war der fremde Wagen mit den beiden Personen, die im ganzen Land wie Schwerverbrecher gesucht wurden, inmitten der chromglänzenden Gebrauchtwagen offensichtlich nicht aufgefallen. Das war mehr als Glück. Wahrscheinlich hatte ihn die Leuchtreklame, als er auf Bennet zustürmte, so geblendet, dass er unseren Dodge nur als undeutlichen Schemen erkennen konnte.
Bennet hatte die Tür erreicht, streckte die Hand nach der Klinke aus und drehte sich noch einmal um, als ob er etwas sagen wollte. Doch was auch immer er wollte: Es blieb bei der Absicht. Der Hüne zog mit einer fast lässigen Bewegung eine schwarz schimmernde Pistole hervor und erschoss Bennet.
Es war nur ein Schuss und er war aus der Hüfte abgefeuert worden und doch war er absolut tödlich. Bennet wurde mitten im Gesicht getroffen. Das Fauchen der Kugel, der Knall, Bennets rückwärts stolpernde Bewegung, seine Arme, die noch ein-, zweimal in der Luft ruderten, als ob er verzweifelt Halt suchte, die Blutwolke, die von seinem Gesicht aufstob, der grelle Finger der Leuchtreklame, die seinen fassungslosen Blick wie das Blitzlicht einer Kamera der Ewigkeit entreißen wollte - all das wirkte wie in Zeitlupe auf mich, wie eine grotesk verlangsamte Aufnahme eines grausigen, unglaublichen Vorgangs.
Mein Fuß rutschte im gleichen Moment von der Kupplung, als der Hüne mit einer eleganten Bewegung herumfuhr. Mein rechter Fuß trat ohne mein bewusstes Zutun das Gaspedal bis aufs Bodenblech durch. Die Räder des schweren Dodge wirbelten Staub und kleine Steine auf, ehe sie fassten und den Wagen schwerfällig nach hinten schoben. Langsam, viel zu langsam setzte sich der alte Wagen in Bewegung. In das Dröhnen des Motors mischten sich Kims Schrei und das harte Peitschen eines Schusses, den der Hüne direkt auf mich abgab.
Ein Schauer scharfkantiger Glassplitter regnete auf mich herab. Die Seitenscheibe des Dodge bestand natürlich noch nicht aus Sicherheitsglas, wie das heute üblich ist. Ein paar Splitter rissen meine Gesichtshaut auf und dünne Blutrinnsale wie nach einer arg missglückten Nassrasur rannen meine linke Wange hinab. In diesem Moment bemerkte ich es nicht einmal. Blinde Panik trieb mich an, weg von diesem Mann, der zweifelsohne Hive war und vielleicht sogar gefährlicher als Steel.
Der Mann machte keine Anstalten uns zu folgen. Er hatte die klassische Schussstellung eingenommen; sicherer Stand mit leicht vorgebeugtem Oberkörper und die linke Hand als Unterstützung der rechten Hand, die Hand mit der Pistole, die uns töten sollte oder zumindest kampfunfähig machen, damit er uns seinen Auftraggebern ausliefern konnte. In mir war kein Platz für einen klaren Gedanken und meine Beobachtung nichts mehr als eine Momentaufnahme, die mich rein instinktiv handeln ließ. Ich riss das Steuer wild zur Seite gerade in dem Augenblick, als er ein zweites Mal abdrückte. Der zweite Schuss prallte irgendwo über mir in das kalte Metall des Dodge. Die dritte Kugel fraß sich dicht neben meinem linken Ohr ins Wageninnere.