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»Aber es wird Zeit, dass wir es hinter uns bringen«, fuhr Steel fort. »Der nächste Schritt wird eingeleitet. Wir wissen jetzt, wie Menschen funktionieren; seit Roswell haben wir so vielen Gastrecht gewährt, die uns lehrten, wie Menschen denken, und denen wir dafür ein ganz besonderes Geschenk bereiteten.« Er lachte sein abscheuliches Lachen. »Erinnerst du dich nicht an diesen heißen Maitag 1953, Marcel, als dein Wagen plötzlich stotternd liegen blieb? Weißt du nicht mehr, dass du erst am nächsten frühen Morgen zu dir kamst, 20 Meilen weiter, direkt am Ortsschild von Radar Town? Hast du vergessen, was in der Zwischenzeit geschah? Hast du immer noch nicht begriffen, als die Hills selbst unter Hypnose aussagten, sie seien von uns entführt worden, und alle großen Fernsehanstalten darüber berichteten?«

»Was?«, keuchte Marcel. Seine Stimme hatte einen verzweifelten Klang angenommen und alle Kraft verloren, mit der er uns in den letzten Stunden angefeuert hatte. »Was soll das heißen?«

»Das heißt, dass du vorbereitet bist«, antwortete Steel fröhlich.

1963 war noch nicht die Zeit, in der man mit LSD experimentierte, und es war auch noch nicht die große Zeit des Farbdosen-Schnüffelns angebrochen. Aber auf dem nordamerikanischen Kontinent hatte sich aus uralter Zeit ein Wissen bewahrt, das von Mittelamerika kommend immer wieder erneuert wurde, ein Wissen um spezielle Pilzarten, die unter bestimmten Bedingungen halluzinogene Zustände hervorriefen, ein merkwürdiges freies Schweben, eine Klarheit im Kopf bei gleichzeitiger Verzerrung der Wirklichkeit. Ich konnte mich nicht mehr wirklich daran erinnern, wie Ray und ich als Kinder an dieses Zeug gekommen waren; wir mussten noch sehr klein gewesen sein, vielleicht sieben, acht Jahre alt. Es war ein Landarbeiter gewesen, der uns damit bekannt gemacht hatte, ein alter Mann, jedenfalls in meiner Erinnerung, ein Mann, in dessen Adern indianisches Blut pulsierte und den wir neugierige Dreikäsehochs bei irgendeiner geheimnisvollen Art von Zeremonie beobachtet hatten. Das war ein Fehler gewesen. Der alte Landarbeiter hatte uns mit seinen geheimnisvollen alten Riten vertraut gemacht oder zumindest so getan, als würde er es tun. Wahrscheinlich hatte er nichts weiter getan, als die Methode anzuwenden, mit der manche Eltern ihrem Nachwuchs die Neugierde aufs Zigarettenrauchen austrieben: Indem sie sie in jungen Jahren ein paar Züge von einem ekelhaften Kraut inhalieren ließen, der ihre Mägen revoltieren ließ und sie davon abbrachte, das Rauchen als eine wundervolle und erstrebenswerte Sache zu betrachten.

Das, was ich bei jedem Atemzug in meine Lungen spülte, hatte eine ganz ähnliche Wirkung wie damals das, was uns der Pfeifenqualm des Alten angetan hatte, das Gefühl der Unwirklichkeit, des Abgehobenseins verbunden mit einer schrecklichen Übelkeit, die mir den Magen umdrehte wie nach einer heftig durchzechten Nacht, in der man ohne Rücksicht die verschiedensten Alkoholsorten in sich hineinschüttet. Der ganze Gang schien zu pulsieren, sich auszudehnen und wieder zusammenzuziehen, in einem Rhythmus, in dem vielleicht ein gigantischer Walfisch atmete. Die letzten Sätze Steels kamen mir so fremd und abstrus vor, als würden sie mir von der fernen Erinnerung eines Albtraums zugetragen. Ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob er sie wirklich ausgesprochen hatte oder ob mir meine Phantasie einen Streich spielte. Aber ich wusste ganz genau, das Steel und Kim nur wenige Meter entfernt von mir standen, und ich sah mit seltsam geschärfter Klarheit, wie sich Ray zu ihnen gesellte.

»Habt ihr mir etwas eingepflanzt?«, fragte Marcel mit zitternder, vor ungläubigem Entsetzen verzerrter Stimme.

»Das, was ihr die Ganglien nennt, nun.« Steel spitzte die Lippen und lächelte dann plötzlich, ein Lächeln, bei dem sein ganzes Gesicht zu zerfließen schien. »Es ist schon komisch: Ihr findet das bedrohlich, dabei ist es so schrecklich harmlos. Eine wirklich nette Zwischenstufe. Aber doch nur dazu gedacht, dass mehr daraus entsteht, dass etwas erblüht, was wirklich groß und wahrhaft schrecklich ist.« Er lachte und es lag so viel hässlicher Triumph in seiner Stimme, dass alleine schon dieser Klang ausgereicht hätte, um mir den Magen umzudrehen. »Roswell war tatsächlich so etwas wie ein Wendepunkt. Und dabei habt ihr euch nie die richtigen Fragen gestellt.« Er schien einen Schritt auf mich zuzumachen, aber ich war mir nicht sicher; ich kniff die Augen zusammen und versuchte verzweifelt, in der um mich herum zerfließenden Wirklichkeit zu erkennen, was überhaupt vor sich ging. »Habt ihr euch nie gefragt, warum ihr erst seit 1947 mehr und immer mehr fremdartige Flugobjekte wahrgenommen habt? Habt ihr auch nie gefragt, warum plötzlich die Berichte über Entführungen durch Außerirdische aus aller Welt sprunghaft anstiegen? Habt ihr euch tatsächlich niemals gefragt, ob all diese Berichte nur die winzige kleine Spitze eines gigantischen Eisbergs sein könnten?« Er schüttelte den Kopf. »Tzz, tzz«, machte er. »So viel Dummheit muss ja bestraft werden. Truman und die anderen Idioten haben der Bevölkerung verschwiegen, was in Roswell wirklich passiert ist. Und deshalb hat sich die Weltöffentlichkeit nicht darauf einstellen können, uns das Leben schwer zu machen, sondern sie haben doch wirklich und tatsächlich darüber gestritten, ob es wirklich Entführungen gibt.« Er deutete eine Verbeugung an. »Danke schön, Menschheit.«

»Warum erzählst du uns das alles?«, hörte ich Marcels Stimme weit und entfernt und ihr merkwürdiger Klang konnte nicht alleine daran liegen, dass er in Panik war. Große Wellen von Übelkeit drängten meine Speiseröhre hinauf, aber das Schlimmste war die Benommenheit, die ich empfand, den Schwindel ähnlich dem, den man empfindet, wenn man sich auf einer unangemessen schnellen Achterbahn hat durchschütteln lassen.

»Weil es einen Grund zum Feiern gibt«, sagte Steel stolz. »1947 haben wir gesät, 1963 fahren wir die Ernte ein.«

»All die Entführten sind von Ganglien durchsetzt«, keuchte Marcel. »O mein Gott.«

»Von Ganglien«, sagte Steel verächtlich. »Was das schon für ein Wort ist! Aber nein, mein lieber Marcel, das ist es nicht, vor dem du Angst haben musst.«

»Was ist es dann, verdammt noch mal?«, schrie Marcel.

»Etwas viel Besseres.« Wieder kicherte Steel, ein widerwärtiger Laut, der unangenehm von den Wänden widerhallte und sich dort zu verstärken schien. Es war nicht nur dieser erbärmliche Gestank, der mir zu schaffen machte, sondern auch die penetrante Stimme dieses Mannes, der irgendetwas war, aber nicht das, was man einen Menschen nennt. Die Stimme glitschte um mich herum, als sei sie körperlich und habe es darauf abgesehen, meine Gedanken vollkommen zu zersetzen.

»Aber du bist, wie immer, auch diesmal nur zweite Wahl, mein Lieber.« Steel imitierte Bachs jovialen Tonfall, den Hochmut, mit dem er weitschweifige Erklärungen abgab, die bewiesen, wie effizient Majestic im Allgemeinen und Frank Bach im Besonderen war. Wahrscheinlich hatte Steel Bach schon immer wegen seiner Arroganz und seiner Macht gehasst und war ein umso willkommeneres Opfer für die Ganglien gewesen, die ihn an der wichtigsten Schaltstelle bei ihrer Bekämpfung gegen ihre selbst ernannten Jäger gezielt einsetzen konnten. Und da hatte Amerika in den letzten Jahren eine Hexenjagd auf die Kommunisten veranstaltet, nicht ahnend, dass das personifizierte Böse längst in anderer Gestalt unter ihnen zugeschlagen hatte!

Steel schien wieder ein Stück näher an mich herangekommen zu sein, aber das ging unter im Wust seiner Erklärungen, die er großsprecherisch wie ein Erstklässler abgab, der einer Horde kleinerer Kinder seine Lesekünste beweisen wollte. Ganz schwach reifte in mir der Gedanke, dass ich mir das vielleicht zu Nutze machen konnte. Doch dann wurde die sich vage abzeichnende Idee mit aufgesogen in den sich wild drehenden Strudel dessen, was bis heute Morgen noch mein Verstand gewesen war.