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Ich zwang mich mit aller Kraft, mit zur Schau gestellter Ruhe abzuwarten, bis der Fahrer unsere Tickets entwertet hatte, nahm den Koffer wieder auf und ging zu Kim, die im hinteren Teil des Greyhounds Platz genommen hatte. Erst dann gestattete ich mir einen Blick nach draußen. Der Parkplatz und das Motel lagen dunkel und reglos da. Steel war nicht zu sehen. Als ich mich neben Kim auf den kalten Kunstledersitz sinken ließ, schlossen sich die Türen mit einem durchdringenden Zischen und einen Augenblick später setzte sich der Greyhound in Bewegung. Steel tauchte nicht auf.

Aber keine zehn Minuten, nachdem der Greyhound das Motel verlassen und sich auf den Weg nach Dallas gemacht hatte, kam uns ein Wagen der Highway-Patrol mit heulenden Sirenen entgegen.

23. November 1963, 8:24

Hotel ›Texas‹, Fort Worth

Das Hotel TEXAS gehörte nicht zur obersten Preisklasse, rangierte aber in einer Kategorie, in der Leute wie Kim und ich normalerweise nicht abstiegen. Die Wagen, die vor der Tür parkten, waren groß und schwarz und schienen zum überwiegenden Teil aus Chrom und überdimensionalen Weißwandreifen zu bestehen, und vor der vierflügeligen Glastür stand ein Portier in einer pedantisch gebügelten Livree, der jeden, der an dem Hotel vorbeiging, misstrauisch beäugte. Offensichtlich hatte man den Mann hauptsächlich nach seiner Statur ausgewählt. Er war ungefähr so groß wie das Hotel und seine Schultern waren breit genug, um einen Schlachtkreuzer dahinter zu verstecken.

»Gib dir keine Mühe«, sagte Kim spöttisch. »Den schaffst du nicht.«

Ich sah sie einen Moment lang verständnislos an. Wir hatten in einem kleinen Café gegenüber dem Hotel Platz genommen; zwei der insgesamt nur fünf Tische standen vor dem Fenster, so dass wir das TEXAS im Auge behalten konnten, ohne selbst gesehen zu werden. »Wie?«

»Du siehst ihn an wie ein Profiboxer, der seinen Gegner mustert und nach einer schwachen Stelle sucht«, antwortete Kim. Mit einem angedeuteten Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Das ist nicht deine Gewichtsklasse, weißt du?«

»Das ist nicht komisch«, antwortete ich.

»Ich habe ja auch nicht gelacht, oder?« Kimberley nippte an ihrem Kaffee und wurde plötzlich sehr ernst. »Ich kann so nicht leben, John. Nicht auf Dauer.«

»Das müssen wir auch nicht«, log ich. »Kennedy hat uns bestimmt nicht aus Langeweile hierher bestellt. Wir werden Bach das Handwerk legen.«

»Falls Steel uns nicht vorher erwischt.«

Ich sagte nichts dazu. Kim hatte Recht, aber ich hatte in der zurückliegenden Nacht einfach ein paarmal zu oft an Steel gedacht - um genau zu sein, es war keine Sekunde vergangen, in der ich nicht an Steel gedacht hatte. Kim und ich hatten abwechselnd jeweils ein paar Stunden geschlafen, doch in der Zeit, in der ich wach gewesen war, hatte ich jeden Wagen misstrauisch beäugt, der den Bus überholt hatte. Keiner davon hatte versucht, den Bus abzudrängen oder sich quer auf den Highway zu stellen, um ihn zum Anhalten zu zwingen, und es waren auch keine Schüsse durch das Fenster gedrungen. Aber ich war dabei, mich selbst in eine gehörige Paranoia hineinzusteigern. Es gelang mir nicht, Steel ganz aus meinen Gedanken zu verbannen, aber immerhin konnte ich ihn in eine Ecke drängen, in der er mein Bewusstsein nicht zur Gänze beherrschte.

»Ich hoffe, er lässt mich durch«, sagte ich mit einer entsprechenden Kopfbewegung hin zum Portier. »Ich bin nicht gerade stadtfein.«

Das war noch geschmeichelt. Mein Anzug sah aus, als hätte ich darin geschlafen; und streng genommen hatte ich das ja auch.

Statt auf meine Worte zu reagieren, sah Kim auf die Armbanduhr und sagte dann: »Es wird Zeit.«

Ich trank den letzten Schluck Kaffee aus meiner Tasse, beugte mich unter den Tisch und drehte den Koffer, den ich darunter geschoben hatte, so herum, dass sein Inhalt allen neugierigen Blicken verborgen blieb, als ich ihn aufklappte. Meine Hände zitterten leicht, als ich die Waffe herausnahm und in die Zeitung schob, die wir vor einer halben Stunde gekauft hatten. Ich hatte sie nicht gelesen und ich würde es wahrscheinlich auch nicht tun. Ich wusste, was darin stand, und Kim und ich waren wahrscheinlich zwei von sehr wenigen Menschen auf der ganzen Welt, die wussten, dass es nicht die Wahrheit war.

Ganz plötzlich hatte ich das Gefühl, unter der Last dieses Geheimnisses zusammenbrechen zu müssen. Ich wollte aufspringen, losschreien, jedem hier im Café und jedem draußen auf der Straße die Wahrheit ins Gesicht schreien. Stattdessen klappte ich den Koffer mit einer schon übertrieben pedantischen Bewegung wieder zu, klemmte die Zeitung mit der darin verborgenen Waffe unter den linken Arm und stand auf.

»Behalt das Hotel im Auge«, sagte ich. »Zimmer 422. Wenn irgendetwas Auffälliges passiert, ruf an.«

»Und du spiel bitte nicht den Helden«, sagte Kim ernst. »Ich brauche dich noch.«

Ich verließ das Café, überquerte mit schnellen Schritten die Straße und betrat das Hotel. Der Portier machte keinen Versuch, mich aufzuhalten oder auch nur anzusprechen, aber ich konnte seine missbilligenden Blicke mit fast körperlicher Intensität spüren. Hätte mein Anzug nur zwei oder drei Falten mehr gehabt, hätte er mich wahrscheinlich nicht hereingelassen.

Das TEXAS empfing mich mit vornehmer Stille. Das Foyer war größer, als ich erwartet hatte, aber nicht besonders gut beleuchtet; gut zwei Dutzend kleiner Tischlampen erzeugten mehr Schatten als Helligkeit, aber für meinen Geschmack waren einfach zu viele Leute hier: zwei oder drei Paare unterschiedlichen Alters, ein paar junge Männer, die miteinander redeten oder Zeitung lasen... Ich schüttelte den Gedanken mit aller Kraft ab. Möglicherweise lief ich in eine Falle. Wenn Bach oder gar Steel mein Gespräch vergangene Nacht belauscht hatten, erwarteten sie mich sogar mit Sicherheit. Aber ich hatte keine Wahl. Wenn Bachs Leute tatsächlich hier irgendwo auf mich warteten, dann würde ich sie erst dann bemerken, wenn es sowieso zu spät war. Die Majestic-Agenten verstanden ihr Handwerk, das wusste ich. Schließlich hatte ich vor drei Tagen noch zu ihnen gehört.

Aber ich erreichte den Lift unbehelligt. Als die Türen aufglitten, warteten weder Steel noch ein anderer Killer auf mich. Ich drückte den Knopf für die fünfte Etage, wich bis an die verspiegelte Rückwand zurück und schob die rechte Hand in die zusammengelegte Zeitung. Der Stahl der Waffe, die darin verborgen war, fühlte sich eiskalt an, und er erfüllte mich weder mit Sicherheit, noch gab er mir irgendein Gefühl der Stärke. Ich war kein Kämpfer. Einem Mann wie Steel war ich nicht gewachsen, ob mit oder ohne Ganglion im Hirn.

Der Aufzug hielt an. Ich verließ die Kabine, sah sichernd nach rechts und links und wandte mich dann der Tür am Ende des langen, mit teuren Teppichen ausgelegten Flurs zu. Bevor ich sie öffnete, blieb ich eine Sekunde mit angehaltenem Atem stehen und lauschte, ohne allerdings auch nur den mindesten Laut zu hören. Rings um mich herum herrschte eine Stille, die schon fast zu tief war. Aber dies war ein teures Hotel. Die Zimmer würden schallisolierte Türen haben und die dicken Teppiche auf dem Boden mussten zusätzlich jeden Laut verschlucken. Es war alles in Ordnung. Der Einzige, mit dem hier etwas nicht stimmte, war ich selbst.

Ich betrat das Treppenhaus, lauschte noch einmal eine Sekunde und ging dann mit schnellen Schritten eine Etage nach unten. Nichts von alledem, was ich hier tat, hatte wahrscheinlich irgendeinen Sinn. Schließlich hatte ich genau die Techniken, mit denen ich seit zwei Tagen versuchte, meine Verfolger abzuschütteln, von genau diesen Verfolgern gelernt. Aber ich fühlte mich einfach besser, wenn ich es wenigstens versuchte.