»John?«, murmelte er. Dann weiteten sich seine Augen und er keuchte noch einmaclass="underline" »John? Was um alles in der Welt...«
Ich ließ ihn nicht ausreden, sondern legte die linke Hand auf seine Brust, schob ihn mit schon etwas mehr als nur sanfter Gewalt wieder ins Haus zurück und folgte ihm; gleichzeitig machte ich einen halben Schritt zur Seite, damit Kimberley mir folgen konnte, und warf die Haustür hinter mir mit dem Absatz zu. Das alles dauerte weniger als eine halbe Sekunde und Hertzogs Gesichtsausdruck nach zu schließen bekam er nicht einmal richtig mit, wie ihm geschah. Er war offensichtlich zu hundert Prozent damit beschäftigt, abwechselnd mich und Kim anzustarren.
»Hallo, Carl«, sagte ich. »Wir waren gerade in der Gegend und da dachte ich mir, wir schauen einfach mal vorbei. Sie haben doch nichts dagegen?«
Hertzog japste fassungslos nach Luft. »Sind... sind Sie wahnsinnig geworden?«, murmelte er. »Was... was tun Sie hier? Großer Gott, John – ganz Majestic sucht nach euch beiden! Ihr braucht...«
»Hilfe«, fiel ich ihm ins Wort. »Genau. Aus keinem anderen Grund sind wir hier.«
Hertzog antwortete nicht gleich. Sein Gesicht hatte mittlerweile noch mehr Farbe verloren und leuchtete weiß im Halbdunkel der Diele, aber ich sah, wie er am ganzen Leib zu zittern begann. Ich hatte die rechte Hand immer noch in der Manteltasche, aber plötzlich wurde mir klar, wie albern das war. Hertzog war gar nicht in der Verfassung, sie zu bemerken und zu glauben, dass ich vielleicht eine Waffe darin hielt, mit der ich auf ihn zielte.
»Bitte, John«, murmelte er. »Sie...«
Ich unterbrach ihn erneut: »Sind wir allein?«
Hertzog nickte. Mit sichtlicher Mühe löste er den Blick von meinem Gesicht, sah Kimberley an und dann wieder mich. »Ja.«
»Fünf Minuten«, sagte ich. »Mehr verlange ich nicht von Ihnen, Carl. Hören Sie uns fünf Minuten zu. Wenn Sie es dann noch wollen, gehen wir, und Sie sehen uns nie wieder.«
»Wenn Bach erfährt, dass Sie hier waren, sieht mich niemand mehr wieder«, murmelte Hertzog, nickte dann aber und trat mit einer einladenden Geste zurück. »Kommt mit. Wir sind allein, aber die Putzfrau kommt jeden Augenblick. Es ist besser, wenn sie euch nicht sieht.«
Wir folgten ihm die Treppe hinauf und in ein kleines, ausgesprochen ungemütlich eingerichtetes Arbeitszimmer, dessen Fenster auf den Garten hinaus ging. Hertzog deutete mit einer fahrigen Geste auf eine zerschlissene Chaiselongue, die unter dem Fenster stand, schloss sorgsam die Tür hinter sich ab und nahm dann auf dem einzigen verbliebenen Stuhl im Zimmer Platz; so weit von uns entfernt, wie es der Raum überhaupt zuließ.
»Fünf Minuten«, sagte er. »Und wenn Sie mich nicht davon überzeugen, dass Bach selbst hive ist und Kennedy ein Agent der Grauen war, gebe ich Ihnen weitere fünf Minuten Vorsprung und informiere dann Majestic.«
»Das ist fair«, antwortete ich.
»Ich spiele mit offenen Karten«, erwiderte Hertzog ruhig. Er hatte seine Überraschung halbwegs überwunden und natürlich meldete sich jetzt sein Misstrauen. Ich fragte mich, was Bach ihm über Kim und mich erzählt haben mochte.
»Wir brauchen Ihre Hilfe«, sagte ich. »Kim braucht Ihre Hilfe.«
Ich deutete auf Kimberley und erhaschte dabei einen Blick auf ihrem Gesicht, der mich beunruhigte. Sie hatte mit keinem Wort gegen meine Idee protestiert, ausgerechnet hierher zu kommen, und bisher hatte ich dieses überraschende Stillschweigen sogar mit einer gewissen Erleichterung hingenommen. Jetzt fragte ich mich, ob sie überhaupt begriffen hatte, was ich tat. Oder wo wir waren.
»Sie sehen nicht gut aus, meine Liebe«, sagte Hertzog. »Sind Sie krank?«
»Warum sonst wären wir wohl hier?«, fragte ich.
»Wenn Sie einen Arzt brauchen, dann kann ich Ihnen die Adresse eines Kollegen geben«, sagte Hertzog. »Keine Sorge, er wird keine Fragen stellen, sondern...«
»Ist er zufällig Spezialist für die Hive?«, fragte ich.
Diesmal dauerte Hertzogs Schweigen ein wenig länger. Er hatte sich nun wieder vollkommen in der Gewalt, aber man musste kein Gedankenleser sein, um zu erkennen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Was... meinen Sie damit?«, fragte er zögernd.
»Die ART, die Sie bei Kim durchgeführt haben«, antwortete ich. »Sie scheint nicht hundertprozentig erfolgreich gewesen zu sein, das meine ich damit.«
»Unsinn!«, antwortete Hertzog überzeugt. »Ich habe sie gründlich untersucht. Ein Dutzendmal. Verdammt, John, Sie waren dabei! In ihr ist kein Ganglion mehr und das wissen Sie so gut wie ich.«
»Träume«, murmelte Kim. Ihre Stimme klang flach, praktisch ausdruckslos und ihre Augen blieben leer. »Ich... habe Träume.«
»Das ist ganz normal, nach dem, was Sie mitgemacht haben«, erwiderte Hertzog. In seinen Augen blitzte es ärgerlich auf, als er sich wieder an mich wandte. »John, Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie sich selbst, Kim und zu guter Letzt auch mich in Gefahr bringen, weil Ihre Freundin ein paar schlechte Träume hat?«
»Warum hören Sie mir nicht einfach zu, Carl?«, fragte ich. »Vielleicht verstehen Sie mich danach besser.«
Hertzog setzte zu einer ärgerlichen Entgegnung an, beließ es dann aber doch nur bei einem Achselzucken und machte eine abgehackte, auffordernde Geste. Zugleich sah er auf die Uhr. »Sie haben noch drei Minuten.«
Natürlich brauchte ich länger als diese Zeit, um ihm zu erzählen, was seit unserer überstürzten Flucht aus Washington geschehen war. Hertzog hörte mir schweigend zu und es bedurfte abermals keiner sehr großen Menschenkenntnis, um zu begreifen, dass er mir nicht unbedingt jedes Wort glaubte. Trotzdem unterbrach er mich kein einziges Mal. Als ich fertig war, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte gute zehn Sekunden lang ins Leere.
»Oswald wurde heute Morgen in Dallas ermordet«, sagte er. »Es kam vor einer Stunde im Radio.«
»Ich weiß.«
»Sie könnten es dort gehört haben«, fuhr Hertzog fort. Er schüttelte den Kopf und lachte, leise und sehr nervös. »Warum sollte ich Ihnen diese verrückte Geschichte glauben, John? Und selbst, wenn sie wahr ist: Warum kommen Sie ausgerechnet zu mir? Sie wissen, dass ich...«
Er sprach nicht weiter, sondern biss sich auf die Unterlippe, und ich führte den begonnenen Satz für ihn zu Ende. »Ich weiß, dass Sie uns schon einmal an Bach verraten haben, Carl, das stimmt. Genau aus diesem Grund bin ich hier.«
»Wie?« Hertzogs Augen wurden schmal. »Sind Sie hier, um alte Schulden einzutreiben? Ich bin Ihnen gar nichts schuldig, wenn Sie das glauben.«
Das stimmte nicht und die Feindseligkeit in seiner Stimme war auch nicht echt, sondern purer Selbstschutz. Ich kannte Hertzog lange genug, um zu wissen, dass er sich den Verrat an Kim und mir niemals wirklich verziehen hatte. Wenn es bei Majestic überhaupt jemanden gab, der dem Begriff Freund nahe kam, dann war es Carl Hertzog gewesen – bis zu jenem Tag. Er hatte getan, was er glaubte tun zu müssen, aber ich wusste, wie sehr er unter diesem Vertrauensbruch litt.
»Sie sind der einzige Mensch in dieser Stadt, der uns helfen kann«, antwortete ich. »Vielleicht auf der ganzen Welt.«
»Unsinn!«, widersprach Hertzog. »Ich bin nur ein einfacher Arzt. Nicht einmal ein besonders guter, um ehrlich zu sein.«
»Aber Sie sind zufällig auch der einzige Spezialist für Ganglien«, erwiderte ich. »Und so ganz nebenbei auch der einzige Mensch in dieser Stadt, dem ich noch vertraue.«
Hertzog starrte mich überrascht an. »Mir?«