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»Ich will hier weg, John«, sagte Kim. Ihre Stimme klang eiskalt, so als habe sie jedes Gefühl verloren. Auf unangenehme Weise fühlte ich mich an Steel erinnert, an diese unwirklich wirkende Szene seines Gesprächs mit Ruby im schummerigen Hinterzimmer des Carousel Clubs. »Ich habe Angst«, fuhr Kim im selben grauenvoll unbeteiligten Tonfall fort. »Hertzog wird mit der halben Mannschaft Majestics hier auftauchen. Wie kannst du nur so naiv sein zu glauben, dass Bachs Leibarzt uns mehr Loyalität entgegenbringt als seinem Herrn und Meister?«

»Ich...«, begann ich, brach dann aber verwirrt ab. Kims Befürchtungen klangen durchaus plausibel. Und doch überschlugen sich meine Gedanken. Wie sollte ich Kim begreiflich machen, dass ich selbst ihr nicht trauen konnte? Wie konnte ich ihr so etwas überhaupt begreifbar machen, ohne dass sie das Gefühl bekam, ja, bekommen musste, dass ich mich innerlich sehr weit von ihr entfernt hatte? Und das Schlimmste war: Was auch immer da in ihr am Werke war, was immer sie befähigte, die Nähe eines Hive zu spüren – es war nichts Menschliches. Was nun, wenn der fremde Teil in ihr sie dazu zwang, Hertzog auszuweichen? Denn schließlich war er der einzige Mensch, der dem fremden Etwas in ihr gefährlich werden konnte. War es wirklich gesundes Misstrauen, das aus Kim sprach, oder etwas gänzlich anderes?

»Was ist nun?«, fragte Kim ungeduldig. »Mit jeder Minute, die verstreicht, sinken unsere Chancen.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte ich so fest wie möglich. Ich konnte aber nicht verhindern, dass meine Stimme fast unmerklich zitterte; jemand anderem würde das kaum auffallen, aber Kim konnte es nicht entgehen. Und dann wurde mir schlagartig klar, dass letztlich alles auf die Frage hinauslief, wem ich mehr traute: Kim oder Hertzog. »Hertzog ist schließlich die einzige Chance... um dir zu helfen...«, fuhr ich schließlich fort.

»Ach ja, ist er das?« Kim zog spöttisch die Augenbrauen nach oben. Ich kannte diesen Blick und ich fürchtete ihn; so reagierte sie nur, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlte. »Ist dein Mister Allwissend vielleicht auch in der Lage, sich gegen Bach und Steel durchzusetzen? Kann Mister Supermann vielleicht mit einem Fingerschnippen die Ermordung Kennedys rückgängig machen?« Sie lachte kurz und hart auf »Mach dir doch nichts vor, John. Er gehört mit zu Bachs Häschern, zu den Leuten, die tief in Kennedys Tod verstrickt sind. Und er wird nichts tun, was ihn selbst ernsthaft in Gefahr bringt.«

»Aber er hat uns schon einmal...«

»Er hat schon einmal was? An mir rumgepfuscht und uns dann verraten?« Kim schüttelte energisch den Kopf. »Nicht mehr mit mir. Nicht jetzt. Mir geht es gut. Ich kann die Hive orten, und das hat uns schließlich schon mehr als einmal gerettet. Möchtest du, dass ich diese Fähigkeit verliere?«

Ja, das will ich! hätte ich ihr am liebsten entgegengeschrien. Ich hätte sie liebend gern gepackt und alles aus ihr herausgeschüttelt, was so fremd, so unvorstellbar anders war als alles, was ich an ihr liebte und schätzte. Doch da schwelte noch mehr unter der Oberfläche. Die Gefahr schweißte uns unbarmherzig zusammen und hatte verdeckt, wie weit wir uns in den letzten Tagen und Wochen innerlich voneinander entfernt hatten. Wir waren uns fremd geworden, vielleicht nicht allein nur durch dieses unvorstellbare Ding, den Rest dieses Aliens, der sich bei ihr eingenistet hatte. Aber das war das Schlimmste von allem. Weil ich nie sicher sein konnte, warum Kim etwas sagte und tat: aus freien Stücken oder als Sklavin einer ekelhaft fremden Intelligenz.

Meine Gedanken und Gefühle mussten wohl deutlich in meinem Gesicht abzulesen sein. Denn Kim starrte mich aus großen, runden Augen an, in denen sich erst Unverständnis und dann Abscheu spiegelten. »Das ist es also«, sagte sie leise. »Du traust mir nicht mehr! Du denkst, ich wäre eine von ihnen!«

»Nein, ich...«

»Erzähl mir nichts, John.« Sie hob die Hände in einer kraftlosen Geste und ließ sie dann wieder fallen. »So weit ist es also schon«, fuhr sie leise fort. »Du hast dich innerlich so weit von mir entfernt, dass dir selbst dieser... dieser widerliche Hertzog näher steht als ich.« Sie schien einen Augenblick nahe dran zu sein, in Tränen auszubrechen. Doch dann ging ein spürbarer Ruck durch ihren Körper und sie lächelte traurig. »Zeit für mich zu gehen. Wir sollten uns hier und jetzt trennen.«

»Wie... was meinst du damit?«, fragte ich fassungslos.

Ich hätte sonst was darum gegeben, in diesem einen endlosen Augenblick ihre Gedanken lesen zu können. Sie kam mir so erschreckend fremd vor. Da war überhaupt nichts mehr, was sie mit mir zu verbinden schien. Nichts. Keine Liebe, keine Sympathie, ja, nicht einmal so etwas wie Achtung und Respekt.

»Das, was ich sagte.« Sie straffte sich und schüttelte dann leicht den Kopf. »Wir sollten uns trennen. Für den Moment. Ich kann im Büro der First Lady mehr erreichen, als wenn wir beide zusammenbleiben.«

Einen Herzschlag lang war es totenstill. Es war eine Stille, die auf unangenehme Weise mehr war als nur das Fehlen von Geräuschen. Das Einzige, was ich wahrnahm, war das harte und zu schnelle Hämmern meines Herzens.

»Das ist doch nicht wirklich der Grund, oder?«, fragte ich zögernd. »Du willst einfach nicht mehr mit mir zusammen sein, ist es das?«

Nachdem ich den Satz ausgesprochen hatte, kam ich mir ausgesprochen dumm vor. Es wäre klüger gewesen, ihn ungesagt zu lassen, das war mir sofort klar. Das Letzte, was wir gebrauchen konnten, war ein Streit, der hier und jetzt unsere ganze Beziehung in Frage stellte.

»Ich weiß es nicht, John«, sagte Kim und diesmal schimmerten in ihren Augen Tränen. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, dass ich raus muss aus diesem Albtraum. Es muss ein Ende haben. Ich kann nicht mehr.« Sie schluchzte auf, riss sich aber sofort wieder zusammen und versuchte so etwas wie ein Lächeln. Es wurde aber nur eine groteske Grimasse daraus.

»Und was schlägst du vor?«, fragte ich so beherrscht wie möglich. Alles in mir verlangte danach, sie in die Arme zu nehmen und zu trösten, wie man ein kleines Kind tröstet, das schlecht geträumt hat. Auf eine widerliche Art und Weise musste ich gleichzeitig daran denken, wie sich Steel Ruby genähert hatte, um ein ekelhaftes, zuckendes, tentakelbewehrtes kleines Ungeheuer von seinem Mund in den Rubys wandern zu lassen. Ich weiß nicht, warum ich einfach stock und steif stehen blieb; vielleicht war es diese Erinnerung, vielleicht aber auch einfach nur Sensibilität, die mich spüren ließ, dass Kim in diesem Moment jede Berührung zuwider sein würde.

»Wir haben doch keine Chance, an Robert Kennedy auf dem Friedhof heranzukommen«, sagte Kim. »Wir müssen auf irgendeine andere Art Kontakt mit ihm aufnehmen.« Das Wort wir in diesem Satz gefiel mir nicht. »Vielleicht gelingt es mir.«

»Und wie willst du das anstellen?«, fragte ich stirnrunzelnd.

»Über das Büro der First Lady«, sagte Kim rasch. »Ich habe immer noch meinen Ausweis. Mit ein bisschen Glück...«

»... wirst du nur verhaftet, sobald du dich dem Capitol näherst«, fiel ich ihr ins Wort. »Und mit ein bisschen weniger Glück erschießen sie dich gleich.« Ich machte eine heftige Handbewegung, als sie widersprechen wollte. »Das kommt nicht in Frage.«

»Ach nein?«, fragte Kim trotzig. »Hast du etwa eine bessere Idee?«

Diese Frage war im höchsten Maße unfair. Streng genommen hatte ich in den letzten Tagen nur noch spontan gehandelt. An Ideen hatte es mir dabei zwar nicht gemangelt, aber das war alles nur Stümperei gewesen. Wir waren auf der Flucht, gejagt wie Wild und wohl kaum fähig, in Ruhe einen genialen Plan auszutüfteln. Die einzige Chance, die wir im Augenblick hatten, hieß Robert Kennedy und die wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.