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»Also gut«, sagte ich schließlich. »Schließen wir einen Kompromiss.« Ich zögerte einen Moment, denn ich war absolut unsicher, ob uns das, was ich vorschlagen wollte, wirklich weiterbrachte.

»Und wie soll dieser Kompromiss aussehen?«, fragte Kim in einem Tonfall, der alles bedeuten konnte, nur nicht, dass sie es mir leicht machen würde.

»Er sieht so aus, dass wir dieses gastliche Haus sofort verlassen«, fuhr ich fort. »Aber gemeinsam.« Mir war während des Gesprächs klar geworden, dass wir uns selber um Kopf und Kragen spielen würden, wenn wir nicht wenigstens die Aussicht auf etwas Ruhe und Geborgenheit hatten. Wir glichen zwei bis aufs äußerste gespannten Federn – ein Zustand, der sich nur mit etwas Normalität vernünftig entspannen ließ. »Doch zuvor werde ich noch ein Telefonat führen. Wir brauchen einen sicheren Platz, an dem wir unsere Wunden lecken können, wenn diese Sache mit dem Artefakt ausgestanden ist.«

»Wen willst du anrufen?«, fragte Kim stirnrunzelnd.

»Meine Familie«, antwortete ich rasch. »Sie werden mitbekommen haben, dass man uns wie wilde Tiere hetzt. Ich will sie nicht in die Sache hineinziehen, aber wir brauchen ihre Hilfe, um etwas zur Ruhe zu kommen. Doch bevor wir das tun können, werden wir sofort unseren letzten Trumpf ausspielen, um mit Robert Kennedy Kontakt aufzunehmen.«

»Unseren letzten Trumpf?«, echote Kim. »Nun komm schon, John, mach es nicht so spannend.«

»Also gut«, sagte ich. »Unser letzter Trumpf heißt Nelson T. Bennet. Wir werden ihm jetzt sofort einen Besuch abstatten. Es wäre doch gelacht, wenn er uns nicht zu Kennedy bringen könnte.«

»Wer, zum Teufel, ist Nelson T. Bennet?«, fragte Kim argwöhnisch.

»Ein schwatzhafter Autoverkäufer. Und vielleicht der einzige Mann, der uns im Moment wirklich weiterhelfen kann.« Ich hatte das Bild des rotweinfarbenen Chevrolets, den mir dieses halbe Hemd im Cowboydress fast aufgeschwatzt hatte, so nah vor Augen, als hätte ich den Wagen erst gestern gesehen. Und doch schien mir der Besuch bei dem Gebrauchtwagenhändler eine Ewigkeit her zu sein. So als gehöre er zu einer längst untergegangenen Epoche meines Lebens, zu der es kein Zurück mehr gab. Und genau genommen stimmte das ja auch.

Wir hatten Glück. Hertzog hatte noch seinen alten Dodge in der Garage stehen, ein mindestens zwanzig Jahre altes Ungetüm, das mich an die frühen Filme von James Cagney in seiner typischen Rolle als unerbittlicher und doch innerlich zerrissener Gangsterboss erinnerte. Der Doktor hatte mir gegenüber einmal erwähnt, dass er sich von seinem ersten Wagen bislang nicht hatte trennen können. Eine Sentimentalität, die einem Mitarbeiter Majestics seltsam anstand. Aber schließlich nur ein weiterer Persönlichkeitszug, der ihn etwas menschlicher machte als die Marionetten Bachs, die auch vor einem Mord nicht zurückschreckten.

Ich rechnete damit, dass wir für den Weg zum Car Paradise gut zwanzig Minuten brauchen würden. Es wurde eine kleine Ewigkeit daraus. Der Dodge lief stur und unbeirrt durch den Regen, eher wie ein LKW als wie einer der relativ komfortablen Straßenkreuzer, die Anfang der 60er Jahre die Straßen zu dominieren begannen. Ein leichter Regen ließ die Fahrbahn hinter einem Vorhang glitzernder Tröpfchen verschwinden. Natürlich hatte dieses Prachtstück aus den frühen 40er Jahren keine Waschanlage für die Frontscheibe und so blieb mir nichts anderes übrig, als mit zugekniffenen Augen durch die zerkratzte Windschutzscheibe ins düstere Grau hinauszustarren und zu hoffen, dass ich trotz meiner Müdigkeit keine Brems– oder Ampellichter übersah.

»Es tropft«, sagte Kimberley, nachdem wir schon mindestens fünf Minuten wortlos durch die Nacht gefahren waren. »Das Dach ist undicht.«

»Damit werden wir wohl leben müssen«, antwortete ich müde. »Immerhin war es doch nett von Carl, dass er den Wagen aufgetankt und mit Zündschlüssel im Schloss in seiner Garage stehen hatte. Wir hätten ja wohl kaum per Anhalter fahren können.«

»Nein, aber wir hätten ein Taxi nehmen können«, sagte Kimberley. »Wir hätten uns doch etwas Geld von deinem Doktor ausleihen können...«

»Die Spur eines Taxis lässt sich leichter verfolgen als die eines Oldtimers«, sagte ich gereizt. Ich hatte jetzt absolut keine Lust auf eine Wir-hätten-doch-können-Diskussion. Und mir war auch nicht danach zu erklären, warum ich das ungefragte Ausleihen eines Autos in der jetzigen Situation für legitim hielt, nicht aber das Durchwühlen von Carls persönlichen Sachen auf der Suche nach ein paar Dollar. Dass Kimberley überhaupt auf eine solche Idee kam, beunruhigte mich. Es passte so gar nicht zu ihrem Charakter.

»Da vorne müssen wir, glaube ich, links«, unterbrach sie meine düsteren Gedanken. Sie hatte immer schon über einen guten Orientierungssinn verfügt und kannte sich in Washington fast besser aus als ich.

»Danke, ich kenne den Weg«, sagte ich schroff. Dabei stimmte das nicht ganz. Die Abzweigung hätte ich vermutlich übersehen. Denn in Gedanken war ich immer noch bei dem kurzen Telefonat mit Lucy, meiner Schwester, die ich aus einer Telefonzelle heraus nur drei Blocks von Hertzogs Haus entfernt angerufen hatte. Es war ein merkwürdiges Gespräch gewesen. Als meine Schwester begriffen hatte, wen sie da am Telefon hatte, war ihre an sich ruhige Stimme geradezu umgekippt. »John!«, hatte sie geschrien. »Was zur Hölle ist los? Wo bist du? Wie geht es dir? Was macht Kimberley?« Nachdem ich ihren Wortschwall einigermaßen hatte stoppen können, hatte ich alles versucht, um sie zu beruhigen und ihr gleichzeitig anzudeuten, dass wir in einigen Tagen Hilfe gebrauchen könnten. »Selbstverständlich. Was können wir tun?«, hatte sie gesagt und ich schäme mich nicht, dass meine Augen bei dieser Antwort feucht geworden waren. Ein Stück Kindheitsgeborgenheit schien in diesem Moment durch die Telefonleitung zu kriechen und die Erinnerung an wilde Tage stieg in mir hoch, an gemeinsam durchgestandene Jugendstreiche, an das Vertrauen zwischen uns vier Geschwistern, an dieses unendlich schöne Gefühl zu wissen, dass die anderen immer zu mir halten würden, egal, was geschah. Wir hatten uns vielleicht aus den Augen verloren, und doch war da noch immer dieses alte Gefühl der Verbundenheit, das uns durch unsere Kindheit getragen hatte – und letztlich auch das Gefühl, dass ich in meine Beziehung zu Kimberley mit hatte einbringen können.

Ich setzte den Blinker und bog vorsichtig in die Hauptstraße ein. Das Gespräch mit Lucy hat mir Mut gemacht und doch gleichzeitig verwirrt. Ich hatte ihr kurz und knapp erzählt, was wir vorhatten und dass ich mich nach unserer Stippvisite im Car Paradise wieder bei ihr melden würde. Sie hatte mir im Gegenzug berichtet, dass mein Bruder Ray nach Washington gefahren sei, um mir zu helfen. Das verstand ich nicht. Was konnte Ray dazu bewogen haben, sein alltägliches behütetes Leben aufzugeben, nur um aufs Geratewohl nach Washington zu kommen? Da musste mehr vorgefallen sein als nur eine Familiendiskussion, wie man einem Bruder helfen konnte.

Doch ich kam nicht dazu, den Gedankengang weiterzuverfolgen. Bei einem Blick in den Rückspiegel fiel mir ein grelles Scheinwerferpaar auf, das zuerst auf uns zuschoss und dann wieder zurückfiel. Ich verfluchte die Konstrukteure dieser alten Gurken, die den Wagen nur Rückfenster spendiert hatten, die kaum größer waren als der Sehschlitz eines Panzers. Ich konnte im Rückspiegel einfach nicht genug erkennen, um beurteilen zu können, ob wir verfolgt wurden oder nicht.

»Pass auf«, schrie Kimberley plötzlich. »Du rammst noch den Lastwagen.«

Sie hatte Recht. Ich trat auf die Bremse und der Wagen schlitterte rasiermesserscharf an einem alten, qualmenden Truck vorbei. Einen fürchterlichen Moment verlor ich die Kontrolle über den Wagen, kurbelte wie wild am Lenkrad. Doch dann fing sich der Dodge wieder und ich konnte ihn problemlos an dem Truck vorbeilenken. Als wir auf der Höhe des Führerhauses waren, drückte der Fahrer auf die Hupe. Das brutale Dröhnen ließ mich schmerzhaft zusammenzucken, aber das war ja wahrscheinlich genau das, was der Fahrer beabsichtigt hatte.