In Gedanken ganz bei der Familie, ging ich von der Küche in die Halle und sah, daß Moira auch die Eichentäfelung weiß hatte streichen lassen. Zunehmend belustigt dachte ich an die fernen Zeiten, als Alicia das ganze alte Holz mühsam gebleicht hatte, nur damit es Coochie wieder dunkel beizte; und ich nahm an, daß Malcolm vielleicht in vielem die Abwechslung liebte, nicht nur, was Frauen betraf.
Sein eigenes Zimmer, das immer» Büro «genannt wurde, obwohl es mehr einem gemütlichen, unaufgeräumten Wohnzimmer glich, war der letzten Neugestaltung offenbar entgangen, außer daß goldene Samtvorhänge an die Stelle der alten grünen getreten waren. Sonst schien das Zimmer wie stets von seiner starken Persönlichkeit erfüllt; die Wände waren bedeckt von zahlreichen gerahmten Fotos, die tiefen Schränke quollen von Akten über, die Bücherregale waren vollgestopft, auf jeder Ablage häuften sich Andenken an seine Reisen und Errungenschaften, und besonders ordentlich wirkte das alles nicht.
Ich ging an seinen Schreibtisch, um seinen Paß zu suchen, und erwartete halb, jeden Augenblick seine Stimme zu hören, obwohl ich ihn vierzig Meilen entfernt zurückgelassen hatte, als er gerade am Telefon auf» den Burschen, der Moira beschattet hat «einredete.
Sein Paß sollte rechts in der zweiten Schublade von oben sein, und da war er auch, in einem Wust von alten Reisedokumenten und erloschenen Krankenversicherungen. Malcolm warf selten etwas weg, meistens stellte er einen neuen Aktenschrank auf. Sein Ablagesystem war derart, daß niemand außer ihm die leiseste Ahnung hatte, wo irgendein Schriftstück oder eine Information zu finden war, doch er selbst konnte unfehlbar den
Finger darauf legen. Vor langer Zeit hatte er mir einmal gesagt, daß seine Methode darin bestand, alles dort abzulegen, wo er als erstes auf die Idee käme, es zu suchen; und als Kind war mir das so vernünftig erschienen, daß ich es seither genauso hielt.
Als ich mich noch einmal umsah, fiel mir auf, daß der Raum zwar mit Gegenständen vollgestopft war, einige vertraute jedoch fehlten. Der goldene Delphin etwa und der Goldbaum mit den Amethysten, und auch die silbernen georgianischen Kerzenständer. Vielleicht hatte er sie vorsichtshalber doch endlich in der Bank deponiert.
Ich ging mit dem Paß nach oben, um Kleider zur Ergänzung seines Hopplahoppgepäcks zu holen, und machte aus unwiderstehlicher Neugier einen Abstecher in das Zimmer, das mir gehört hatte. Ich erwartete eine leuchtende Umwandlung a la Moira, tatsächlich war aber noch alles beim alten, nur daß nichts von mir geblieben war.
Der Raum war ohne Leben; kahl. Das Bett war abgezogen bis auf die Matratze. Es gab keine Spinnweben, keinen Staub, nicht den muffigen Geruch der Vernachlässigung, doch die Botschaft war klar: Der Sohn, der hier geschlafen hatte, existierte nicht mehr.
Ein wenig schaudernd schloß ich die Tür und fragte mich, ob die völlige Zurückweisung von Malcolm oder von Moira ausgegangen war, dann sagte ich mir achselzuckend, daß mich das jetzt nicht mehr kümmerte.
Moiras Idee vom vollkommenen Schlafzimmer, so zeigte sich, war Pflaumenblau und Rosa, mit Lamellentüren an allen Ecken und Enden. Malcolms Ankleideraum nebenan hatte die gleiche Behandlung erfahren und ihr gemeinsames Bad ebenfalls, und als ich anfing, seine Sachen zusammenzuraffen, hatte ich stark das Gefühl, bei Fremden einzudringen.
Ich entdeckte Moiras Porträt nur, weil ich auf der Suche nach Pyjamas mit dem Fuß dagegen stieß: Es lag unter Malcolms
Kommode im Ankleideraum. Der quadratische Goldrahmen, den ich hervorzog, um nachzusehen, ob ich etwas kaputtgemacht hatte, paßte zu einem blassen Fleck an der Wand, und als ich ihn umdrehte, lächelte die schreckliche Moira mich mit ihrer ganzen unerträglichen Selbstzufriedenheit an.
Ich hatte vergessen, wie jung sie gewesen war und wie hübsch. Dreißig Jahre jünger als Malcolm; fünfunddreißig, als sie ihn geheiratet hatte, und zumindest auf dem Gemälde faltenlos. Rotblondes Haar, heller Teint ohne Sommersprossen, spitzes Kinn, schlanker Hals. Es kam mir vor, als hätte der Künstler die Berechnung in ihren Augen mit bestürzender Deutlichkeit eingefangen, und als ich einen Blick auf die Signatur am unteren Bildrand warf, begriff ich auch, wieso. Malcolm hatte ihr vielleicht keine Diamanten geschenkt, doch ihr Porträt war von bester Hand gemalt.
Ich schob sie mit dem Gesicht nach unten wieder unter die Kommode, wie ich sie gefunden hatte und wohin sie zweifellos von Malcolm verbannt worden war.
Aus der Rumpelkammer (deren Dekor unverändert war) holte ich einen Koffer, packte Malcolms Sachen ein, ging hinunter in die Halle und sah mich plötzlich einem kleinwüchsigen Mann mit einer großen Schrotflinte gegenüber, deren Mündung auf mich zielte.
Ich blieb abrupt stehen, wie es sich gehört.
«Nehmen Sie die Hände hoch«, sagte er rauh.
Ich stellte den Koffer auf den Boden und tat, was er verlangte. Er trug erdbeschmutzte Hosen und hatte Schmutz an den Händen, und ich fragte ihn sofort:»Sind Sie der Gärtner?«
«Und wenn ich das wäre? Was machen Sie hier?«
«Ich hole Kleider für meinen Vater… ehm, Mr. Pembroke. Ich bin sein Sohn.«
«Ich kenne Sie nicht. Ich rufe mal die Polizei. «Seine Stimme war angriffslustig, aber zittrig, die Flinte lag nicht allzu ruhig in seinen Händen.
«In Ordnung«, sagte ich.
Jetzt stand er vor dem Problem, wie er telefonieren sollte, während er auf mich zielte.
Da er unschlüssig war, sagte ich:»Ich kann beweisen, daß ich Mr. Pembrokes Sohn bin, und ich kann den Koffer aufmachen, damit Sie sehen, daß ich nichts stehlen wollte. Wäre Ihnen damit gedient?«
Nach einer Pause nickte er.»Aber Sie bleiben, wo Sie sind«, sagte er.
Ich kam zu dem Schluß, daß, wenn ich ihn erschreckte, es noch einen Tod im Haus meines Vaters geben würde, deshalb öffnete ich den Koffer ganz langsam und vorsichtig, nahm die Unterwäsche und das übrige und breitete alles auf dem Fußboden aus. Danach holte ich ebenso langsam meine Brieftasche heraus, klappte sie auf, entnahm eine Kreditkarte und legte sie mit dem Gesicht nach oben auf den Boden. Dann trat ich von den Exponaten zurück und blieb mit dem Rücken zur geschlossenen und verriegelten Haustür stehen.
Der ältliche Gärtner trat mißtrauisch vor und inspizierte die Ausstellung, indem er die Augen nur für Sekundenbruchteile senkte und sie rasch wieder hob, um mir keine Gelegenheit zu geben, ihn zu überrumpeln.
«Das ist sein Reisepaß«, sagte er anklagend.
«Er bat mich, ihn zu holen.«
«Wo ist er denn?«sagte er.»Wo will er hin?«
«Ich soll ihm seinen Reisepaß bringen. Wo er hinwill, weiß ich nicht. «Ich schwieg.»Ich bin wirklich sein Sohn. Sie müssen hier neu sein. Ich habe Sie noch nie gesehen.«
«Zwei Jahre«, verteidigte er sich.»Ich arbeite seit zwei Jahren hier. «Er schien mit einemmal geneigt, mir zu glauben, und ließ beinah entschuldigend die Flinte sinken.
«Das Haus soll eigentlich abgeschlossen sein«, sagte er.»Dann sehe ich Sie oben herumlaufen.«
«Verwirrend«, gab ich zu.
Er deutete auf Malcolms Sachen.»Packen Sie das am besten wieder ein.«
Unter seinem immer noch wachsamen Blick machte ich mich an die Arbeit.
«Es war mutig von Ihnen, hier hereinzukommen«, sagte ich,»wenn Sie dachten, ich sei ein Einbrecher.«
Er straffte mit einer alten unwillkürlichen Bewegung seine Schultern.»Ich war mal in der Armee. «Er entspannte sich und zuckte die Achseln.»Ehrlich gesagt, bin ich ganz leise hier rein, um die Polizei zu verständigen, aber dann kamen Sie die Treppe runter.«