Sein faltiges Gesicht zeigte Genugtuung.»Sagen Sie ihm, daß ich die Hunde versorge und alles gut in Schuß halte, bis er wiederkommt.«
«Er wird Ihnen dankbar sein.«
Ich nahm den Koffer, der noch in der Küchentür stand, warf einen letzten Blick auf Moiras leuchtende, quicklebendige Geranien, schüttelte die schmutzige Hand von Arthur Bellbrook und fuhr (mit dem Wagen, den ich am Morgen in London gemietet hatte) weiter nach Epsom.
Meine eigenen Sachen aus meiner unpersönlichen Vorortwohnung zu holen dauerte nur halb so lange. Anders als Malcolm bevorzugte ich nüchterne Überschaubarkeit, und da ich immer mit dem Gedanken spielte, mir eine bessere Bleibe zu suchen, mich aber irgendwie nie dazu aufraffen konnte, hatte ich das Wohnzimmer und die beiden anderen Räume lediglich mit neuen gemusterten Vorhängen geschmückt und mit einem Snaffles-Foto von Sergeant Murphy bei seinem Sieg im Grand National von 1923.
Ich zog statt Malcolms Hose eine eigene an, packte einen Koffer und steckte meinen Paß ein. Tiere hatte ich nicht zu versorgen, und dringende Rechnungen gab es auch keine. Nichts hinderte mich am Wegfahren.
Der rot leuchtende Knopf meines Anrufbeantworters zeigte an, daß Nachrichten vorlagen. Ich spulte das Band zurück und lauschte den körperlosen Stimmen, während ich alles aus dem Kühlschrank nahm, was vor meiner Rückkehr schimmlig oder ungenießbar werden konnte.
Irgend etwas hatte seit meinem Aufbruch gestern die Familie in fieberhafte Aktivität versetzt, wie wenn man einen Ameisenbau mit dem Stock aufstört.
Eine mädchenhafte Stimme, atemlos und eine Spur beunruhigt, meldete sich zuerst.»Ian, hier ist Serena. Warum bist du immer unterwegs? Schläfst du nicht zu Hause? Mami möchte wissen, wo Daddy ist. Sie weiß, daß ihr nicht miteinander sprecht, und sie hat einen Knall, wenn sie meint, du wüßtest, wo er ist. Aber sie bestand darauf, daß ich dich frage. Falls du es also doch weißt, ruf mich zurück, okay?«
Serena, meine Halbschwester, Alicias Tochter — das Kind, das sie ehelich geboren hatte. Serena war sieben Jahre jünger als ich und existierte in meiner Erinnerung hauptsächlich als ein blonder kleiner Feger, der mir gefolgt war wie ein Schatten — was meinem zwölfjährigen Ego arg geschmeichelt hatte. Am liebsten saß sie auf Malcolms Schoß, beschützt von seinen Armen, und immer hatte sie ihm, selbst wenn er böse war, ein Lächeln und hübsche neue Kleider entlocken können, obwohl ihr Schrank schon vollhing.
Als Alicia mit der damals sechsjährigen Serena und den beiden älteren Jungs aus dem Haus rauschte, war ich allein gewesen in der plötzlichen Stille ringsum, allein in der rüschenbesetzten Küche, allein und ungeplagt im Garten. Es kam eine Zeit, in der ich Gervase, den älteren Jungen, trotz seiner toten Ratten und anderen faulen Tricks regelrecht wieder herbeiwünschte; und genaugenommen war ich in der Leere nach seinem Weggang darauf verfallen, mein Küchenwandhäuschen zuzumauern, nicht während er dort war und darüber gefeixt hatte.
Auch als Erwachsener trug Gervase noch die Kennzeichen des geborenen Tyrannen: gemeiner Zug um den Mund, vorstoßender Zeigefinger, kaltes Anstarren von oben herab, sichtliches Vergnügen am Unbehagen anderer.
Serena, jetzt groß und schlank, verdiente ihren Lebensunterhalt mit Aerobicunterricht, kaufte noch immer karrenweise Kleider und redete nur mit mir, wenn sie etwas wollte.
«Mami möchte wissen, wo Daddy ist…«Die kindlichen Ausdrücke klangen eigenartig aus dem Mund einer Sechsundzwanzigjährigen; von allen seinen Kindern hatte sie sich als einzige geweigert, Malcolm Malcolm zu nennen.
Der nächste Anrufer war Gervase selbst. Ärgerlich begann er:»Ich mag diese Anrufbeantworter nicht. Gestern hab ich dich den ganzen Abend zu erreichen versucht, und dauernd höre ich nur deine affektierte Stimme, die mir sagt, ich soll meinen Namen und meine Rufnummer hinterlassen, also tu ich das jetzt mal, aber unter Protest. Hier ist dein Bruder Gervase, wie du sicher schon gemerkt hast, und wir müssen sofort Malcolm finden. Er ist vollkommen übergeschnappt. Es liegt in deinem eigenen Interesse, ihn zu finden, Ian. Wir müssen allesamt unsere Differenzen begraben und verhindern, daß er das Familienvermögen derart leichtsinnig verpulvert. «Er legte eine kurze Pause ein.»Ich nehme an, du weißt, daß er einer Busladung zurückgebliebener Kinder eine halbe Million — eine halbe Million — gespendet hat? Ich kriegte einen Anruf von so einer dummen Schnattergans, die sagte: >Ach, Mr. Pembroke, wie können wir Ihnen jemals danken?<, und als ich fragte, wofür, sagte sie, ob ich denn nicht der Mr. Pembroke wäre, der alle ihre Probleme aus der Welt geschafft hat, Mr. Malcolm Pembroke? >Gnä’ Frau<, meinte ich, >wovon reden Sie?< Da sagte sie es mir. Eine halbe Million Pfund. Hörst du, Ian? Er ist unzurechnungsfähig. Das übersteigt doch jedes Maß. Man muß ihn daran hindern, daß er solchen lächerlichen Regungen nachgibt. Wenn du mich fragst, das sind die ersten Anzeichen von Senilität. Du mußt ihn finden und uns sagen, wo er steckt, denn soweit ich feststellen kann, ist er nicht mehr ans Telefon gegangen, seit ich Freitag früh anrief und ihm sagte, daß Alicias Unterhalt in diesem Quartal noch nicht der Inflationsrate angepaßt worden ist. Ich erwarte, daß du dich unverzüglich meldest.«
Mit diesem definitiven Befehl brach die Nachricht ab, und ich sah ihn vor mir, wie er jetzt war — nicht den muskulösen, stämmigen Jungen mit den schwarzen Haaren, sondern den schlafferen, übergewichtigen Börsenmakler von fünfunddreißig, arrogant und aufgeblasen über seine Jahre hinaus. In einer Welt, die zunehmend von unehelichen Kindern bevölkert wurde, ärgerte ihn die eigene illegitime Geburt mehr und mehr. Übellaunig spielte er bei unpassenden Gelegenheiten darauf an und verunglimpfte den Vater, der zwar voreilig mit Alicia ins Bett gestiegen war, Gervase aber immer als seinen Sohn anerkannt hatte, schon bevor er ihm durch gesetzliche Adoption seinen Nachnamen gab.
Dennoch war Gervase als Kind von rüden Schulkameraden gehänselt worden, und damals hatte er einen allgemeinen Haß entwickelt, den er später auf mich konzentrierte, seinen Halbbruder Ian, der den Unterschied zwischen seiner und meiner Geburt weder begriff noch wichtig nahm. Es war verständlich, daß er in der schwierigen Reifezeit Schläge ausgeteilt hatte, aber meines Erachtens bedauerlich, daß es ihm nicht gelungen war, seine Bitterkeit zu überwinden. Sie blieb in ihm, nagte weiter, erfaßte seine ganze Persönlichkeit, führte häufig dazu, daß ihm die Leute aus dem Weg gingen, und brach sich in belehrenden Ergüssen oder grundlosen, gemeinen Eifersuchtsszenen Bahn.
Seine Frau schien ihn trotzdem nachsichtig zu lieben und hatte zwei Töchter geboren, die erste gut drei Jahre nach der groß gefeierten Hochzeit. Gervase hatte ein wenig zu oft gesagt, daß er unter keinen Umständen einem Kind das Leid aufbürden wolle, das er selbst habe ertragen müssen. Meiner Ansicht nach würde Gervase sich noch beim letzten Atemzug darüber grämen, daß auf seinem Totenschein das Wort» unehelich «erschien.
Sein Bruder Ferdinand war da ganz anders; er maß der Unehelichkeit keine Bedeutung bei — eine Formsache, mehr nicht.
Ferdinand war drei Jahre jünger als Gervase, ein Jahr jünger als ich und sah Malcolm ähnlicher als jeder andere, ein wandelnder Beweis seiner Vaterschaft. Neben den Gesichtszügen hatte er auch das finanzielle Gespür geerbt, doch da ihm Malcolms charakteristischer Tatendrang fehlte, hatte er sich eine Nische bei einer Versicherungsanstalt geschaffen, kein Multimillionenvermögen.
Als Kinder waren Ferdinand und ich Freunde gewesen, solange wir zusammen im Haus lebten, doch als Alicia ihn mitnahm, verdarb sie uns die Freundschaft gründlich, da sie all ihren Kindern den Groll der Vertriebenen einflüsterte. Jetzt sah mich Ferdinand oft ein wenig verwirrt an, als wüßte er nicht genau, was er gegen mich hatte; dann pflegte Alicia ihn scharf daran zu erinnern, daß ich mir seinen, Gervases und Serenas rechtmäßigen Anteil von Malcolms Geld unter den Nagel reißen würde, wenn er nicht achtgab, und seine Miene verdüsterte sich wieder vor Ablehnung.