Es war wirklich schade um Ferdinand, dachte ich, aber richtig unternommen hatte ich noch nie etwas.
Nach Gervase meldete sich meine Mutter Joyce auf dem Anrufbeantworter, so wütend, daß sie kaum zu verstehen war. Anscheinend hatte sie schon jemand auf die Sporting Life hingewiesen. Sie könne es nicht fassen, sagte sie. Ihr fehlten die Worte. (Wovon nichts zu merken war.) Wie konnte ich nur so blöd sein, Malcolm auf die Auktion in Newmarket zu schleppen denn daß er mit mir dort war, lag auf der Hand, sonst verkehrte er in diesem Milieu nicht —, und warum war ich bei unserem Gespräch am Morgen so falsch zu ihr gewesen? Ich solle sie unbedingt sofort zurückrufen, es handle sich um eine Krise, man müsse Malcolm Einhalt gebieten.
Die vierte und letzte Nachricht, ruhiger als Joyces hysterischer Ausbruch, kam von meinem Halbbruder Thomas, dem dritten Kind Malcolms, geboren von seiner ersten Frau Vivien.
Thomas, Ende Dreißig, vorzeitig erkahlend, mit hellem Teint und markantem rötlichem Schnurrbart, hatte eine Frau geheiratet, die ihn jedesmal, wenn sie den Mund auftat, bissig herabsetzte. (»Thomas ist natürlich überhaupt nicht zu gebrauchen für so etwas«- egal, was —, und» wenn der arme Thomas doch bloß imstande wäre, ein ordentliches Gehalt nach Hause zu bringen«, und» der gute Thomas gehört zu den Verlierern dieser Welt, nicht wahr, Schatz?«) Thomas ertrug das alles beinah klaglos, doch mir fiel auf, daß er mit den Jahren nicht mehr, sondern weniger zustande brachte und nicht entschlossener, sondern unentschlossener wurde, fast als hätte er sich Berenices Meinung zu eigen gemacht und angefangen, danach zu handeln.
«Ian«, sagte Thomas mit bedrückter Stimme,»hier ist Thomas. Ich versuche dich seit gestern nachmittag zu erreichen, aber du bist wohl nicht da. Ruf mich bitte an, wenn du meinen Brief gelesen hast.«
Ich hatte seinen Brief von der Fußmatte aufgehoben, aber noch nicht geöffnet. Jetzt riß ich das Kuvert auf und stellte fest, daß auch er ein Problem hatte. Ich las:
Lieber Ian,
Berenice macht sich ernstlich Sorgen wegen Malcolms rücksichtslosem Egoismus. Tatsache ist, sie hält mir andauernd vor, was für Summen er neuerdings zum Fenster rauswirft, und ehrlich gesagt, der Gedanke an den Teil von Malcolms Geld, der mir einmal zusteht, ist seit langem das einzige, was sie noch beschwichtigt hat. Wenn er es jetzt weiter in dem Tempo ausgibt, wird mein Leben ziemlich unerträglich werden, und ich würde Dir das nicht sagen, wenn Du nicht mein Bruder wärst und der Beste von dem Verein, was Du jetzt wahrscheinlich zum erstenmal von mir zu hören bekommst, aber manchmal denke ich, Du bist der einzige Vernünftige in der Familie, auch wenn Du diese gefährlichen Rennen reitest; also sag, kannst Du mal ein Wort mit Malcolm reden? Du bist doch der einzige, auf den er vielleicht noch hört, selbst wenn Ihr eine Ewigkeit nicht miteinander gesprochen habt — unglaublich, wenn man bedenkt, wie nah Ihr Euch immer gewesen seid. Da war die geldgeile Moira schuld, und ich nehme es ihr wirklich übel, obwohl Berenice immer meinte, alles und jedes, was Dich und Malcolm auseinanderbringt, könnte mir nur nützen, weil Malcolm Dich mit etwas Glück vielleicht enterbt. Na, das wollte ich jetzt nicht sagen, alter Knabe, aber um ehrlich zu sein, so sah Berenice die Sache, bis herauskam, daß Moira die Hälfte von allem als Abfindung fordern wollte, und ich dachte wirklich, Berenice kriegt einen Schlag, so wütend war sie, als sie das erfuhr. Im Ernst, Ian, es wäre gut für mein Seelenheil, wenn Du Malcolm beibringen könntest, daß wir alle auf dieses Geld angewiesen sind. Ich weiß nicht, was passiert, wenn er es weiter in dem Tempo ausgibt.
Ich beschwöre Dich, alter Knabe, mach, daß er damit aufhört.
Dein Bruder Thomas
Ich sah mir diesen reichlich verworrenen Brief und den
nachdrücklichen Appell in den Schlußsätzen mit den
hervorgehobenen Wörtern an, dachte an das unentwegte
Sperrfeuer der chronisch verstimmten Berenice und fühlte mich Thomas so brüderlich verbunden wie nie zuvor. Ich fand zwar immer noch, er sollte von seiner Frau verlangen, daß sie ihre Galle gefälligst hinunterschluckte, anstatt sie über ihn auszugießen, sein Selbstbewußtsein zu zerstören und immer und überall sein Ansehen zu schmälern; doch zumindest wurde mir jetzt einmal klar, wie er damit leben konnte — wie die süße
Verheißung künftigen Wohlstands ihm half, Berenice zu besänftigen.
Ich ahnte auch, warum er sie nicht einfach sitzenließ und seiner Wege ging: Ihm graute davor, es so zu machen wie Malcolm und Frau und Kinder aufzugeben, wenn der Ärger überhandnahm. Von klein auf war ihm beigebracht worden, Malcolms Unbeständigkeit zu verachten. Grimmig hielt er an Berenice und ihren beiden frechen Sprößlingen fest, die es ihm so schlecht lohnten; und ich gestand mir ein, daß ich aus Angst, den gleichen verhängnisvollen Fehlgriff zu tun, unverheiratet geblieben war.
Thomas’ Nachricht war die letzte auf dem Band. Ich nahm es aus dem Apparat, steckte es in meine Tasche und legte ein neues Band für kommende Nachrichten ein. Nach kurzer Überlegung sah ich dann noch eine Schachtel mit Familienfotos durch und suchte Gruppen- und Einzelaufnahmen heraus, die eine ziemlich umfassende Galerie von Pembrokes ergaben. Sie wanderte zusammen mit einem kleinen Kassettenrecorder und meiner besten Kamera in meinen Koffer.
Ich spielte zwar mit dem Gedanken, auf die eine oder andere Telefonnachricht zu antworten, ließ es aber sein. Die Diskussionen hätten doch zu nichts geführt. Ich war wirklich überzeugt, daß Malcolm mit dem Geld, das er durch seinen Fleiß und sein Geschick verdient hatte, ohne Einschränkung tun und lassen konnte, was er wollte. Wenn er beschloß, es einmal seinen Kindern zu geben, hatten wir Glück. Aber wir hatten keinen Anspruch darauf; nicht den geringsten. Es wäre mir schwergefallen, Thomas oder Joyce, Gervase oder Serena diese Auffassung nahezubringen, und abgesehen davon, daß ich es nicht wollte, hatte ich auch keine Zeit.
Ich legte den Koffer ins Auto, dazu mein Rennzeug — Sattel, Helm, Peitsche und Stiefel —, und fuhr zurück zum Savoy, wo ich Malcolm zu meiner Erleichterung unversehrt und unbehelligt vorfand.
Er saß zurückgelehnt in einem Sessel, auch heute für die City gekleidet, trank Champagner und rauchte eine übergroße Zigarre. Ihm gegenüber, auf der Kante eines genau gleichen Sessels, hockte ein dünner Mann in Malcolms Alter, aber von nicht annähernd so imposanter Erscheinung.
«Norman West«, sagte Malcolm, während er die Zigarre andeutungsweise auf seinen Besucher schwenkte, und zu dem Besucher sagte er:»Mein Sohn Ian.«
Norman West stand auf und gab mir kurz die Hand. Ich hatte noch nie einen Privatdetektiv kennengelernt, und es war nicht der Beruf, den ich mit diesem klammfingrigen, nervösen und abgerissenen Individuum in Verbindung gebracht haben würde. Er war mittelgroß, hatte graumelierte Haare, die dringend einer Wäsche bedurften, dunkle Ringe um die braunen Augen, ungesund graustichige Haut und einen gräulichen Bartschatten vom Vortag. Sein grauer Anzug wirkte alt und ungepflegt, seine Schuhe hatten vergessen, daß es Schuhcreme gab. Er paßte in eine Suite des Savoy wie ein Punkrocker in den Vatikan.
Als könnte er exakt meine Gedanken lesen, sagte er:»Wie ich Mr. Pembroke gerade erklärt habe, bin ich direkt von einer Nachtobservation hierhergekommen, da er betont hat, daß es dringend sei. Diese Kluft entsprach meinem Standort. Es ist nicht mein normaler Aufzug.«
«Kleider für jede Gelegenheit?«tippte ich.