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«Für dich?«fragte ich.

«Nun…«Sie konnte nicht offen von ihren Grundsätzen abrücken, aber die schienen zu wackeln.»Für die anderen«, sagte sie tapfer.

Ich blickte sie mit neuer Zuneigung an.»Du bist eine Heuchlerin, meine liebe Schwester«, sagte ich.

Gekränkt schlug sie zurück:»Vivien ist der Meinung, daß du versuchst, uns andere auszubooten, indem du dich bei Malcolm wieder beliebt machst.«

«Das sieht ihr ähnlich«, sagte ich.»Alicia ist sicher auch der Meinung, wenn Vivien sie ihr schon geflüstert hat.«

«Du bist wirklich ein Bastard.«

«Nein«, sagte ich mit zuckenden Mundwinkeln.»Gervase ist einer.«

«Ian!«

Ich lachte.»Ich werde Malcolm sagen, daß ihr euch sorgt. Ehrenwort, das kriege ich schon hin. Und jetzt muß ich mich umziehen und ein Rennen reiten. Bleibt ihr?«

Lucy zögerte, aber Edwin sagte:»Gewinnst du?«

«Wahrscheinlich nicht. Spart euer Geld.«

«Du nimmst die Sache nicht ernst«, sagte Lucy.

Ich sah ihr fest in die Augen.»Glaub mir«, sagte ich,»ich nehme sie sehr, sehr ernst. Niemand hatte das Recht, Moira zu ermorden, damit sie nicht die Hälfte von Malcolms Geld kassiert. Niemand hat das Recht, Malcolm zu ermorden, damit er es nicht weiter ausgibt. Er ist fair. Er wird uns allen genug hinterlassen, wenn die Zeit kommt, was hoffentlich noch zwanzig Jahre dauert. Sag den anderen, sie sollen sich abregen, beruhigen, Vertrauen haben. Malcolm nimmt euch alle auf den Arm, und ich halte das für gefährlich, aber er ist bestürzt über die Habgier um ihn herum und entschlossen, uns eine Lektion zu erteilen. Also sag ihnen, Lucy, sag Joyce und Vivien und allen anderen, daß wir um so weniger bekommen, je mehr wir einheimsen wollen. Je lauter wir protestieren, um so mehr gibt er aus.«

Sie erwiderte stumm meinen Blick. Schließlich sagte sie:»Ich schäme mich.«

«Humbug«, meinte Edwin heftig zu mir.»Du mußt Malcolm aufhalten. Du mußt.«

Lucy schüttelte den Kopf.»Ian hat recht.«

«Soll das heißen, er versucht es nicht mal?«fragte Edwin ungläubig.

«Bestimmt nicht«, antwortete Lucy.»Du hast doch gehört, was er gesagt hat. Hast du nicht gehört?«

«Das war alles Humbug.«

Lucy tätschelte mir den Arm.»Wenn wir schon hier sind, können wir ebensogut zusehen, wie du reitest. Geh dich

umziehen.«

Die Geste und der Tonfall waren schwesterlicher, als ich es gewohnt war, und mit einem Anflug von schlechtem Gewissen überlegte ich, daß ich mich für ihre Karriere seit ein paar Jahren kaum interessiert hatte.

«Was machen die Gedichte?«fragte ich.»Woran arbeitest du?«

Die Frage traf sie unvorbereitet. Ihr Gesicht wurde einen Moment lang leer und füllte sich dann, wie mir schien, mit einer sonderbaren Mischung von Traurigkeit und Panik.

«Im Augenblick an nichts«, sagte sie.»Schon seit längerem nicht«, und ich nickte fast entschuldigend, als hätte ich mich taktlos benommen. Auf dem Weg durch die Waage in den Umkleideraum sann ich darüber nach, daß Dichter wie Mathematiker ihre beste Leistung oft in jungen Jahren brachten. Lucy schrieb nicht; hatte womöglich ganz damit aufgehört. Und das karge Leben, das sie so lange geführt hatte, erschien ihr vielleicht nicht mehr so anziehend und befriedigend, wenn sie dabei war, den inneren Trost der schöpferischen Eingebung zu verlieren.

Arme Lucy, dachte ich. Das Leben konnte beschissen sein, wie Malcolm sagte. Sie hatte schon angefangen, den Wert des lang verachteten Wohlstands zu schätzen, sonst wäre sie nicht mit ihrem Anliegen nach Sandown Park gekommen, und den Aufruhr in ihrem geistigen Leben konnte ich nur ahnen. Wie eine Nonne, die ihren Glauben verliert, dachte ich. Nein, nicht wie eine Nonne. Lucy, die sehr direkt über Sex schrieb, so offen, daß ich jeden Zusammenhang mit Edwin für ausgeschlossen hielt (aber da konnte man sich täuschen), war alles andere als eine Nonne.

Während mir diese Dinge durch den Kopf gingen, zog ich meine Straßenkleidung aus, legte weiße Reithosen und einen scharlachroten Jersey mit blauen Streifen an den Ärmeln an und spürte die gewohnte zielgerichtete Erregung, die mich tief durchatmen ließ und ausgesprochen glücklich stimmte. Ich nahm an bis zu fünfzig Rennen im Jahr teil… und ich mußte schon bald eine neue Stelle finden, fiel mir ein, wollte ich regelmäßig Galopp reiten und einigermaßen in Form bleiben.

Draußen unterhielt ich mich eine Weile mit dem Besitzertrainer-Ehepaar, für das ich reiten sollte. Sie waren selbst bis vor zwanzig Jahren Querfeldeinrennen geritten, und es machte ihnen Spaß, das Ganze auf dem Umweg über mich noch einmal zu durchleben. George, der Mann, war jetzt als öffentlicher Trainer groß im Geschäft, aber Jo, die Frau, meldete ihre eigenen Pferde immer noch lieber für Amateurwettkämpfe. Gegenwärtig besaß sie drei Steepler, die alle recht gut waren. Es schadete mir in keiner Weise, auf ihnen gesehen und von Kennern des Rennsports mit diesem Stall in Verbindung gebracht zu werden.

«Young Higgins ist außer Rand und Band«, sagte Jo.

Young Higgins war der Name des heutigen Pferdes. Young Higgins war dreizehn, ein ehrwürdiger Gentleman, der antrat, um Pensionierungsgerüchte zu widerlegen.

«Außer Rand und Band «hieß für uns alle, daß er gesund und einsatzfähig war, mit vor Begeisterung gespitzten Ohren, und viel mehr konnte man in seinem Alter nicht verlangen. Schon ältere Pferde hatten das Grand National gewonnen, aber Young Higgins und ich waren bei unserem einzigen Versuch in dem großen Rennen gestürzt, und zu meinem Bedauern hatte Jo sich gegen weitere Anläufe entschieden.

«Bis gleich im Führring, Ian, vor dem Start«, sagte George, und Jo setzte hinzu:»Gönn dem alten Knaben was.«

Ich nickte lächelnd. Uns allen etwas zu gönnen war der Zweck der Veranstaltung. Auch Young Higgins sollte sein Vergnügen haben.

In dem Moment, als George und Jo sich in Richtung der

Tribüne absetzten, tippte mir von hinten jemand an die Schulter. Ich drehte mich um, um zu sehen, wer es war, und stand zu meiner völligen Verblüffung Lucys älterem Bruder gegenüber, Malcolms erstem Kind, meinem Halbbruder Donald.

«Gütiger Himmel«, sagte ich.»Du warst doch im Leben noch auf keinem Pferderennen.«

Er hatte mir das schon oft gesagt und etwas hochnäsig damit begründet, daß er den Wettrummel ablehne.

«Ich bin nicht wegen der Rennen gekommen«, erklärte er mürrisch.»Ich bin hier, um mit dir über Malcolms Geisteszustand zu sprechen.«

«Woher, ehm…?«: Ich brach ab.»Hat Joyce dich geschickt?«

«Was wäre denn dabei? Es geht uns alle an. Sicher, sie hat uns gesagt, wo du bist.«

«Hat sie es der ganzen Familie gesagt?«fragte ich ausdruckslos.

«Woher soll ich das wissen? Sie rief uns an. Ich glaube schon, daß sie jeden, den sie greifen konnte, angeklingelt hat. Du kennst sie ja. Schließlich ist sie deine Mutter.«

Selbst in so späten Jahren konnte er die alten Ressentiments nicht aus seinem Tonfall heraushalten — und vielleicht wurden sie mit dem Alter sogar noch stärker. Meine Mutter hatte seine verdrängt, gab er mir zu verstehen, und jede Indiskretion, die meine Mutter jemals beging, war irgendwie meine Schuld. So unlogisch dachte er, seit ich ihn kannte, und nichts hatte sich daran geändert.

Donald war in den Augen der Familie der Bruder, der mir am ähnlichsten sah, und ich wußte nicht recht, ob mir das gefiel. Unbestreitbar hatte er meine Größe und weniger intensiv blaue Augen als Malcolm. Er hatte auch braune Locken und war in den Schultern breiter als in den Hüften. Ich trug allerdings keinen buschigen Schnurrbart und hoffte sehr, daß ich nicht so wichtigtuerisch einherstolzierte; und manchmal, wenn ich mit Donald zusammengewesen war, achtete ich bewußt darauf, daß ich anders ging.

Als Malcolm Vivien hinauswarf, war Donalds Leben, wie er uns immer wieder sagte, derart aus den Fugen geraten, daß er nie richtig hatte entscheiden können, was er werden sollte. Leicht zu verkraften war ein solcher Umbruch sicher nicht, das wußte ich, aber Donald war damals erst neun gewesen — kein Alter, in dem Lebensentscheidungen anstehen. Jedenfalls war er als Erwachsener von einer Stelle im Hotelfach zur anderen gedriftet und schließlich als Geschäftsführer eines renommierten Golfclubs bei Henley-on-Thames vor Anker gegangen, ein Posten, der ihm wohl endlich den begehrten, für seine Selbstachtung sehr wichtigen gesellschaftlichen Status gab.