«Er wäre beinah ums Leben gekommen«, sagte ich ausdruckslos.
«Ja, Sir; nun, es tut mir leid, aber das ist der Stand der Dinge. «Er zögerte kurz.»Ich kann Ihre Zweifel verstehen, Sir. Es ist bestimmt nicht leicht für Sie. «Er hörte sich ganz menschlich an, wollte Trost spenden.
«Vielen Dank jedenfalls, daß Sie mit mir gesprochen haben«, sagte ich.
«In Ordnung, Sir. Wiederschaun.«
«Wiederschaun«, sagte ich langsam, aber er hatte schon aufgelegt.
«Was ist denn jetzt los?«fragte Malcolm, als er mein Gesicht sah. Ich berichtete, was ich gerade erfahren hatte.
«Unmöglich!«brauste Malcolm auf.
«Nein.«
«Was dann?«
«Clever.«
Kapitel 8
Wo bist du mit den Hunden rausgegangen?«fragte ich.»Zur Küchentür, wie immer.«
«Von der Küchentür zum Hintereingang der Garage sind es etwa fünf Schritte über den Pflasterweg.«
«Ja, natürlich«, sagte Malcolm gereizt.
«Du hast mir erzählt, du seist mit den Hunden runter zum Garten gegangen, und ich nehme an, das hast du auch der Polizei gesagt.«
«Selbstverständlich.«
«Aber du kannst dich nicht genau erinnern, ob du wirklich gegangen bist. Du erinnerst dich nur, daß du es wolltest, war’s nicht so?«
Er krauste die Stirn.»Wahrscheinlich.«
«Was wäre also, wenn du gar nicht bis zum Garten gekommen bist, sondern direkt vor der Küchentür bewußtlos geschlagen wurdest? Und wenn man dich nicht von dort zur Garage geschleift, sondern getragen hat?«
Sein Mund klappte auf.»Aber ich bin.«
«Du bist nicht zu schwer«, sagte ich.»Im Feuerwehrgriff könnte ich dich ohne weiteres tragen.«
Er war eins siebzig groß, stämmig, aber nicht dick. Er wog 65 Kilo, über den Daumen gepeilt.
«Und die Fingerabdrücke?«fragte Norman West.
«Im Feuerwehrgriff«, sagte ich,»legt man sich den, den man tragen will, doch über die linke Schulter, so daß sein Kopf über den Rücken herunterhängt, ja? Dann umfaßt man mit dem linken Arm seine Knie und hält sein rechtes Handgelenk mit der rechten Hand fest, damit er nicht abrutscht.«
Sie nickten beide.
«Wenn man aber jemand am Handgelenk festhält, kann man seine Hand mühelos auf jede beliebige Fläche auflegen, einschließlich der Autotürgriffe… besonders«, überlegte ich,»wenn man die Türen vorher selbst mit Handschuhen geöffnet hat; die Abdrücke des Opfers werden dann auf den verwischten Stellen angebracht.«
«Du hättest Killer werden sollen«, sagte Malcolm.»Du wärst ein guter.«
«Jetzt liegst du also zusammengesackt auf dem Rücksitz, wie du erzählt hast, Malcolm. Als nächstes wirft man den Motor an und läßt die Türen offen, damit die ganzen schönen Dämpfe schnell ins Auto strömen.«
«Türen?«unterbrach Malcolm.
«Die Fahrertür und mindestens eine hintere.«
«Ah ja.«
«Und so bekommt man«, sagte ich,»einen Selbstmord.«
«Und als ich aufwachte«, sagte Malcolm düster,»habe ich noch rundum meine Fingerabdrücke verteilt. Auf dem Zündschlüssel… überall.«
«Womit jedoch niemand rechnen konnte.«
«Nur für die Polizei sah es übel aus.«
Wir vervollständigten das Szenario.
«Wenn es sich so abgespielt hat«, sagte West,»was sehr wohl sein könnte, dann muß Ihr Angreifer gewußt haben, daß Sie um diese Zeit zur Küche rauskommen würden.«
Malcolm sagte finster:»Wenn ich zu Hause bin, gehe ich immer um die Zeit mit den Hunden weg. Laß sie laufen, bringe sie wieder rein, füttere sie, mache mir was zu trinken. Routine.«
«Und… ehm, gibt es jemand in Ihrer Familie, der nicht weiß, wann Sie die Hunde ausführen?«»Ich tu das schon mein Leben lang um diese Zeit«, sagte Malcolm.
Ein kurzes Schweigen entstand, dann sagte ich:»Ich wünschte, ich hätte das alles gewußt, als das Auto in Newmarket uns beinah überfuhr. Wir hätten es wirklich anzeigen sollen.«
«Ich hatte genug von der Polizei«, erklärte Malcolm.
«Stunden über Stunden habe ich seit Moiras Tod mit den argwöhnischen Tölpeln verbracht. Ich bin allergisch gegen sie. Ich kriege Hautausschlag davon.«
«Sie können ihnen keinen Vorwurf machen, Sir. Wenn verheiratete Frauen umgebracht werden, war es meistens der Mann«, sagte West.»Und bei Ihnen sah es ja nun aus, als hätten Sie ein sehr starkes Motiv.«
«Blödsinn«, widersprach Malcolm.»Wie soll man jemand umbringen können, den man einmal geliebt hat?«
«Leider kommt das häufig vor. «West hielt inne.»Soll ich mit Ihrer Familie weitermachen, Sir, obwohl ich bisher nur so wenig erreichen konnte?«
«Ja«, sagte Malcolm mit schwerer Stimme.»Bleiben Sie dran. Ich werde zusehen, daß Joyce die anderen auffordert, Ihre Fragen zu beantworten. Sie kriegt es ja anscheinend fertig, daß sie alle tun, was sie will.«
Was sie selber wollen, dachte ich. Joyce konnte sie nicht in Bahnen lenken, die ihnen nicht paßten.
Norman West steckte seinen Notizblock in die Jackentasche und verlagerte sein Gewicht auf dem Sessel nach vorn.
«Bevor Sie gehen«, sagte ich,»sollten Sie vielleicht noch wissen, daß ich die Telefonistin des Hotels in Cambridge gefragt habe, ob sich letztes Wochenende außer Ihnen noch jemand erkundigt hat, ob dort ein Mr. Pembroke abgestiegen sei. Sie sagte, es hätten sich definitiv mindestens drei Anrufer nach Mr. Pembroke erkundigt, zwei Männer und eine Frau, und sie erinnerte sich daran, weil sie es komisch fand, daß keiner ihn sprechen wollte oder ihm eine Nachricht hinterließ; sie wollten nur wissen, ob er dort war.«
«Drei!« rief Malcolm aus.
«Einer war ja Mr. West«, betonte ich. Zu West sagte ich:»Könnten Sie uns im Hinblick darauf mitteilen, wer Sie gebeten hat, meinen Vater zu suchen?«
West zögerte.»Ich weiß nicht sicher, welche Mrs. Pembroke es war. Und, ehm… selbst wenn ich im Lauf dieser Ermittlungen Gewißheit bekomme, glaube ich nicht, daß ich es Ihnen sagen könnte.«
«Berufsethos«, nickte Malcolm.
«Ich habe Sie ja darauf hingewiesen, Sir«, sagte West zu mir,»daß ein Interessenkonflikt besteht.«
«Das ist richtig. Sie hat also noch nicht bezahlt? Kein Scheck mit Unterschrift?«
«Nein, Sir, noch nicht.«
Er erhob sich, beileibe kein Atlas, aber dennoch weltmüde. Er gab Malcolm und mir seine klamme Hand und sagte, er werde sich melden. Als er fort war, seufzte Malcolm schwer und bat mich, ihm einen Scotch einzuschenken.
«Möchtest du keinen?«sagte er, als ich ihm das Glas reichte.
«Im Augenblick nicht.«
«Was hältst du von Mr. West?«
«Er ist zu alt.«
«Du bist zu jung. Er hat Erfahrung.«
«Den weiblichen Pembrokes ist er nicht gewachsen.«
Malcolm lächelte ironisch.»Das sind die wenigsten«, sagte er.
Am nächsten Morgen flogen wir in allem Luxus nach Paris und wurden von einer chauffierten Limousine abgeholt, welche mit majestätischer Langsamkeit ihren Platz in dem massiven Verkehrsstau einnahm, der sich als geschlossener Block nach Longchamp bewegte.
Die französische Rennbahn, fahnenumflattert, schien mit unersättlichem Heißhunger tout le monde zu verschlingen, bis niemand mehr auf geradem Weg die öffentlichen Zonen durchqueren konnte, in denen Kehllaute und Knoblauch regierten.