Malcolms Jet/Limousine-Pauschale umfaßte auch eine Einladung des französischen Jockey-Clubs, Ausweise für alle Bereiche und einen lukullischen Lunch mit dem Mitbesitzer von Blue Clancy, Mr. Ramsey Osborn.
Ramsey Osborn, beflügelt von der joie de vivre, die den ganzen Platz in Bann hielt, erwies sich als ein sehr großer, massiger Amerikaner in den Sechzigern, der Malcolm überragte und sich sofort zu ihm hingezogen fühlte. Malcolm empfing offenbar die gleichen Signale. Innerhalb von zwei Minuten waren sie Kumpel.
«Mein Sohn Ian«, stellte Malcolm mich ihm schließlich vor.
«Erfreut, Sie kennenzulernen. «Er schüttelte mir heftig die Hand.»Der Mann, der den Kauf abgeschlossen hat, ja?«Seine Augen waren hellgrau, sein Blick offen.»Um ehrlich zu sein, es gibt da einen Hengst und eine Stute, die ich für die klassischen Rennen im nächsten Jahr kaufen will, und mit Blue Clancy kann ich die jetzt sehr schön finanzieren.«
«Aber wenn Blue Clancy nun das Arc gewinnt?«sagte ich.
«Werde ich nichts bedauern, mein Sohn. «Er wandte sich an Malcolm.»Einen vorsichtigen Jungen haben Sie da.«
«Ja-a«, sagte Malcolm.»Vorsichtig wie ein Astronaut.«
Osborns graue Augen schwenkten zu mir zurück.»Ist das so? Wetten Sie?«
«Vorsichtig, Sir.«
Er lachte, aber nicht aus vollem Herzen. Malcolm, dachte ich, war viel eher nach seinem Geschmack. Ich ließ sie allein an der Tafel und ging im Vertrauen darauf, daß kein Killer an den argusäugigen Türstehern der hochgelegenen Festung des französischen Jockey-Clubs vorbeikäme, hinunter auf den Platz, denn mitten im Geschehen fühlte ich mich wohler.
Ich hatte schon ziemlich viele Pferderennen in Frankreich erlebt, da ich einige Jahre Assistent eines Trainers gewesen war, der seine Pferde ebenso unbekümmert jenseits des Kanals wie in York starten ließ. Paris und Deauville seien ohnehin näher, pflegte er zu sagen und schickte mich von Epsom über den nahen Flughafen Gatwick los, wann immer er selbst keine Lust hatte. Daher kannte ich einige Brocken Turffranzösisch und wußte, was wo zu bekommen war; lebenswichtiges Rüstzeug in den riesigen Tribünenbauten, die überquollen von hastenden, lärmenden, enthemmten französischen Rennbahnbesuchern.
Ich mochte den Lärm, den Geruch, das rasche Aufbrausen, das Gestikulieren, die Turbulenz der französischen Turfszene. Britische Jockeys hielten das Publikum in Frankreich oft für wahnsinnig aggressiv, und ich selber hatte tatsächlich einmal einen Jockey mit den Fäusten verteidigen müssen, der auf einem von mir herübergebrachten Favoriten verloren hatte. Jockeys allgemein waren in einem Maße beleidigt und malträtiert worden, daß sie auf vielen Plätzen vor und nach dem Rennen vorsichtshalber nicht mehr durch das Publikum zu gehen brauchten, und in Longchamp legten sie den Weg von der Waage zum Pferd zurück, indem sie einen von Kunststoffwänden tunnelartig umschlossenen Lift bestiegen, eine Brücke überquerten und auf der anderen Seite in einem ähnlichen Kunststoffschacht per Rolltreppe herunterkamen.
Ich schlenderte umher, begrüßte eine Handvoll Leute, sah mir von der Trainertribüne aus das erste Rennen an, zerriß meine Totoniete, schlenderte weiter und kam mir schließlich — ohne Beschäftigung, ohne ein zu sattelndes Pferd — überflüssig vor.
Es war ein seltsames Gefühl. Ich konnte mich nicht entsinnen, wann ich zuletzt ein Rennen besucht hatte, ohne aktiv daran beteiligt zu sein. Der Rennsport war kein Sandkasten für mich, es war meine Arbeit; ohne Arbeit mutete er hohl an.
Leicht deprimiert kehrte ich zu Malcolms Adlerhorst zurück und erlebte Malcolm, wie er in seiner neuen Rolle als Rennpferdbesitzer schwelgte. Er nannte den Prix de l’Arc de Triomphe vertraulich» das Arc«, als wäre es nicht erst vor knapp einer halben Woche in sein Bewußtsein getrudelt, und erörterte Blue Clancys Zukunft mit Ramsey Osborn, als wüßte er, wovon er sprach.
«Wir denken an den Breeders’ Cup«, sagte er zu mir, und ich deutete das Glitzern in seinen Augen ebenso als verzweifelte Frage wie als Entschlußfreude.
«Wenn er heute gut läuft«, schränkte Osborn ein.
«Es ist weit bis Kalifornien«, meinte ich, ihm zustimmend.»Bis zur Weltmeisterschaft, könnte man sagen.«
Malcolm war dankbar für die Auskunft und keineswegs bestürzt darüber. Ganz im Gegenteil, merkte ich. Wir würden wohl eher über Kalifornien nach Australien reisen als über Singapur.
Der Lunch schien den ganzen Nachmittag zu dauern, wie französische Mittagsmahlzeiten das so an sich haben. Es gab Rinderfilets in kreisrunden Scheiben, die leeren Teller wurden abgeräumt, und kleine Portionen Bohnen und Möhren kamen auf den Tisch, anschließend frische Käseröllchen, gewälzt in zerhackten Nüssen, und winzige Erdbeertörtchen mit Vanillesoße. Laut Speisekarte hatte ich durch meine Abwesenheit die ecrevisses, die Fleischbrühe, die crepes de volaille, den grünen Salat und das Sorbet verpaßt. Ganz gut so, dachte ich, die friandises beäugend, die mit dem Kaffee kamen. Auch Amateurreiter mußten nach der Waage leben.
Malcolm und Ramsey Osborn gingen mild gestimmt zu
Cognac und Zigarren über und verfolgten die Rennen auf dem Bildschirm. Niemand hatte es eilig: Das Arc fand um fünf Uhr statt, und bis halb fünf konnte die Verdauung ihren Lauf nehmen.
Ramsey Osborn sagte uns, daß er aus Stamford in Connecticut stammte und sein Geld mit dem Verkauf von Sportbekleidung gemacht hatte.»Millionen Baseballmützen«, schwärmte er.»Ich lasse sie herstellen und bringe sie in den Einzelhandel. Und Schuhe, Hemden, Jogginganzüge, alles, was läuft. Fitneß ist das große Geschäft, ohne Bewegung sind wir erledigt.«
Ramsey selbst sah nicht so aus, als ob er sich allzuviel bewegte — Fettpolster um die Augen, schweres Doppelkinn und ein stolzer Bauch. Er strahlte jedoch Wohlwollen aus und hörte gönnerhaft zu, als Malcolm seinerseits erzählte, daß er in bescheidenem Umfang mit Devisen und Metall handele.
Ramsey begreift nicht, was Malcolm damit meint, dachte ich, aber andererseits lenkte Malcolm, so extravagant er auch sein konnte, nie die allgemeine Aufmerksamkeit auf seinen Reichtum. Quantum war ein großes, stattliches viktorianisches Wohnhaus, doch es war keine Villa. Als Malcolms Finanzen den Villenstatus erreichten, hatte er kein Interesse an einem Umzug gezeigt. Flüchtig fragte ich mich, ob sich das in Zukunft ändern würde, jetzt, wo er die Lust der Verschwendung kennengelernt hatte.
Zu gegebener Zeit gingen wir drei hinunter zu den Sattelboxen und ließen uns mit Blue Clancy und seinem Trainer bekannt machen. Blue Clancy sah edel aus und sein Trainer noch edler. Malcolm war von dem Trainer sichtlich beeindruckt, wozu es auch Grund genug gab, denn er war ein echter Jungstar, Ende Dreißig inzwischen, der bereits sechs klassische Sieger ausgebildet hatte, als wäre das eine Kleinigkeit.
Blue Clancy war unruhig, seine Nüstern bebten. Wir beobachteten das Ritual des Aufsattelns und die letzten
Handgriffe: ein Tropfen Öl, um die Hufe auf Hochglanz zu bringen, Auswaschen von Nase und Maul zur Hygiene und Kosmetik, Zupfen an Stirnhaar und Zeug, um die Vollendung zu erreichen. Wir folgten ihm in den Führring und erhielten Gesellschaft von seinem englischen Jockey, der Ramseys weiße, grüne und rote Farben trug und gelassen wirkte.
Malcolm widmete sich mit Eifer seinem ersten Auftritt als Vollblutbesitzer. Es war ein Eifer, der Funken sprühte. Er fing meinen Blick auf, sah, was mir durch den Kopf ging, und lachte.
«Ich hielt es immer für blöd, daß du dich auf den Rennsport verlegt hast«, sagte er.»Konnte nicht begreifen, was du daran findest.«
«Noch besser ist es, wenn man reitet.«
«Ja… das habe ich in Sandown gesehen. Wahrscheinlich wurde es höchste Zeit.«