Ramsey und der Trainer beanspruchten seine Aufmerksamkeit für eine taktische Erörterung mit dem Jockey, und ich mußte an die Sommerferien meiner Kindheit denken, als Gervase, Ferdinand und ich reiten gelernt hatten. Wir hatten es auf Reitschulponys gelernt, waren zu den umliegenden Ställen geradelt und hatten dort Stunden mit Striegeln, Füttern und Ausmisten verbracht. Wir hatten an Sportfesten teilgenommen und die armen Tiere in Hau-den-Ballon-Wettbewerben mit unseren Stiefeln traktiert. Wir hatten sie rückwärts, ohne Sattel und auf dem Sattel kniend geritten, und Ferdinand, der Spezialist, hatte es sogar zu einem kurzen Kopfstand gebracht. Die Ponys waren fromm und zweifellos todmüde, aber wir konnten zwei, drei Jahre lang Zirkusakrobaten sein, und Malcolm hatte ohne Murren die Rechnungen bezahlt, war jedoch nie gekommen, um uns zuzusehen. Dann hatte Alicia Gervase und Ferdinand entführt, und in der einsamen Leere danach war ich nach Möglichkeit fast jeden Morgen geritten, so daß ich quasi spielend ein Handwerk erlernte, ohne in der
Tretmühle schulischer Prüfungen zu ahnen, daß der Freizeitspaß meine Berufung werden sollte.
Blue Clancy sah genausogut aus wie die anderen, dachte ich, als ich die Starter im Kreis gehen sah, und der Trainer legte mehr Zuversicht als Zweifel an den Tag. Er dankte mir für den Abschluß des Kaufvertrags (der ihm eine Provision eingebracht hatte) und versicherte mir, daß der 2-Millionen-Guineen-Jährling jetzt bequem in einer 1a-Box auf seinem Hof untergestellt sei. Bisher hatte er mich vage als Assistent oder Laufburschen eines anderen Trainers gekannt, aber als Sohn und Mittelsmann eines neuen Besitzers, der dem Sport allem Anschein nach mit Haut und Haaren verfallen war, verdiente ich jetzt mehr Beachtung.
Ich fand es lustig und keineswegs ärgerlich. So war das Leben. Ich konnte ruhig das Beste aus Malcolms Rockschößen machen, solange ich an ihnen hing. Ich fragte den Trainer, ob ich mir seinen Hof ansehen könne, wenn ich das nächste Mal in Newmarket sei, und er sagte, aber sicher, gern, und schien es sogar ernst zu meinen.
«Ich bin dort manchmal bei George und Jo«, sagte ich.»Trainiere ihre Handvoll Hindernispferde. Die reite ich in Amateuerjagdrennen. «Jeder in Newmarket kannte Jo und George: sie waren so etwas wie Stammesfürsten.
«Ach, der sind Sie, ja?«Er zählte ein paar Fakten zusammen.»War mir nicht klar, daß Sie das sind.«
«M-hm.«
«Dann kommen Sie jederzeit. «Er hörte sich herzlicher, bestimmter an.»Im Ernst«, sagte er.
Der Aufstieg im Rennsport, dachte ich selbstironisch, konnte über verschlungene Pfade führen. Ich dankte ihm ohne Überschwang und sagte:»Auf bald.«
Blue Clancy ritt hinaus zur Parade, und wir anderen gingen zur Besitzer- und Trainertribüne, die nahe dem Zentrum des
Geschehens war und von ähnlichen, ebenso gespannten Gruppen wie der unseren wimmelte.
«Wie stehen seine Chancen?«wollte Malcolm von mir wissen.»Konkret. «Seine Augen musterten mein Gesicht, als suchten sie die Wahrheit, aber ich glaubte nicht, daß er sie hören wollte.
«Etwas besser als am Donnerstag, da der zweite Favorit zurückgezogen wurde. «Er wartete auf mehr, ganz gleich, wie unrealistisch, daher sagte ich:»Er hat gute Aussichten, sich zu plazieren. Alles ist drin. Er könnte gewinnen.«
Malcolm nickte, wußte zwar nicht, ob er mir glauben konnte, wollte es aber. Er ist voll drauf, dachte ich, und hatte ihn gern dafür.
Im Innersten nahm ich an, das Pferd würde Sechster oder Siebter werden, keine Schande, aber auch kein Sieggeld. Ich hatte am Toto auf ihn gewettet, jedoch nur aus Loyalität: Auf den französischen Meilleurs Voeux hatte ich aus Überzeugung gesetzt.
Blue Clancy bewegte sich gut zum Start hinunter. Das war immer die beste Zeit für die Besitzer, dachte ich; das Herz pocht vor Erwartung, und die Rechtfertigungen, Erklärungen, Enttäuschungen sind noch zehn Minuten weg. Malcolm hob mit buchstäblich zitternden Händen mein Fernglas an seine Augen.
Dem Trainer selbst sah ich an, daß er nervös war, obwohl er sich sehr bemühte, es zu verbergen. Natürlich gab es auch nur ein» Arc «im Jahr und zu wenig Jahre im Leben.
Die Pferde schienen endlos an der Startmaschine zu kreisen, wurden schließlich aber zu jedermanns Zufriedenheit in die Abteile geführt. Die Klappen flogen auf, der donnernde Regenbogen strömte hervor, und sechsundzwanzig der besten Vollblüter Europas gingen auf den Rechtskurs, jeder bestrebt, der Schnellste, Stärkste, Mutigste über anderthalb Meilen Gras zu sein.
«Möchtest du dein Fernglas?«sagte Malcolm in der Hoffnung,
daß ich es nicht haben wollte.
«Nein. Behalt es, ich sehe genug.«
Ich konnte Ramsey Osborns Farben in der Mitte des Feldes an den Rails sehen, das Pferd galoppierte gut, wie alle anderen in dieser Phase. Beim» Arc «waren die Voraussetzungen einfach: Unter den ersten zehn sein, wenn der lange Schlußbogen kam, nicht zu weit außen in die Gerade einschwenken und je nach dem Stehvermögen des Pferdes Druck machen zum Endspurt. Bei einem verbummelten» Arc «entwischte manchmal im Einlaufbogen ein Jockey dem Feld und behauptete seinen Vorsprung; bei anderen herrschte Krieg vom Start an bis zu einem denkbar knappen Resultat. Blue Clancys» Arc «wurde offenbar gnadenlos auf Tempo geritten, und er kam in einem Pulk fliegender Pferde auf die Einlaufgerade, an sechster oder achter Stelle, soweit ich sehen konnte.
Malcolm rief aus voller Kehle:»Na, komm schon«, als hätte sich die Luft in seiner Lunge gestaut gehabt, und die Damen in Seidengewändern und Hüten, die Herren in grauen Cutaways um uns herum, die ebenfalls nicht mehr zu halten waren, schrien, drängten, schimpften in babylonischer Sprachenvielfalt. Malcolm setzte das Fernglas ab und brüllte noch lauter, vollends mitgerissen, fortgetragen, lebte durch die Augen.
Blue Clancy macht sein Rennen, dachte ich. Er hatte nicht aufgesteckt. Im Gegenteil, er hielt den fünften Platz. Wurde schneller. Vierter…
Der Trainer, von größerer Zurückhaltung als die Besitzer, sagte jetzt leise, unwillkürlich:»Komm schon, komm«, doch zwei der bereits führenden Pferde legten plötzlich mehr zu als Blue Clancy und zogen dem Feld davon, und die begründete Hoffnung des Trainers erlosch mit einem Seufzer und herabsackenden Schultern.
Das Finish, das die Masse der Zuschauer verfolgte, war ein Knüller, der nur durch Zielfoto entschieden werden konnte. Das
Finish, das Malcolm, Ramsey, der Trainer und ich verfolgten, fand zwei Längen dahinter statt, wo Blue Clancy und sein Jockey mit vollem Einsatz bis zum Ende kämpften und auf genau gleicher Höhe mit ihrem nächsten Rivalen über die Linie schossen, nur daß Blue Clancy dabei die Nase vorstieß.
«Mit Nase«, sprach der Trainer meinen Gedanken aus.
«Was heißt das?«wollte Malcolm wissen. Er war hocherregt, rot, seine Augen leuchteten.»Sind wir Dritter geworden? Sagt, daß wir Dritter sind.«
«Ich glaube schon«, sagte der Trainer.»Es wird ein Foto geben.«
Wir eilten von der Tribüne hinunter zum Absattelplatz. Malcolm war noch immer außer Atem und leicht benommen.»Was bedeutet mit Nase?«fragte er mich.
«Ein galoppierendes Pferd streckt bei jedem Schritt rhythmisch den Kopf nach vorn — vor, zurück, vor, zurück. Wenn zwei Pferde so dichtauf sind wie die beiden und ein Pferd hat beim Passieren der Ziellinie die Nase vorn, während das andere sie gerade zurückzieht — tja, das ist mit Nase.«
«Einfach Glück, meinst du?«
«Glück.«
«Mein Gott«, sagte er,»ich hätte nie gedacht, daß es so ein Gefühl ist. Ich hätte nie geglaubt, daß ich mir was draus mache. Es sollte doch nur eine Abwechslung sein.«
Er sah mir beinah staunend ins Gesicht, als wäre ich vor ihm in einem fernen Land gewesen und er hätte das Mysterium jetzt auch für sich entdeckt.
Ramsey Osborn, der nach besten Kräften mitgebrüllt hatte, strahlte vor Freude, als die Ansage Blue Clancys dritten Platz bestätigte; er sei froh, sagte er, daß die 50-Prozent-Beteiligung sich jetzt schon für uns auszahle. Glückwünsche machten die Runde, so daß Malcolm und Ramsey auch den Besitzern des