«Na schön«, sagte ich.»Wenn wir die Haustür verriegeln und die Schlüssel in deinem Safe lassen, könnten wir da aufs Auswechseln verzichten.«
Etwas besänftigt stellte er die vollen Freßnäpfe auf den Boden, wischte seine Finger ab und sagte, es sei Zeit für ein Schnäpschen. Ich verriegelte die Küchentür von innen und folgte ihm durch den Flur ins Büro, wo er Scotch in zwei Gläser goß und fragte, ob ich meinen mit Eis entweihen wolle. Ich sagte ja und ging in der Küche welches holen. Als ich wiederkam, hatte er einige Bogen Papier aus seiner offenen Aktenmappe genommen und war dabei, sie zu lesen.
«Das ist für dich. Mein neues Testament«, sagte er und gab die Blätter herüber.
Er hatte das Testament aufgesetzt, bevor er mich anrief, um unseren Streit zu beenden, folglich erwartete ich nicht, darin vorzukommen, doch ich hatte ihm unrecht getan. Im Sessel sitzend und den Whisky nippend, las ich die ganzen kleinen Zuwendungen an Leute wie Arthur Bellbrook durch, das ganze rechtspflegerische Kauderwelsch» auf Treu und Glauben «mit tausend Kommas und gelangte schließlich zum Klartext.
«Jeder meiner drei geschiedenen Frauen, Vivien, Joyce und Alicia, vermache ich die Summe von fünfhunderttausend Pfund.
Da für meinen Sohn Robin gesorgt ist, verfüge ich, daß der Reinnachlaß meines Vermögens zu gleichen Teilen unter meinen Kindern Donald, Lucy, Thomas, Gervase, Ian, Ferdinand und Serena aufgeteilt wird.«
Dem folgte eine lange Klausel mit der Maßgabe, daß,»sollte eines meiner Kinder vor mir sterben, sein oder ihr Anteil an die Enkelkinder falle«.
Schließlich kamen zwei kurze Sätze:»Ich vermache meinem Sohn Ian das Stück dünnen Draht, das sich auf meinem Schreibtisch befindet. Er weiß, was er damit anfangen kann.«
Überrascht und bewegter, als ich sagen konnte, blickte ich von der letzten Seite auf und sah das Lächeln in Malcolms Augen, dem ein kehliges Glucksen folgte.
«Der gute Anwalt fand den letzten Satz einigermaßen verfehlt. Er meinte, so etwas gehöre nicht in ein Testament.«
Ich lachte.»Ich habe nicht erwartet, überhaupt in deinem Testament zu stehen.«
«Tja…«Er zuckte die Achseln.»Ich hätte dich nie übergangen. Ich bedaure schon lange… dich geschlagen zu haben… und alles.«
«Wahrscheinlich hatte ich es verdient.«
«Damals, ja.«
Ich wandte mich wieder dem Anfang des Testaments zu und las noch einmal einen der ersten Absätze. Dort hatte er mich zu seinem alleinigen Testamentsvollstrecker bestimmt, obwohl ich nur sein fünftes Kind war.»Wieso mich?«sagte ich.
«Möchtest du nicht?«
«Doch. Ich fühle mich geehrt.«
«Der Anwalt sagte, ich solle jemand bestimmen, dem ich traue. «Er lächelte schief.»Die Wahl fiel auf dich.«
Er streckte einen Arm aus und nahm einen Lederbecher von seinem Schreibtisch, der Stifte und Füllhalter enthielt. Daraus zog er ein rund 25 cm langes Drahtende hervor, etwa doppelt so dick wie der, den Floristen zum Verstärken von Blumenstengeln benutzen.
«Falls das wegkommt«, sagte er,»besorg dir einfach ein neues.«
«Ja. In Ordnung.«
«Gut. «Er steckte den Draht wieder in den Becher und stellte den Becher zurück auf den Schreibtisch.
«Bis du abkratzt«, sagte ich,»könnte der Goldpreis himmelhoch gestiegen sein, und ich würde hinter der Mauer nur noch Spinnweben finden.«
«Ja, Pech.«
Ich fühlte mich ihm so nah wie noch nie seit seinem Anruf, und vielleicht galt das auch umgekehrt. Ich hoffte, es würde noch sehr lange dauern, bis ich sein Testament vollstrecken mußte.
«Gervase«, sagte ich,»schlägt vor, daß du jetzt schon einiges von deinem Geld verteilst, um. ehm, die Erbschaftssteuer zu verringern.«
«So? Und was meinst du dazu?«
«Ich meine«, sagte ich,»wenn du es in der Familie anlegst statt in Stipendien, Filmgesellschaften und so weiter, rettest du vielleicht dein Leben.«
Die blauen Augen öffneten sich weit.»Das ist unmoralisch.«
«Pragmatisch.«
«Ich werde darüber nachdenken.«
Wir aßen den Kaviar zu Abend, aber er wollte nicht mehr richtig schmecken.
«Morgen nehmen wir mal Fleischpastete«, sagte Malcolm.»Der Gefrierschrank ist voll davon.«
Die beiden nächsten Tage verbrachten wir damit, uns vorsichtig in Quantum einzuleben, aber nichts deutete darauf hin, daß Vorsicht vonnöten war.
Am späten Dienstagnachmittag, als wir mit den Hunden draußen waren und uns vergewissert hatten, daß Arthur Bellbrook nach Hause gegangen war, wanderten wir um die Küche herum und kamen zu der Schatzkammer.
Ein wahres Meer von Brennesseln beschirmte die Tür. Malcolm betrachtete sie verdutzt.»Das blöde Zeug wächst über Nacht.«
Ich zog meine Socken über die Hosenaufschläge und versuchte die Durchquerung; trampelte einen Bereich unterhalb der Tür nieder, tastete mich mit dennoch brennenden Fingern zu einem Ende der hölzernen Schwelle vor und zerrte mit einiger Mühe den Balken heraus. Malcolm beugte sich vor, gab mir das Stück Draht und sah zu, wie ich mich aufrichtete und das fast unsichtbare Loch ausfindig machte. Der Draht glitt durch die winzige, in den Mörtel eingelassene Röhre, und auf Druck funktionierte das Schloß im Innern so glatt wie zu der Zeit, als ich es eingebaut hatte. Der Draht stieß einen Metallstift aus einer Nut, wodurch das Schloß aufsprang.
«Ich habe es geölt«, sagte Malcolm.»Als ich es zum erstenmal versuchte, war es ganz rostig.«
Ich drückte auf den Rand der schmalen, massiven Tür, und sie öffnete sich nach innen, ihre krenelierten Kanten lösten sich mit leisem Knirschen, aber ohne zu bröckeln, von dem Mauerwerk auf beiden Seiten.
«Du hast sie gut gebaut«, sagte Malcolm.»Guter Mörtel.«
«Wie man den mischt, hast du mir selbst gesagt.«
Ich trat in die kleine Kammer, die am anderen Ende kaum einen Meter zwanzig breit war, etwa zwei Meter fünfzig lang und sich keilförmig nach der Tür zu verengte, die in eine der Längswände eingebaut war. Die breitere Rückwand war hüfthoch mit flachen Holzkisten zugestellt, wie man sie für
Wein aus Schloßabfüllungen verwendet. Vorne standen zwei große, dick mit Paketband zugeklebte Pappkartons. Ich trat weiter hinein und versuchte eine der Weinkisten zu öffnen, doch sie waren vernagelt. Ich drehte mich um, war mit zwei, drei Schritten wieder an der Tür und blickte hinaus.
«Gold hinten, Wertsachen vorn«, sagte Malcolm, mich interessiert beobachtend.
«Ich will es gerne glauben.«
Die Luft in dem dreieckigen Raum roch etwas muffig. Es gab keine Lüftung und, wie ich Arthur Bellbrook gesagt hatte, natürlich auch keinen Feuchtigkeitsabzug. Ich schob den Stift wieder in das Schloß auf der Innenseite, da es sonst nicht zuging, und trat ins Freie. Die begrenzten Baukenntnisse meiner Jugendjahre bedeuteten, daß man, um die Tür ganz zu schließen, in die Knie gehen, die Finger in eine Höhlung unter der untersten Ziegelschicht zwängen und fest drücken mußte. Die Tür und die Mauer fügten sich wieder zusammen wie Puzzlesteine, und das Schloß rastete ein. Ich legte die Schwelle wieder unter die Tür, trat sie fest und versuchte die plattgequetschten Brennesseln zum Aufstehen zu ermuntern.
«Morgen früh wuchern sie wieder«, sagte Malcolm.
«Elendes Kraut.«
«Die großen Pappkartons kriegst du so nicht durch die Tür«, bemerkte ich und rieb mir die Brandbläschen an den Händen und Handgelenken.
«Ja, klar. Sie waren leer und zusammengefaltet. Ich hab sie drinnen erst aufgestellt und nach und nach gefüllt.«
«Jetzt könntest du das Zeug rausholen.«
Eine Pause entstand, dann sagte er:»Ich warte noch. Wie’s im Moment aussieht, kann ruhig alles dort bleiben.«
Ich nickte. Er pfiff den Hunden, und wir setzten den Spaziergang fort. Wir hatten aufgehört, direkt über die Angst vor der Familie zu reden, doch sie bedrückte uns immer noch. Als wir von der Wiese zurückkamen, wartete Malcolm wortlos vor dem Haus, bis ich es kontrolliert hatte, und nach meiner Entwarnung begann er nüchtern, die Hunde zu füttern.