«Mir war nicht klar, daß ihr so schnell seid«, sagte er auf der Heimfahrt.»Mit solchem Zahn über die Sprünge geht.«
«Rund fünfundvierzig Stundenkilometer.«
«Ich könnte vielleicht ein Hindernispferd kaufen«, sagte er,»wenn du es reiten würdest.«
«Tu’s lieber nicht. Das wäre Begünstigung.«
«Aha.«
Wir fuhren vierzig Kilometer in Richtung Berkshire und kamen zu einer Gastwirtschaft, die ihm gefiel, kehrten dort zu unserem Spätnachmittagstrunk ein (Arthur Bellbrook sollte die Hunde über Nacht mit nach Hause nehmen) und blieben kleben bis zum Abendessen.
Wir unterhielten uns über Pferderennen, oder besser gesagt,
Malcolm stellte Fragen, und ich beantwortete sie. Sein Interesse schien unerschöpflich, und ich fragte mich, ob es ebenso schnell erlöschen würde, wie es aufgekommen war. Er konnte es gar nicht erwarten, Chrysos’ Leistungen im nächsten Jahr zu sehen.
Wir aßen ohne Eile und trödelten mit dem Kaffee, ehe wir heimfuhren und gähnend vor der Garage anhielten, schläfrig von frischer Luft und französischem Wein.
«Ich kontrolliere das Haus«, sagte ich ohne Begeisterung.
«Ach, laß doch, wir haben’s schon spät.«
«Es ist besser, ich tu’s. Drück auf die Hupe, wenn du was siehst, was dir nicht gefällt.«
Ich ließ ihn im Auto, ging zur Küche hinein und machte Licht. Die Tür zum Flur war wie üblich geschlossen, damit die Hunde, wenn sie dort waren, nicht durchs Haus streunen konnten. Ich öffnete sie und knipste die Flurbeleuchtung an.
Ich blieb kurz stehen und schaute mich um.
Alles sah ruhig und friedlich aus, aber trotzdem bekam ich eine Gänsehaut, und mein Brustkorb wurde eng von plötzlich angehaltenem Atem.
Die Tür zum Büro und die Wohnzimmertür waren nicht so, wie ich sie zurückgelassen hatte. Die Bürotür war mehr als halb offen, die Wohnzimmertür war fast zu; beide bildeten nicht mehr den exakten spitzen Winkel, in den ich sie jedesmal stellte, wenn wir aus dem Haus gingen.
Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich an diesem Morgen vor der Abfahrt die Türen auch wirklich angewinkelt hatte oder ob ich es vergessen haben könnte. Aber ich hatte sie angewinkelt. Ich wußte es. Danach hatte ich meinen Sattel und die übrige Ausrüstung aus dem Flur geholt, die Tür zwischen Flur und Küche zugezogen und die Außentür abgesperrt, da die Hunde schon bei Arthur Bellbrook im Garten waren.
Ich hatte mich bisher nicht für einen Feigling gehalten, aber ich empfand eine tödliche Angst, weiter ins Haus hineinzugehen. Es war so groß, so voller dunkler Winkel. Es gab zwei Kellerräume, die diversen unbeleuchteten Dachkammern für die Hausdiener von einst und die in Dunkel gehüllte Rumpelkammer. Überall waren geräumige Einbauten und große leere Kl ei der schränke. In den letzten Tagen war ich hier dreioder viermal rundgegangen, aber nicht nachts und nicht, als die Signale auf Gefahr standen.
Ich überwand mich zu ein paar Schritten in die Diele und lauschte. Ich fühlte mich nackt und verwundbar. Mein Herz klopfte unbehaglich. Das Haus war still.
Die massive Vordertür, verschlossen und verriegelt wie eine Festung, war nicht angerührt worden. Ich ging zum Büro hinüber, streckte einen Arm vor, knipste das Licht an und stieß die halb geöffnete Tür weiter auf.
Es war niemand drin. Alles war, wie Malcolm es am Morgen zurückgelassen hatte. Die Fenster glänzten schwarz, wie Drohungen. Mit einem tiefen Atemzug wiederholte ich die Prozedur im Wohnzimmer, wo ich zusätzlich die Riegel an den Fenstertüren kontrollierte, und danach im Eßzimmer, in der Garderobe im Erdgeschoß, um anschließend mit noch schlimmerem Zittern durch den Treppenflur zu dem großen Raum zu gehen, der uns Kindern als Spielzimmer gedient hatte und in längst vergangenen Tagen ein Billardsaal gewesen war.
Die Tür war zu. Ich gab mir einen Ruck, öffnete sie, knipste das Licht an und stieß sie weit auf.
Niemand war drin. Eine echte Erleichterung war das nicht, da ich mich weiter umsehen mußte. Ich kontrollierte den Abstellraum gegenüber, wo Gartenmöbel gestapelt waren, und auch die Tür am Ende des Gangs, die in den Garten führte: fest von innen verriegelt. Ich ging in die Diele zurück, blieb am Fuß der Treppe stehen und blickte nach oben.
Blöd, solche Angst zu haben, dachte ich. Es war mein
Zuhause, das Haus, in dem ich aufgewachsen war. Zu Hause brauchte man doch keine Angst zu haben.
Hatte man aber.
Ich schluckte. Ich ging die Treppe hinauf. Niemand war in meinem Zimmer. Niemand in den fünf anderen Zimmern, in der Rumpelkammer oder in den Badezimmern, niemand in der pink und pflaumenblauen Luxussuite von Malcolm.
Zum Schluß war mir genauso mulmig wie am Anfang, und dabei hatte ich den Keller, die Mansarden und die kleinen Verstecke noch ganz ausgespart.
Ich hatte nicht unter die Betten geschaut. Überall konnten Dämonen lauern, darauf warten, mich brüllend anzufallen. Ich gab auf, knipste oben sämtliche Lampen aus und schlich hinunter in die Diele.
Noch immer war alles still, wie zum Hohn.
Du bist ein Narr, dachte ich.
Ich ließ das Licht in Diele und Küche brennen und ging wieder zu Malcolm, der sich anschickte auszusteigen, als er mich kommen sah. Ich winkte ab und glitt neben ihm hinter das Steuer.
«Was ist los?«sagte er.
«Es kann sein, daß jemand hier ist.«
«Wie meinst du das?«
Ich klärte ihn über die Türen auf.
«Du phantasierst doch.«
«Nein. Jemand hat seinen Schlüssel benutzt.«
Wir hatten die Schlösser noch nicht auswechseln lassen können; der Zimmermann sollte allerdings am nächsten Morgen kommen. Es sei schwierig, gute neue Schlösser zu finden, die auf solche alten Türen paßten, hatte er gesagt und sie für Donnerstag versprochen, aber wegen Cheltenham hatte ich ihn für Freitag bestellt.
«Wir können nicht die ganze Nacht draußen bleiben«, protestierte Malcolm.»Der Wind oder so was wird die Türen bewegt haben. Laß uns schlafen gehen, ich bin todmüde.«
Ich sah auf meine Hände. Sie zitterten wirklich. Ich überlegte eine Weile, bis Malcolm unruhig wurde.
«Mir wird kalt«, sagte er.»Laß uns um Gottes willen reingehen.«
«Nein… wir schlafen hier nicht.«
«Was? Das ist doch nicht dein Ernst.«
«Wir schließen das Haus ab und suchen uns irgendwo ein Zimmer.«
«Um diese Zeit?«
«Ja. «Ich wollte aussteigen, und er legte mir eine Hand auf den Arm, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
«Dann hol Schlafanzüge und Waschzeug von oben.«
Ich zögerte.»Nein, das könnte gefährlich sein. «Ich sagte nicht, daß mir davor graute, aber so war es.
«Ian, das ist doch alles Unsinn.«
«Noch irrsinniger wäre es, wenn wir in unseren Betten ermordet würden.«
«Aber bloß wegen zweier Türen, die.«
«Ja. Deswegen.«
Er fing anscheinend etwas von meinem Unbehagen auf, denn er murrte nicht weiter, doch als ich wieder auf die Tür lossteuerte, rief er hinter mir her:»Bring wenigstens meine Aktenmappe aus dem Büro mit, ja?«
Ich ging mit nur geringfügigem Flattern im Bauch wieder durch den Flur, knipste das Bürolicht an, holte ungehindert seine Aktenmappe und richtete die Bürotür in ihrem gewohnten spitzen Winkel aus. Das gleiche machte ich mit der
Wohnzimmertür. Vielleicht, dachte ich, würden sie uns am Morgen verraten, ob wir einen Besucher gehabt hatten, der sich vor mir versteckt hatte.
Ich ging durch den Flur zurück, schaltete das Licht aus, schloß die Tür vom Flur zur Küche, ging hinaus, ließ das dunkle, verschlossene Haus hinter mir und legte die Aktenmappe auf den Autorücksitz.
Aus der Überlegung, daß in London am leichtesten ein Zimmer zu finden wäre, besonders um Mitternacht, für Leute ohne Gepäck, fuhr ich die M4 hinauf und hielt auf Malcolms Anweisung vor dem Ritz. Wir mochten zwar Flüchtlinge sein, sagte er, aber wir würden nicht in irgendeinem Camp absteigen; und im Ritz erklärte er, daß er beschlossen hätte, in London zu übernachten, da er geschäftlich aufgehalten worden sei.