«Wir heißen Watson«, sagte ich spontan, der erstbeste Name, der mir einfiel, als ich plötzlich an Norman Wests Rat dachte.»Wir zahlen mit Travellerschecks.«
Malcolm öffnete den Mund, schloß ihn wieder und war Gott sei Dank still. Auf Travellerschecks konnte man jeden beliebigen Namen setzen.
Die Ritz-Leute zuckten mit keiner Wimper, boten uns zwei miteinander verbundene Zimmer an (eine Doppelsuite war nicht frei) und versprachen Rasierapparate, Zahnbürsten und eine Flasche Scotch.
Malcolm hatte während des größten Teils der Fahrt geschwiegen und ich auch, wobei mit jedem beruhigenden Kilometer das Gefühl zunahm, daß ich wahrscheinlich überreagiert hatte, daß ich die Türen vielleicht doch nicht ausgerichtet hatte und daß, falls jemand aus der Familie ins Haus eingedrungen sein sollte, er vor unserer Rückkehr längst wieder fort gewesen war. Wir waren Stunden später zurückgekommen, als irgend jemand annehmen konnte, wenn er von der Zeit ausging, die man für die Fahrt von Cheltenham brauchte. Ich hätte mich in Quantum hinsetzen und telefonisch die ganze Familie abklappern können, um sicherzugehen, daß sie alle in ihren Nestern waren. Daran hatte ich nicht gedacht, und ich zweifelte, ob es mir in meinem Zustand möglich gewesen wäre.
Malcolm, der die Ansicht vertrat, daß Schlaftabletten nur ein schwacher Ersatz für Scotch waren, stellte seine Schlaftrunktheorie auf die Probe und schnarchte bald sanft vor sich hin. Ich schloß leise die Tür zwischen unseren Zimmern und kletterte unter mein Plumeau, blieb aber noch lange wach. Ich schämte mich meiner Angst in dem Haus, das, so dachte ich jetzt, bestimmt leer gewesen war. Am Nachmittag hatte ich ohne Bedenken meinen Hals riskiert und schwere Hindernisse übersprungen — im Haus hatte mich die Vorstellung gelähmt, jemand würde aus der Dunkelheit über mich herfallen. Die zwei Gesichter des Mutes, dachte ich sarkastisch: Dreh das eine zur Wand.
Wir fuhren am Morgen zurück nach Berkshire und konnten Quantum nicht mit dem Wagen erreichen, da anscheinend das ganze Dorf auf den Beinen war und die Straße blockierte. Überall Autos und Leute: Wagen, die beiderseits am
Straßenrand parkten, Menschen, die auf das Haus zustrebten.
«Was in aller Welt geht da vor?«sagte Malcolm.
«Weiß der Himmel.«
Schließlich mußte ich den Wagen anhalten, und wir gingen das letzte Stück zu Fuß.
Wir mußten uns durch das Gewühl drängen und erregten den Unwillen der Leute, bis sie Malcolm erkannten und ihm Platz machten, so daß wir schließlich die Hofeinfahrt erreichten… und dort kamen wir buchstäblich mit einem Ruck zum Stehen.
Zunächst einmal war ein Seil davorgespannt, das uns den Weg versperrte; ein Polizist bewachte es. Vor dem Haus standen
Krankenwagen, Polizei wagen, Feuerwehrwagen… Schwärme von Uniformierten liefen zielstrebig umher.
Malcolm wankte vor Schreck, und ich kam mir unwirklich vor, losgelöst von meinen Füßen. Unsere Augen sagten es uns, unser Verstand konnte es nicht glauben.
Ein ungeheures ausgezacktes Loch klaffte in der Mitte von Quantum.
Die Leute, die mit aufgerissenen Augen um uns herum am Tor standen, sagten:»Es soll das Gas gewesen sein.«
Kapitel 10
Wir waren vor dem Haus und sprachen mit Polizeibeamten. Ich konnte mich nicht erinnern, die Einfahrt hinaufgegangen zu sein.
Unser Erscheinen am Schauplatz war für die versammelten Rettungseinheiten ein Schock gewesen, aber ein willkommener. Sie hatten in den Trümmern nach unseren Überresten gesucht.
Sie sagten uns, daß die Explosion um vier Uhr dreißig früh erfolgt war; das Wumm und der Nachhall hatten das halbe Dorf aufgeweckt, die Druckwellen hatten Fensterscheiben zerspringen und Hunde in Geheul ausbrechen lassen. Mehrere Leute hatten die Polizei verständigt, doch als sie das Dorf erreichte, schien alles ruhig zu sein. Niemand wußte, wo die Explosion stattgefunden hatte. Die Polizei fuhr bis Tagesanbruch die nähere und weitere Umgebung ab, und da erst sah jemand, was mit Quantum geschehen war.
Die vordere Dielenwand mitsamt der antiken Eingangstür war auf die Einfahrt geschleudert worden, und der Mittelteil des ersten Stocks war in die Halle herabgestürzt. Aus allen Fenstern waren die Scheiben verschwunden.
«Auf der Rückseite ist es leider noch schlimmer«, sagte ein Polizist unerschüttert.»Vielleicht kommen Sie mal mit, Sir. Zumindest können wir dort Bescheid sagen, daß es keine Toten gibt.«
Malcolm nickte mechanisch, und wir folgten dem Polizisten nach links, auf die Seite zwischen Küche und Garage, dann durch den Garten und an der Eßzimmerwand entlang. Der Schock, als wir auf die Terrasse kamen, war trotz der Vorahnung entsetzlich und widerwärtig.
Wo das Wohnzimmer gewesen war, ergoß sich ein Berg von durcheinandergewürfelten staubigen Ziegeln, Putz, Balken und zerschmettertem Mobiliar auf das Gras hinaus. Malcolms Suite, die sich über dem Wohnzimmer befunden hatte, war verschwunden und in dem Chaos untergegangen. Die Mansardenzimmer, die über seinem Kopf gewesen waren, waren ebenfalls eingestürzt. Das Dach, das von vorn fast unbeschädigt ausgesehen hatte, trug auf der Rückseite keine Ziegel mehr, so daß die massiven alten Sparren gegen den Himmel standen wie abgenagte Rippen.
Mein eigenes Zimmer hatte neben Malcolms Schlafzimmer gelegen: Alles, was davon übrig war, waren ein paar zersplitterte Fußbodenbretter, ein Streifen Deckenstuck und ein schiefer Kaminsims an einer geborstenen Wand, die ins Leere abfiel.
Malcolm begann zu zittern. Ich zog meine Jacke aus und legte sie ihm um die Schultern.
«Wir haben kein Gas«, sagte er dem Polizisten.»Meine Mutter hat es vor sechzig Jahren abstellen lassen, weil sie Angst davor hatte.«
Ein leichter Wind wehte hin und wieder, genug, um Malcolms Haar zu heben und es zu zerzausen. Er sah auf einmal gebrechlich aus, als könnte die wirbelnde Luft ihn umwerfen.
«Er braucht einen Stuhl«, sagte ich.
Der Polizist deutete hilflos auf das Schlachtfeld. Keine Stühle mehr übrig.
«Ich hole einen aus der Küche. Kümmern Sie sich um ihn.«
«Es geht schon«, sagte Malcolm schwach.
«Die Außentür zur Küche ist verschlossen, Sir, und wir können Ihnen nicht erlauben, vorn hineinzugehen.«
Ich holte den Schlüssel hervor, zeigte ihn ihm und war schon fort und durch die Tür, bevor er mich aufhalten konnte. Die leuchtend gelben Wände der Küche standen noch, aber die Tür vom Flur war aufgeflogen und hatte eine Gletscherzunge aus
Ziegeln und Staub eindringen lassen. Überall Staub, wie ein Schleier. Putz war von der Decke gefallen. Alles Glas, alles Porzellan im Raum war zersprungen. Moiras Geranien, von den Wandbrettern geworfen, überfluteten als roter Abschiedsgruß ihr vollelektrisches Reich.
Ich nahm Malcolms Lehnstuhl aus Kiefernholz, das einzige Stück, von dem er sich bei allen Neuerungen nicht getrennt hatte, und brachte ihn raus zu ihm. Mit einer Miene, als nähme er ihn gar nicht wahr, ließ er sich hineinsinken und hielt eine Hand vor den Mund.
Feuerwehrleute und andere zerrten an beweglichen Trümmerteilen, doch ihr Arbeitstempo war zurückgegangen, seit sie gesehen hatten, daß wir lebten. Einige von ihnen kamen zu Malcolm herüber, bezeigten Mitgefühl, wollten vor allem aber Auskünfte, beispielsweise, ob wir sicher seien, daß niemand anders im Haus gewesen war.
So sicher, wie wir sein konnten.
Hatten wir irgendwelches Gas im Haus gelagert? Flaschengas? Butan? Propan? Äther?
Nein.
Wieso Äther?
Man konnte ihn zur Kokainherstellung brauchen.
Wir sahen sie verständnislos an.
Sie hatten offenbar schon entdeckt, daß kein Haushaltsgasanschluß vorhanden war. Sie fragten nach anderen Möglichkeiten, weil es dennoch nach einer Gasexplosion aussah.