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Wir hatten keinerlei Gas gehabt.

Hatten wir explosive Stoffe irgendwelcher Art gelagert?

Nein.

Die Zeit schien aus den Fugen.

Frauen aus dem Dorf hatten wie bei allen Katastrophen Thermosflaschen mit heißem Tee für die arbeitenden Männer gebracht. Sie gaben Malcolm und mir welchen davon und trieben eine rote Wolldecke für Malcolm auf, so daß ich meine Jacke in der kalten, böigen Luft wieder anziehen konnte. Über uns hing eine graue Wolkenbank, das Licht war grau wie der Staub.

Ein dichter Ring von Leuten aus dem Dorf stand im Garten um den Rasen herum, und mit jeder Minute kamen noch mehr über die Felder und durch das Gartentor. Niemand verscheuchte sie. Viele machten Fotos. Zwei der Fotografierenden sahen aus wie von der Presse.

Ein Polizeiwagen nahte, bahnte sich mit immer lauter heulender Sirene einen Weg durch die verstopfte Straße. Er heulte die Einfahrt hinauf und verstummte, und wenig später kam ein offenbar ranghoher Mann, der nicht uniformiert war, um das Haus herum und übernahm das Kommando.

Als erstes stoppte er alle Arbeit an den Trümmern. Dann inspizierte er den Schauplatz und machte sich Notizen. Danach sprach er mit dem Feuerwehrhauptmann. Schließlich kam er zu Malcolm und mir herüber.

Untersetzt, mit schwarzem Schnurrbart, sagte er wie zu einem alten Bekannten:»Mr. Pembroke.«

Malcolm sagte entsprechend:»Kommissar«, und das Beben, das er nicht aus seiner Stimme heraushalten konnte, war für jedermann zu hören. Der Wind legte sich für eine Weile, doch Malcolms Zittern ging unter der Decke weiter.

«Und Sie, Sir?«fragte mich der Kommissar.

«Ian Pembroke.«

Er schürzte die Lippen unter dem Schnurrbart und betrachtete mich. Vermutlich war er der Mann, den ich am Telefon gesprochen hatte.

«Wo waren Sie gestern nacht, Sir?«

«Mit meinem Vater in London«, sagte ich.»Wir sind gerade… zurückgekommen.«

Ich schaute ihn fest an. Es gab eine Menge zu sagen, aber ich würde nichts überstürzen.

Er sagte neutraclass="underline" »Wir werden Sprengstoffexperten

hinzuziehen müssen, da der Schaden hier nach vorläufiger Prüfung und in Ermangelung irgendwelchen Gases offenbar durch einen Sprengkörper verursacht worden ist.«

Warum sagte er nicht Bombe, dachte ich gereizt. Warum nicht das Kind beim Namen nennen? Falls er irgendeine Reaktion von Malcolm oder mir erwartet hatte, blieb sie wohl aus, da wir beide schon im Moment, als wir den Fuß auf die Einfahrt gesetzt hatten, zu dem gleichen Schluß gekommen waren.

Wenn das Haus nur gebrannt hätte, wäre Malcolm umhergesaust, hätte Anweisungen erteilt und gerettet, was er konnte, bestürzt zwar, aber voller Energie. Die Folgerungen, die sich aus einem Bombenanschlag ergaben, hatten ihn zu zitternder Mattigkeit reduziert: die Folgerungen und die Tatsache, daß er, wenn er in seinem eigenen Bett geschlafen hätte, nicht mehr aufgestanden wäre, um zu baden, die Sporting Life zu lesen, Travellerschecks auf seiner Bank zu holen und im Ritz zu frühstücken.

Und das gleiche galt für mich.

«Ich sehe, daß Sie beide unter Schock stehen«, stellte der Kommissar fest.»Es ist offensichtlich unmöglich, sich hier zu unterhalten, darum würde ich vorschlagen, Sie kommen mit zur Polizeistation. «Er drückte sich behutsam aus, ließ uns zumindest theoretisch die Freiheit abzulehnen.

«Was wird mit dem Haus?«sagte ich.»Es ist rundum offen. Abgesehen von dem großen Loch sind sämtliche Fenster zersprungen. Es sind sehr viele Sachen drin… Silber, die Unterlagen meines Vaters in seinem Büro. ein Teil der

Möbel.«

«Wir lassen eine Streife hier«, sagte er.»Wenn Sie wünschen, besorgen wir jemand, der die Fenster vernagelt, und benachrichtigen ein Bauunternehmen, das über eine genügend große Plane für das Dach verfügt.«

«Schicken Sie mir die Rechnung«, sagte Malcolm müde.»Die betreffenden Firmen werden zweifellos ihre Kostenforderungen präsentieren.«

«Trotzdem danke«, sagte ich.

Der Kommissar nickte.

Eine Beerdigung für Quantum, dachte ich. Sargfenster, Leichentuchdach. Wahrscheinlich würden die Überreste auch unter die Erde gebracht. Selbst wenn sich irgend etwas von der Struktur des Hauses als hinreichend intakt erwies — würde Malcolm die Kraft haben, es wiederaufzubauen, darin zu wohnen und sich zu erinnern?

Er stand auf, die Wolldecke um sich geschlungen, wirkte um zahllose Jahre gealtert, die Wangen waren ausgehöhlt von Resignation. Mit Rücksicht auf den wackligen Zustand seiner Beine gingen Malcolm, der Kommissar und ich langsam an der Küche vorbei, Richtung vorderer Eingang.

Die Krankenwagen und auch einer der Feuerwehrwagen waren abgefahren, doch das Seil vor dem Eingangstor war überrannt worden, und der Vorgarten war voller Leute, die ein junger Polizist immer noch vergebens zurückzuhalten suchte.

Eine Gruppe an der Spitze kam auf uns zugelaufen, sobald wir auftauchten, und mit einem Gefühl der Unwirklichkeit erkannte ich in ihnen Ferdinand, Gervase, Alicia, Berenice, Vivien, Donald, Helen. Ich verlor die Übersicht.

«Malcolm«, sagte Gervase laut und bremste vor uns ab, so daß auch wir anhalten mußten.»Du lebst!«

Ein winziger Funke Humor erschien in Malcolms Augen ob dieser unwiderlegbaren Feststellung, doch er hatte keine Möglichkeit zu antworten, da die anderen in fragendes Geschrei ausbrachen.

Vivien sagte:»Ich habe aus dem Dorf gehört, Quantum sei in die Luft geflogen und ihr wärt beide tot. «Ihr gepreßter Tonfall enthielt eine Beschwerde darüber, daß sie falsch informiert worden war.

«Ich auch«, sagte Alicia.»Drei Leute riefen an… deshalb bin ich gleich gekommen… natürlich, nachdem ich Gervase und die anderen verständigt hatte. «Sie sah zutiefst erschrocken aus, aber das galt für sie alle — ihre Gesichter spiegelten zweifellos, was sie in meinem sahen, doch zusätzlich litten sie unter der Verwirrung durch die Falschinformation.

«Dann kommen wir alle her«, sagte Alicia,»und stellen fest, daß ihr nicht tot seid. «Sie hörte sich an, als wäre das auch falsch.

«Was ist passiert?«fragte Ferdinand.»Seht euch bloß Quantum an.«

Berenice sagte:»Wo wart ihr denn beide, als es explodiert ist?«

«Wir dachten, ihr wärt tot«, sagte Donald fassungslos.

Noch mehr Gestalten drängten sich durch die Menge, ihre Münder vor Entsetzen geöffnet. Lucy, Edwin und Serena, laufend, stolpernd, die Augen abwechselnd auf dem lädierten Haus und auf Malcolm und mir.

Lucy weinte:»Ihr lebt, ihr lebt!«Tränen liefen an ihren Wangen herab.»Vivien sagte, ihr wärt tot.«

«Weil ich das so gehört habe«, verteidigte sich Vivien. Dämlich… Joyces Einschätzung kam mir wieder in den Sinn.

Serena wankte, kreidebleich. Ferdinand legte den Arm um sie und zog sie an sich.»Ist schon gut, Mädchen, sie sind ja nicht tot. Das alte Haus hat schwer einen abgekriegt, was?«Er drückte sie zärtlich.

«Mir ist nicht gut«, sagte sie schwach.»Was ist passiert?«

«Zu früh, um etwas Genaues zu sagen«, erwiderte Gervase bestimmt.»Aber ich möchte meinen, man kann eine Bombe nicht ausschließen.«

Sie wiesen das Wort zurück, schüttelten den Kopf, hielten sich die Ohren zu. Bomben waren für den Krieg, für niederträchtige Schachzüge im Flugverkehr, für Bushaltestellen an fernen Orten, für eiskalte Terroristen… für andere. Bomben waren nichts für ein Wohnhaus am Rand eines Dorfes in Berkshire, ein Haus inmitten ruhiger grüner Wiesen, bewohnt von einer normalen Familie.

Nur, daß wir eben keine normale Familie waren. In normalen Familien gab es keine Ehefrau Nr. 5, die beim Geraniensetzen ermordet wurde. Ich schaute in die vertrauten Gesichter ringsum und gewahrte in keinem von ihnen Erbostheit oder Bestürzung darüber, daß Malcolm noch lebte. Sie erholten sich allmählich alle von dem Schock des irrtümlich gemeldeten Todes und fingen gleichzeitig an zu begreifen, wieviel Schaden dem Haus zugefügt worden war.