Das verblüffte sie offenbar total.»Hast du sie noch alle? Sag dem Alten… sag ihm. «Sie stockte.
«Du seist froh, daß er noch lebt?«schlug ich vor.
«Laß ihn von niemand in die Luft sprengen.«
«Nein«, sagte ich.
«Muß flitzen, Ian. Brich dir den Hals nicht. Tschüs.«
«Tschüs dann«, sagte ich.
Ich fragte mich, ob sie jemals anders als aus voller Kehle am Telefon sprach. Irgendwie war die Phonstärke beruhigend. Zumindest hörte sie sich nicht gelangweilt an. Mir war lieber, ich machte sie rasend, als daß ich sie langweilte.
Gemächlich fuhr ich zurück nach Cookham, und am Abend widmete ich mich wieder Norman Wests Notizen.
Über Edwin hatte er geschrieben:
Mr. Edwin Pembroke (53), geb. Bugg, lebt mit seiner Frau Lucy in Nr. 3 Wrothsay Farm Cottages bei Marlow. Der einzige Sohn (15) besucht staatliches Gymnasium, fährt mit dem Rad zur Schule, hat Hausschlüssel, bereitet seinen Tee selbst, geht nach oben, erledigt Schulaufgaben, lernt für Prüfungen, ist gewissenhaft; weiß nicht, ob seine Eltern an dem Freitag bzw. Dienstag zur fraglichen Zeit daheim waren, nimmt es aber nicht an. Abends gegen 8 oder 9 kommt er runter zum gemeinsamen vegetarischen Essen. (Kein TV!) Mrs. L. kocht mit dem Wok. Mr. E. wäscht ab.
Mr. E. besorgt die Hausarbeit (nicht viel) und kauft ein, hauptsächlich Gemüse. Er liest oft stundenlang in der Bücherei (von Bibliothekaren bestätigt). Geht in eine Kneipe, sitzt stundenlang bei einem Bier (Barmann empört). Wäscht im Waschsalon. Hört Radio. Löst stundenlang Kreuzworträtsel. (Der Garten ist ungepflegt. Mr. E. hält nichts von Gartenarbeit. Sie ziehen nur Stangenbohnen, die sind einfach.)
Mr. E. und Mrs. L. besitzen einen alten Hillman, den meistens Mr. E. fährt. (Mrs. L. hat Führerschein.) Wagen verstaubt und angerostet, keine Dellen.
Mr. E. gutaussehender Mann, absolute Drohne (meine Meinung). Das untätige Leben paßt ihm. Mr. E.s Untätigkeit scheint auch Mrs. L. zu passen — verstehe die Menschen, wer will. Bei Licht besehen, tut sie weniger als er. Mr. E. kann beißenden Sarkasmus an den Tag legen. Verabscheut Mr. Ian, schimpft über Mr. Pembroke, will aber Geld von ihm (!). Denkt eindeutig zuviel an Mr. Pembrokes Geld, grübelt darüber; sprach in einer Tour davon.
Ende der Ermittlung.
Über Lucy hatte er unter anderem notiert:
Mrs. L. verbringt ihre Tage weitgehend ohne zu wissen, was um sie herum vorgeht (meine Meinung). Ich mußte mehrere Fragen wiederholen. Es war, als ob sie mich nicht hörte, ihr Gehör ist aber in Ordnung. Sie lauscht auf Vorgänge in ihrem Kopf (kann’s nicht präzis ausdrücken). Hat kein Alibi für Freitag oder Dienstag. Kann sich nicht erinnern, wo sie war. (Ich glaube ihr das.) Macht ausgedehnte Spaziergänge. Mrs. L. ist wegen irgend etwas sehr bedrückt, wollte sich aber nicht dazu äußern. Sie aß eine Dose Erdnüsse auf, während wir uns unterhielten, und staunte, als sie alle waren.
Soviel zu Lucy und Edwin, dachte ich. Was war mit Donald und Helen?
Donald Pembroke (44), ältester Sproß von Mr. Pembroke, lebt in Marblehill House, einem chaletähnlichen Einfamilienhaus, das in seiner Stellung als Geschäftsführer des Marblehill Golfclubs (reicher Club, hohe Beiträge) bei Henley-on-Thames inbegriffen ist. Lange Wartelisten für den Vereinsbeitritt, reiche Mitglieder.
Mr. D. hat Mitarbeiter (Platzwart, Clubsteward etc.). Er selbst beaufsichtigt und leitet das Ganze, ist angeblich gut darin, die Mitglieder mögen ihn, sagen, er ist dynamisch, führt strenges Regiment, gute Bar/Clubräume/Turniere etc., geht auf jede
Beschwerde ein, wird als Freund, Autoritätsfigur, sozial Gleichgestellter angesehen. Mr. D. mag seine Arbeit. Sein gesellschaftlicher Status ist unerhört, wichtig für ihn (meine Meinung). Er will niemandem nachstehen.
Was die Alibis für den fraglichen Freitag und Dienstag betrifft: nichts Stichhaltiges. Ist immer» in der Nähe«, nie zu festen Zeiten an bestimmter Stelle, außer gleich nach Dienstantritt (9 h), um mit dem Büropersonal die Post zu erledigen. Hat montags frei, arbeitet sonnabends und sonntags.
Geht zu Fuß zur Arbeit (kaum 100 m). Kommt meistens gegen 19 h nach Hause (im Winter viel früher), bleibt manchmal, bis die Bar schließt. Oft macht er später noch einen Rundgang, um nach dem Rechten zu sehen. Geht in seiner Arbeit auf.
Mr. D. hat Tochter auf der Kunstschule, hohe Gebühren. Außerdem Zwillingssöhne, die dieses Trimester in Eton angefangen haben; vorher auf guter Vorbereitungsschule. (Wie kann er sich das leisten?)
Mr. D. fährt silbernen Mercedes, 2 Jahre alt. Keine Spuren einer Kollision mit Mr. Ian.
Mr. D. findet es sehr bedauerlich, daß Mr. Ian wieder in Mr. Pembrokes Gunst steht. Mit Sicherheit werde sein (Mr. D.s) Erbteil dadurch geschmälert. Das ärgert ihn. Er denkt aber auch, daß Mr. Ian der einzige ist, der Mr. Pembroke überreden kann, schon jetzt einiges von seinem Reichtum zu verteilen. Sieht keinen Widerspruch in diesen Annahmen. (Er werde Mr. Ian benutzen, dafür brauche er ihm nicht zu trauen, meinte er.) Hält Mr. Pembrokes jüngste Ausgaben für unvernünftig,»verrückt«. Nennt ihn senil.
Mr. D. gab mir rasche Antworten; hatte zu tun. Sagt, seine finanziellen Angelegenheiten gingen mich nichts an; leicht gereizt bei diesem Thema. Hat er Schulden? (Meiner Meinung nach, bedenkt man seine Ausgaben, wahrscheinlich ja.) Champagner-Lebensstil.
Ende der Ermittlung.
Und Helen?
Mrs. Helen Pembroke (43), Frau von Mr. D. Sehr gutaussehende Dame. Sehr besorgt, wollte nicht sagen, weshalb.
Ich befragte sie in Marblehill House — hochtrabender Name für ziemlich normalgroße 3-Zimmer-Wohnung, allerdings hübsches Wohnzimmer mit Blick auf Golfplatz. Gute Einrichtung, Flair von Wohlhabenheit.
Mrs. H. malt in Heimarbeit (auf Staubdecke im Eßzimmer) Ansichten von Henley auf Teller, Krüge und Dosen aus Porzellan. Sehr schnell, sehr gut (für mein Empfinden); ansprechende Bilder. Sie werden in einer Fabrik gebrannt, sagt sie, und dann in hiesigen Geschäften verkauft. Angemessen bezahlt, meint sie. (Was ist angemessen? Sie sagt, ihre Arbeit sei als Hobby anzusehen. Mr. D. bezeichnet es auch so.)
Mrs. H. arbeitet allein, fast jeden Tag, hat keine Alibis für Freitag und Dienstag. Manchmal fährt sie zum Einkaufen nach Henley, aber unregelmäßig. Mrs. H. hat weißen Cavalier, sauber, ohne Dellen.
Keine Kinder im Haus. Tochter teilt Wohnung mit Freundinnen in der Nähe der Kunstschule (weitere Unkosten).
Mrs. H. steht hundertfünfzigprozentig zu Mr. D. Hält meine Nachfragen für überflüssig. Die Annahme, Mr. D. würde seinen Vater überfallen, sei lächerlich. Ganz ausgeschlossen. (Meiner Meinung nach war sie da gar nicht so sicher.) Sie brauchen dringend mehr Geld (meine Meinung).
Mrs. H. teilt weitgehend Mr. D.s Meinung von Mr. Ian, hat aber anscheinend nichts gegen ihn persönlich.
Ende der Ermittlung.
Freitag morgen ging ich in eine Bibliothek und schlug» Sprengstoff «in den Enzyklopädien nach. Ammoniumnitrat war aufgeführt, ebenso das nötige Verhältnis von Dünger zu Dieselöl und auch die Formel für das Verhältnis von Rauminhalt zu Kilos. Das Wissen stand jedem, der es suchte, zur Verfügung.
Freitag nach dem Lunch fuhr ich zum Marblehill Golfclub und fand Donald im Clubraum, wo er vier Männer, die sich verspätet und ihr Spiel verpaßt hatten, beschwichtigte.
«Geh rüber zum Haus«, sagte er, als er mich sah.»Ich kann hier nicht reden. «Entschlossen wandte er sich wieder dem vorliegenden Problem zu, und ich gehorchte ihm wie ein braver kleiner Bruder.
Helen war eher resigniert als verärgert über mein Auftauchen.»Ferdinand sagte, du würdest kommen, und gestern war schon die Polizei hier. Nicht, daß wir ihr irgend etwas sagen konnten oder dir was sagen könnten.«
Sie trug einen Malerkittel über Jeans und sah aus wie von Dior eingekleidet. Sie führte mich ins Wohnzimmer, wies auf einen Sessel und hockte sich mit unbewußter Anmut auf die Kante eines polierten Tisches, wobei sie die Handgelenke anhob, um ihre farbverschmierten Hände von dem Möbel fernzuhalten.