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Es gab keinen klar Führenden. Drei Pferde liefen vereint an der Spitze, gefolgt von einem Duo, dann Blue Clancy allein. Zuviel Arbeit, dachte ich — und der agile Hengst widerlegte mich prompt. Sein Jockey schwenkte ihn weit von den anderen weg, damit er freie Bahn hatte, und gab ihm unmißverständliche Zeichen, daß es jetzt darauf ankam, jetzt, in dieser halben Minute, wenn überhaupt.

Blue Clancy legte zu. Malcolm schrie, Ramsey war sprachlos. Blue Clancy an dritter Stelle, die Ränge tobten. Blue Clancy noch schneller, jetzt Zweiter. Malcolm still, mit offenem Mund, großen Augen. Das Unglaubliche geschah, ehrfurchterweckend, atemberaubend… und Blue Clancy hatte eindeutig, unzweifelhaft gesiegt.

Malcolms Augen waren wie von innen leuchtende Saphire. Er konnte noch immer nicht sprechen. Ramsey packte ihn beim Arm und zog ihn, und beide rannten, tanzten fast, schlängelten sich zwischen Bummlern hindurch nach unten, um ihren frischgebackenen Champion zu empfangen. Ich folgte ihnen staunend auf den Fersen. Manche Besitzer hatten immer Glück, andere nie, das war eine unbestreitbare Tatsache im Galopprennsport. Malcolms Glück war phänomenal. War es immer schon gewesen, bei allem, mit Ausnahme seiner Ehefrauen. Ich hätte vermutlich wissen müssen, daß es ihm auf der Rennbahn treu sein würde. König Midas hatte ihn berührt, und Blue Clancy war sein jüngstes Gold.

Ironisch fragte ich mich, was die Familie dazu sagen würde. Das Vermögen, das er für Pferde hinausgeworfen hatte, war schon wieder zurückgekommen: Blue Clancy war mindestens doppelt soviel wert wie vor dem Arc.

Chrysos, träumte ich mit offenen Augen, würde das Derby gewinnen. Der Kaulquappenfilm (tatsächlich war es einer über Haie, wie Malcolm mir gesagt hatte) würde in Cannes gewinnen. Der Pol Roger würde im Wert steigen. Alle würden einsehen, wie wichtig es war, die goldene Gans nicht umzubringen (falsches Geschlecht, na wennschon. Es war ein irrer Tag). Wir könnten nach Hause zurückkehren, würden herzlich empfangen und wüßten uns in Sicherheit.

Nur, daß es nicht so war. Zu Hause wartete eine unabschätzbare Gefahr auf uns, und es war lebenswichtig, daran zu denken und Pläne zu schmieden.

Ernüchtert wie immer von dem, was vor uns lag, ging ich trotzdem in glänzender Laune zu einer Rennparty und fuhr anschließend mit Malcolm zum Flughafen von Los Angeles, um durch die Nacht nach Australien zu fliegen. Die Party, die Leute kamen mit uns. Melbourne trug den Schwung weiter, da es seinem eigenen Cup entgegendrängte, der stets am ersten Dienstag im November stattfand. Alles, sagte man uns dort, war auf das Rennen ausgerichtet. Die Schule fiel aus, und die Geschäfte von Melbourne machten dicht. In der Lobby des Hyatt-Hotels, in dem wir abstiegen (Watson und Watson), tummelten sich Leute, die in Newmarket besser bekannt waren, und strahlten wie die Kinder, die schulfrei hatten.

Ramsey hatte sich im Hinblick auf die Reservierungen selbst übertroffen. Sogar um unsere Etage zu erreichen, mußten wir im Fahrstuhl einen besonderen Schlüssel benutzen, und oben gab es einen privaten Gesellschaftsraum für Cocktails und Frühstück (aber getrennt). Malcolm wußte es zu schätzen, stellte sich mühelos darauf ein, orderte Champagner, atmete Melbourner Luft und wurde sofort zum Australier.

Draußen auf der Rennbahn von Flemington (kein Schloß) gab es weniger Schick und Eleganz als in Santa Anita, genausoviel Begeisterung, sehr gutes Essen, einen viel besseren Führring. Malcolm fand die Rennen des Tages nicht so mitreißend wie in Paris oder Kalifornien, da ihm kein Teilnehmer gehörte. Er hatte versucht, das bei der Ankunft zu ändern, doch niemand wollte ein Tier der Spitzenklasse verkaufen, und darunter kam für ihn nichts in Frage. Statt dessen fing er an, systematisch zu wetten, aber nur in Zehnern, und wurde es unabhängig von Gewinn oder Verlust bald wieder leid. Ich ließ ihn und Ramsey in den Vereinsräumen zurück, wanderte wie in Paris ins Publikum hinunter und fragte mich, wie viele dieser Leute in Hemdsärmeln, T-Shirts und Karnevalshüten sich wohl mit widerspenstigen Problemen herumschlugen. Wenn die Show vorbei war, würde Malcolm unruhig werden und weiterziehen wollen, und ich war noch nicht soweit. Unter den schattigen Bäumen, umgeben von Bierdosen und lautstarkem Australisch, suchte ich nach der Lösung, die uns den wenigsten Kummer bereiten würde.

Es gab keinen wirklich schmerzlosen Ausweg. Kein Hinwegtäuschen oder Hinwegsehen über das, was Moira angetan worden war. Aber wenn jemand sich schuldig bekennen und sich auf verminderte Zurechnungsfähigkeit aufgrund psychischer Belastung berufen konnte, gab es vielleicht eine stille Verhandlung und für uns die Möglichkeit lebenslanger Besuche in einer Art Krankenhaus statt in einer strengen Haftanstalt. So oder so, auf jeden Fall standen uns Tränen bevor.

Obendrein mußte ich recht haben und mußte Malcolm einwandfrei davon überzeugen, daß ich recht hatte. Mußte die ganze Familie und auch die Polizei überzeugen, ohne daß mir ein Fehler unterlief. Mußte uns allen zuliebe einen Weg dahin finden, der friedlich und einfach war.

Ich verfolgte den Melbourne-Cup vom Boden aus, bekam also im Endeffekt nicht viel davon mit, da Tausende andere das gleiche machten. Andererseits war ich vorher und nachher näher an den Pferden, sah sie herumgehen und hörte die meist nicht schmeichelhaften Kommentare kundiger Drängler, die sich um mehr Sicht bemühten.

Die Teilnehmer des Melbourne-Cup waren älter und robuster als die Stars zu Hause. Manche waren acht oder neun. Alle traten viel öfter an, einmal die Woche war nicht ungewöhnlich. Der Favorit des heutigen Rennens hatte erst vor drei Tagen auf der Bahn gesiegt.

Sie starteten für einen Gesamtgeldpreis von einer Million australischen Dollars, wovon fünfundsechzig Prozent an den Sieger gingen, neben einem hübschen Goldpokal.

Da er dieses Jahr gehandikapt war, nahm ich an, daß Malcolm nächstes Jahr wiederkommen würde. Er hatte in Paris und Kalifornien einige der Besitzer kennengelernt, die jetzt im Führring standen, und ich konnte mir denken, welchen Neid er empfand. Niemand ist so leidenschaftlich wie ein Neubekehrter.

Als das Rennen schließlich lief, konnte ich wegen der Anfeuerungsrufe um mich herum die Ansage nicht hören, aber das spielte keine große Rolle: Der Sieger gehörte einem der internationalen Besitzer, und hinterher fand ich Malcolm, brütenden Blickes und in teure Gedanken versunken, am Absattelring.

«Nächstes Jahr«, sagte er.

«Du bist süchtig.«

Er stritt es nicht ab. Er und Ramsey klopften einander auf den Rücken, gaben sich die Hand und versprachen wie Blutsbrüder, sich regelmäßig auf jeder großen Rennbahn der Welt wiederzutreffen. Ramsey, der wuchtige Hersteller von Millionen Baseballmützen, hatte irgendwo unterwegs erfaßt, was» Metall «in Malcolms Sprachgebrauch eigentlich hieß, und aus den Kumpeln waren recht gute Freunde geworden, von denen keiner sich dem anderen überlegen fühlte.

Sie erwogen, noch in Australien zu bleiben, aber Ramsey war der Meinung, die Baseballmützen brauchten seinen Beistand. Malcolm schwankte, ob er ein paar Goldminen in Kalgoorlie besuchen sollte, entschied sich statt dessen aber für einen Goldmakler in Melbourne. Wir verbrachten den Abend des Melbourne-Cup bei einem Abschiedsdiner, und als Ramsey am nächsten Morgen abgereist war und uns in dem ruhigen Frühstückszimmer oben allein gelassen hatte, sah Malcolm mich an, als käme er zum erstenmal, seit wir aus England fort waren, zurück auf die Erde. Mit einem Anflug von Mutlosigkeit fragte er mich, wie lange er noch aus Sicherheitsgründen im Exil bleiben solle.

«Es hat dir doch gefallen«, sagte ich.