«Bei Gott, ja. «Die Erinnerung blitzte in seinen Augen.»Aber es ist nicht das wahre Leben. Wir müssen zurück. Ich weiß, daß ich vermieden habe, darüber zu reden, weil es einfach furchtbar ist. Ich weiß, daß du die ganze Zeit darüber nachgedacht hast. Das konnte ich dir ansehen.«
«Ich habe sie jetzt viel besser kennengelernt«, sagte ich,»meine Brüder und meine Schwestern. Du mußt wissen, ich hatte nicht gar so viel Interesse für sie, bevor Moira starb. Wir trafen uns natürlich hin und wieder, aber ich hatte weitgehend vergessen, wie wir als Kinder waren. «Ich legte eine Pause ein, doch er äußerte sich nicht dazu.»Seit die Bombe in Quantum hochgegangen ist«, sagte ich,»ist mir vieles aus der Vergangenheit wieder eingefallen. Ja, und dabei habe ich begriffen, wie die Gegenwart aus der Vergangenheit erwachsen ist. Wie meine Stiefschwestern und meine Stiefbrüder davon beeinflußt worden sind. Wie leicht die Menschen Lügen glauben, alte und neue. Wie zerstörerisch es ist, sich nach dem Unerreichbaren zu sehnen, mit allem anderen aber unzufrieden zu sein. Daß Zwangsvorstellungen nicht weggehen, sondern schlimmer werden.«
Er schwieg eine Weile, dann sagte er:»Traurig. «Mit einem Seufzer fuhr er fort:»Wieviel brauchen sie also? Wieviel soll ich ihnen geben? Ich halte nichts davon, aber ich sehe ein, daß es sein muß. Ihre Zwangsvorstellungen sind um so schlimmer geworden, je reicher ich geworden bin. Wäre das Geld nicht, hätten sie sich besser zurechtgefunden. Willst du das damit sagen?«
«Ja, zum Teil. «Es war nicht ganz das, was ich meinte; da es jedoch unverhofft eine erwünschte Reaktion hervorgerufen hatte, hielt ich den Mund.
«Na schön«, sagte er.»Ich habe einen verdammt guten Urlaub gehabt und bin in Spendierlaune, also stell eine Liste auf, wer wieviel bekommen soll.«
«Alle das gleiche«, sagte ich.
Er wollte widersprechen, seufzte aber nur.»Und was ist mit dir?«
«Weiß ich nicht. Das entscheiden wir später.«
«Ich dachte, du wolltest eine halbe Million, um als Trainer anzufangen.«
«Ich hab’s mir anders überlegt. Vorläufig jedenfalls. Ich will erst noch was anderes machen.«»Was denn?«
Ich zögerte. Ich hatte es mir noch kaum selbst eingestanden, geschweige denn jemand anderem erzählt.
«Na los«, drängte er.
«Jockey sein. Profi werden.«
«Guter Gott«, sagte er verblüfft.»Ist das nicht ein bißchen spät für dich?«
«Mag sein. Wir werden sehen. Mir bleiben vielleicht drei, vier Jahre. Besser, als wenn ich’s gar nicht versuche.«
«Du erstaunst mich. «Er dachte nach.»Genaugenommen erstaunst du mich andauernd, seit du nach Newmarket gekommen bist. Es scheint, ich habe dich vorher kaum gekannt.«
«So geht’s mir auch mit dir«, sagte ich,»und mit der ganzen Familie.«
Später am selben Tag traten wir die Heimreise an, die uns westwärts über Singapur führte. Malcolms Goldmakler flog zufällig zur gleichen Zeit hin, also tauschte ich im Flugzeug den Platz mit ihm und ließ die beiden über Dinge reden wie» Schlag-und-Dreh-Bohrungen, damit man einen ersten Eindruck bekommt «und» nötige Diamantbohrungen, um die Reserven genau einzuschätzen«, was sie stundenlang zu amüsieren schien.
Ich dachte inzwischen über Einladungen nach. Einladungen von der Art wie etwa Fleisch über einer Bärengrube. Die richtige Einladung würde den richtigen Besucher bringen. Das Problem bestand darin, die Einladung glaubhaft zu gestalten.
Eine Schwierigkeit dabei war die Zeit. Wenn wir England erreichten, würde Malcolm vier Wochen lang außer Gefahr gewesen sein und ich beinah drei. Wir waren in Sicherheit gewesen, und ich hatte Zeit zum Nachdenken gehabt: soweit die Vorteile. Der Nachteil war, daß seit Malcolms Überleben in der
Garage sechs Wochen vergangen waren und zehn seit Moiras Tod. Würde eine klassische Lockfalle nach einer so langen Zwischenzeit noch funktionieren? Es gab nur eins: versuchen und abwarten.
Malcolms Stimme sagte gerade:»… ein Abschnitt, der 5,8 Gramm pro Tonne enthält «und etwas später:»… Big Bell bereitet Oxid und faules Gestein auf «und:»… Queensland hat Zukunft durch die epithermalen Goldlager in Woolgar.«
Der Makler hörte zu und nickte und schien beeindruckt. Mein alter Herr, dachte ich, kennt sich wirklich aus. An einem Punkt unserer Reise hatte er mir eröffnet, daß es rund 2500 aktive Goldminen in Australien gab und daß es bald Kanada Konkurrenz machen oder sogar als Produzent übertreffen würde. Ich hatte nicht gewußt, daß Kanada groß in Gold war. Ich sei ungebildet, meinte er. Kanada habe bisher in der nichtkommunistischen Welt regelmäßig an zweiter Stelle hinter Südafrika rangiert.
Wir hatten voneinander in mehr als einer Hinsicht wohl ziemlich viel gelernt.
Ich würde jemand brauchen, der die Einladung überbrachte. Selbst konnte ich das nicht.
«Marktwert pro Unze…«:, hörte ich den Makler zwischendurch sagen und:»… in situ Reserven aufgrund geologischer Interpretation.«
Ich wußte, wer die Nachricht überbringen konnte. Der ideale Kandidat.
«Da Tagebau bloß zweihundert australische Dollar die Unze kostet.«
Prima für den Tagebau, dachte ich und nickte ein.
Wir verließen am Mittwoch den australischen Frühling und kamen am Freitag heim in den englischen Winter. Malcolm und ich kehrten als die beiden Mr. Watson ins Ritz zurück, und er versprach, daß er mit niemand telefonieren würde, nicht mal mit seinem Londoner Makler. Ich ging am Nachmittag einkaufen und verblüffte ihn dann im Brandy-und-Zigarren-Stadium später am Abend, indem ich Joyce anrief.
«Du sagtest doch…«, zischte er, als er ihre Stimme wie üblich förmlich aus dem Apparat springen hörte.
«Hör zu«, zischte ich zurück.»Hallo, Joyce.«
«Liebling! Wo steckst du? Was treibst du? Wo ist dein Vater?«
«In Australien«, sagte ich.
«Was?« kreischte sie.
«Goldminen besichtigen«, sagte ich.
Das klang ihr plausibel und würde ihnen allen plausibel erscheinen.
«Er war in Kalifornien, das stand in der Zeitung«, sagte sie.»Blue Clancy hat ein Rennen gewonnen.«
«Wir sind dann weiter nach Australien.«
«Wir? Ian, wo bist du jetzt?«
«Es spielt keine Rolle, wo ich bin«, sagte ich.»Damit wir gefahrlos nach Hause kommen können, müssen wir herausfinden, wer Moira umgebracht hat. Hilfst du uns dabei?«
«Aber Ian, die Polizei hängt da seit Wochen dran. und Ferdinand meint ohnehin, es müßte Arthur Bellbrook sein.«
«Es ist nicht Arthur Bellbrook«, sagte ich.
«Wieso nicht?«Sie hörte sich streitlustig an, wollte immer noch, daß es Arthur Bellbrook war, wollte, daß es der außenstehende Aggressor war.»Er hätte es ohne weiteres tun können. Ferdinand sagt, ihm wäre alles zuzutrauen. Er muß es sein. Er hat eine Schrotflinte, sagt Ferdinand.«
Ich sagte:»Arthur hat seine Flinte nicht benutzt. Aber wichtiger ist, er hätte nicht genau so eine Schaltuhr gebaut, wie wir sie als Kinder gebaut haben, und er hatte kein Motiv.«
«Er könnte Moira verabscheut haben.«
«Allerdings«, sagte ich,»aber weshalb sollte er Malcolm umbringen wollen, den er gut leiden kann? Ich habe sein Gesicht gesehen, als er an dem Morgen nach der Bombe sah, daß Malcolm noch lebt, und er war ehrlich froh.«
«Alle wollen, daß es Arthur Bellbrook ist«, sagte sie starrsinnig.»Er hat ihre Leiche gefunden.«
«Wenn die Polizei ihn für den Täter hielte, hätte sie Malcolm nicht so verdächtigt.«
«Du hast auf alles eine Antwort«, klagte sie.
Ich hatte selbst eine Zeitlang gewünscht, es wäre Arthur. Schließlich war da die Sache mit dem Zuchtgemüse vorgefallen (aber das schien er verwunden zu haben, und würde irgend jemand wegen solch einer Kleinigkeit morden?), auch war er Soldat gewesen und kannte sich vielleicht mit Sprengstoff aus. Aber durch Malcolms Tod hätte er mehr verloren als gewonnen, und es war undenkbar, daß er Malcolm in Cambridge aufspüren, ihm von dort zur Newmarketer Auktion folgen und versuchen würde, ihn zu überfahren. Das war ein Werk der Besessenheit. Arthur hatte friedlich Kartoffeln ausgegraben; Arthur hatte den zeitweiligen Ruhm genossen; Arthur hatte sich um die Hunde gekümmert. Arthur war die Verkörperung unerschütterlicher, vernünftiger Gemütsruhe.