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Ich beobachtete die Einfahrt. Immer noch nichts Neues.

«Vielleicht gibt uns das Ritz ein Lunchpaket mit.«

«Und Montag? Montag nicht auch noch. «Er hatte drei Tage zugesagt, bevor es losging. In der Praxis war er überfordert.

«Am Montag, wenn’s dunkel wird, geben wir auf«, sagte ich.

«Du bist so verdammt hartnäckig.«

Ich beobachtete die Spiegel. Komm, dachte ich. Komm.

«Vielleicht hat Joyce die Anrufe vergessen«, sagte Malcolm.

«Bestimmt nicht.«

«Oder Edwin war nicht zu Hause.«

«Das schon eher.«

Ein heller Wagen rollte die Einfahrt herauf, war plötzlich da.

Kein Versuch, sich zu verstecken. Kein argwöhnisches Umherschleichen. Ganz selbstbewußt. Nicht ein Gedanke, daß es eine Falle sein könnte.

Ich saß still, atmete tief.

Sie stieg aus dem Wagen, lang und kräftig. Sie ging auf die Beifahrerseite, zog die Tür auf und nahm einen braunen Pappkarton heraus, den sie mit beiden Armen vor sich hielt, wie man Lebensmittel trägt. Ich hatte erwartet, daß sie direkt um das Haus herum zur Küchentür gehen würde, aber das tat sie nicht, sie trat ein paar Schritte in den klaffenden Mittelteil, hob den Blick und sah sich um, als wäre sie von Scheu ergriffen.

Malcolm bemerkte meine gespannte Aufmerksamkeit, stand auf und stellte sich zwischen mich und die Spiegel, um zu sehen, wohin ich schaute. Ich dachte, er würde wie gelähmt sein und sprachlos bestürzt, doch er war nichts dergleichen.

«O nein«, sagte er verärgert.»Was macht sie denn hier?«

Ehe ich ihn aufhalten konnte, stürmte er geradewegs aus dem Spielzimmer und sagte:»Serena, geh weg, du verdirbst doch alles.«

Ich war ihm auf den Fersen, war wütend auf ihn. Serena wirbelte herum, als sie seine Stimme hörte. Sie sah ihn im Gang auftauchen. Ich bekam flüchtig ihr Gesicht zu sehen, großäugig und erschrocken. Sie machte einen Schritt zurück und stolperte über eine Falte der schwarzen Kunststoffplane und ließ den Karton fallen. Sie versuchte ihn aufzufangen… berührte ihn… stieß ihn nach vorn.

Ich sah die Panik in ihrem Gesicht. Schlagartig ging mir auf, was sie mitgebracht hatte.

Ich riß Malcolm mit dem Arm um seinen Hals zurück, drehte mich und warf uns zu Boden, um Schutz hinter der Treppenwand zu finden.

Wir stürzten beide noch, als die Welt auseinanderflog.

Kapitel 19

Ich lag vor der Spielzimmertür und versuchte zu atmen. Meine Lungen waren wie kollabiert. Mein Kopf klang von dem entsetzlichen Lärm, und der Geruch des Sprengstoffs hinterließ einen Geschmack, als wäre mein Mund voll davon.

Malcolm lag kaum einen Meter weg bewußtlos auf dem Bauch.

Die Luft war staubdurchsetzt und schien noch immer zu vibrieren, aber wahrscheinlich war das die Erschütterung in meinem Schädel. Ich fühlte mich in Brei verwandelt. Ich fühlte mich vollkommen kraftlos. Ich pries mich glücklich.

Das Haus um uns herum stand noch. Wir lagen nicht unter Tonnen neuer Trümmer. Die zähen, tragenden alten Wände, die die erste Bombe überlebt hatten, hatten auch die zweite überlebt — die ohnehin nicht koffergroß gewesen war.

Mein Brustkorb hob sich, und der Atem kam wieder. Ich bewegte mich, versuchte mich aufzurappeln, sondierte die Lage. Ich fühlte mich zerschlagen und mies, aber es war nichts gebrochen; kein Blut. Ich wälzte mich auf die Knie und rutschte auf ihnen zu Malcolm. Er lebte, er atmete, er blutete nicht aus Ohren oder Nase: in dem Augenblick genügte das.

Ich kam langsam, mühsam auf die Füße und ging schwankend in den offenen Mittelteil. Ich hätte gern die Augen geschlossen, aber auslöschen konnte man es nicht. Man mußte Schrecken durchstehen, wenn man ihnen begegnete.

An der Stelle, wo die Bombe explodiert war, war der schwarze Bodenbelag glatt weggerissen worden, und den Rest hatte es in großen zerfetzten Bahnen übereinandergeworfen. Serena — das, was einmal Serena gewesen war — lag zwischen und halb unter den schwarzen Plastikfalten: Dinge in Smaragdgrün und rüschenbesetztem Weiß, in hellblauen Beinwärmern, dunkelblauen Strumpfhosen; Fleischfetzen, scharlachrote Spritzer… eine scharlachrote Lache.

Ich ging umher und deckte die Teile ihres Körpers ganz mit der schwarzen Plane zu, verbarg die grauenvolle Wahrheit für den Fall, daß jemand unvorbereitet hierherkam. Ich fühlte mich krank. Als wäre mein Kopf voll Luft. Ich zitterte unkontrollierbar. Ich dachte an Leute, die häufig mit solchen Greueln zu tun hatten, und fragte mich, ob sie sich je daran gewöhnten.

Malcolm stöhnte auf dem Gang. Ich ging rasch wieder zu ihm. Auf seiner Stirn zeichnete sich bereits eine größere Schwellung ab, und ich überlegte, ob er wohl einfach dadurch die Besinnung verloren hatte, daß er voll auf dem Holzboden aufgeschlagen war.

«Gott«, sagte er gequält.»Serena… o großer Gott.«

Ich half ihm auf die wackligen Beine, führte ihn durch die Seitentür hinaus in den Garten und am Büro vorbei zur Vorderseite. Behutsam lotste ich ihn auf den Beifahrersitz von Serenas Auto.

Malcolm legte den Kopf in die Hände und weinte um seine Tochter. Ich stand da, mit den Armen auf dem Wagendach und meinem Kopf auf den Armen, und fühlte mich schwach, elend und unsagbar alt.

Ich hatte mir noch kaum die Frage gestellt, was als nächstes zu tun war, als ein Polizeiwagen in die Einfahrt kam und langsam, wie zögernd auf uns zurollte.

Der Polizist, mit dem ich durch die Fenster geschaut hatte, hielt den Wagen an und stieg aus. Er sah jung aus, Jahre jünger, als ich war.

«Jemand aus dem Dorf hat noch eine Explosion gemeldet. «Er blickte fragend von uns zum Haus.

«Gehen Sie nicht rein«, sagte ich.»Verständigen Sie den Kommissar. Hier ist noch eine Bombe hochgegangen, und diesmal gab es einen Toten.«

Schreckliche Tage folgten, voller Fragen, Formalitäten, Erklärungen, Bedauern. Malcolm und ich kehrten ins Ritz zurück, wo er um das verlorene Kind trauerte, das sich so sehr bemüht hatte, ihn umzubringen.

«Du sagtest doch… mein Geld war ihr gleichgültig. Warum … warum hat sie das alles getan?«

«Sie wollte…«, sagte ich,»ganz einfach ausgedrückt, glaube ich, sie wollte mit dir in Quantum leben. Danach hat sie sich gesehnt, seit sie sechs war und Alicia sie wegholte. Sie wäre vielleicht zu einer netten, normalen jungen Frau herangewachsen, wenn die Richter dir das Sorgerecht zugesprochen hätten, aber die Gerichte bevorzugen natürlich Mütter. Sie wollte wiederhaben, was ihr entrissen worden war. Ich habe sie darum weinen sehen — vor gar nicht langer Zeit. Es war noch konkret und real für sie. Sie wollte wieder dein kleines Mädchen sein. Sie weigerte sich, erwachsen zu werden. Sie zog sich sehr oft wie ein Kind an.«

Er hörte mit aufgerissenen Augen zu, als sähe er vertrautes Land von Dämonen bevölkert.

«Alicia war ihr keine Hilfe«, sagte ich.»Sie hat sie mit Geschichten über deine Zurückweisung gefüttert und ihre Entwicklung bewußt nicht gefördert, wegen ihrer eigenen Kleinmädchenmasche.«

«Arme Serena. «Er sah gepeinigt aus.»Sie hatte nicht viel Glück.«

«Nein.«

«Aber Moira…?«: sagte er.

«Ich glaube, Serena hat sich eingeredet, wenn sie Moira beseitigte, könnte sie wieder nach Quantum kommen, dort mit dir leben und für dich sorgen, und ihr Traum würde wahr.«

«Das gibt keinen Sinn.«

«Mord hat nichts mit Sinn zu tun. Er hat mit Besessenheit zu tun. Mit Zwang, unwiderstehlichem Drang, morbider Neigung. Ein Akt jenseits der Vernunft.«

Er schüttelte hilflos den Kopf.

«Wir werden nie erfahren«, sagte ich,»ob sie die Absicht hatte, Moira an dem Tag umzubringen. Ich wünschte, wir wüßten es, aber wie sollten wir? Sie hatte bestimmt nicht vor, Moira auf die Art und Weise umzubringen, wie sie es getan hat, denn niemand konnte wissen, daß dort ein aufgeschnittener, fast voller Sack bereitliegen würde. Hätte sie beabsichtigt, Moira an dem Tag umzubringen, würde sie irgendeine Waffe mitgenommen haben. Weißt du, ich frage mich, ob sie ihr vielleicht eins über den Kopf geben und sie ins Auto setzen wollte, wie sie es mit dir gemacht hat.«