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»Mein Gott, Óscar, Sie sind ja völlig durchnässt! Marina, bring Óscar ein paar Handtücher… Kommen Sie, Óscar, wir machen Feuer, es ist ein wahres Hundewetter.«

Ich setzte mich vor den Kamin, die Tasse Brühe in der Hand, die mir Marina gemacht hatte. Schwerfällig erläuterte ich den Grund meines Hierseins, erwähnte jedoch die Silhouette im Fenster und den unseligen Gestank nicht. Germán akzeptierte meine Erklärungen ohne weiteres und zeigte sich über mein Eindringen keineswegs beleidigt, im Gegenteil. Bei Marina jedoch war es anders. Ihr Blick durchbohrte mich. Ich befürchtete, mein idiotisches, schon fast gewohnheitsmäßiges Ins-Haus-Schleichen könnte das endgültige Aus für unsere Freundschaft bedeuten. In der halben Stunde, die wir vor dem Feuer saßen, tat sie den Mund nicht auf. Als Germán sich mit einem Gute Nacht entschuldigte, vermutete ich, meine ehemalige Freundin werde mich mit Fußtritten hinausschmeißen und mir untersagen, mich jemals wieder hier blicken zu lassen.

Da, jetzt kommt’s, dachte ich. Der Todeskuss. Schließlich lächelte sie fein und sarkastisch.

»Du siehst aus wie eine seekranke Ente«, sagte sie.

»Danke.«Ich hatte etwas Schlimmeres erwartet.

»Wirst du mir nun erzählen, was zum Teufel du hier gesucht hast?«

Ihre Augen glänzten im Licht des Feuers. Ich schlürfte den Rest Suppe und senkte den Blick.

»Ich weiß es wirklich nicht… Vermutlich… Ach, was weiß ich…«

Zweifellos kam mir mein jämmerlicher Anblick zu Hilfe – Marina trat zu mir und tätschelte mir die Hand.

»Schau mich an«, befahl sie.

Ich gehorchte. Sie betrachtete mich mit einer Mischung aus Mitleid und Sympathie.

»Ich bin dir nicht böse, hörst du? Es hat mich bloß überrascht, dich hier zu sehen, einfach so, ohne Ankündigung. Jeden Montag begleite ich Germán zum Arzt, ins San-Pablo-Krankenhaus, darum waren wir nicht da. Das ist kein guter Tag für Besuche.«

Ich war beschämt.

»Es wird nicht wieder vorkommen.«

Schon wollte ich ihr von der seltsamen Erscheinung berichten, die ich gesehen zu haben glaubte, als sie leise lachte und sich vorbeugte, um mich auf die Wange zu küssen. Allein die Berührung ihrer Lippen trocknete meine Kleider auf der Stelle. Meine Worte verirrten sich auf dem Weg zur Zunge. Marina bemerkte mein stummes Gestammel.

»Was ist?«, fragte sie.

Ich betrachtete sie schweigend und schüttelte den Kopf.

»Nichts.«

Sie zog die Brauen in die Höhe, als glaubte sie mir nicht, insistierte aber nicht weiter.

»Noch etwas Brühe?«Sie stand auf.

»Gern.«

Sie ging mit meiner großen Tasse in die Küche, um sie zu füllen. Ich blieb beim Feuer und betrachtete fasziniert die Porträts der Dame an den Wänden. Als Marina zurückkam, folgte sie meinem Blick.

»Die Frau auf all diesen Porträts…«, begann ich.

»… ist meine Mutter.«

Ich spürte, dass ich mich auf heikles Gebiet wagte.

»Solche Bilder habe ich noch nie gesehen. Sie sind wie… Fotos der Seele.«

Marina nickte schweigend.

»Es muss ein berühmter Künstler sein«, schob ich nach.»Aber so was habe ich noch nie gesehen.«

Marinas Antwort ließ ein wenig auf sich warten.

»Und du wirst es auch nie wieder sehen. Seit fast sechzehn Jahren hat der Künstler kein Bild mehr gemalt. Diese Porträtserie war sein letztes Werk.«

»Er muss deine Mutter sehr gut gekannt haben, um sie auf diese Art porträtieren zu können.«

Sie schaute mich lange an. Ich spürte den gleichen Blick, wie er auf den Bildern eingefangen war.

»Besser als sonst jemand. Er war mit ihr verheiratet.«

8

An diesem Abend vor dem Kamin erzählte mir Marina die Geschichte von Germán und der Villa in Sarriá.

Germán Blau war in eine wohlhabende, dem damals aufblühenden katalanischen Bürgertum zugehörige Familie hineingeboren worden. Der Blau-Dynastie fehlte weder die Loge im Liceo noch die Industriesiedlung am Ufer des Segre-Flusses, noch der eine oder andere gesellschaftliche Skandal. Man munkelte, der kleine Germán sei kein Sprössling des großen Patriarchen Blau, sondern Frucht der unstatthaften Liebschaft zwischen seiner Mutter Diana und einem pittoresken Menschen namens Quim Salvat. Salvat war – in dieser Reihenfolge – Freigeist, Porträtmaler und Berufssatiriker. Er war das Ärgernis der feinen Leute und hielt gleichzeitig ihre hübschen Gesichter zu astronomischen Preisen in Öl fest. Was auch immer die Wahrheit sein mochte, fest steht, dass Germán weder eine physische noch eine charakterliche Ähnlichkeit mit irgendeinem anderen Familienmitglied aufwies. Sein einziges Interesse galt der Malerei, dem Zeichnen, was aller Welt verdächtig erschien, insbesondere seinem offiziellen Vater.

An seinem sechzehnten Geburtstag eröffnete ihm dieser, in der Familie gebe es keinen Platz für Herumtreiber und Faulpelze. Beharre er auf seiner Absicht,»Künstler zu sein«, so werde er ihn in seiner Fabrik als Tagelöhner oder Steinklopfer oder in der Fremdenlegion oder sonst einer Institution arbeiten lassen, die zur Stärkung seines Charakters beitragen und einen rechtschaffenen Menschen aus ihm machen werde. Hierauf riss Germán aus dem Elternhaus aus, wohin er vierundzwanzig Stunden später von der Guardia Civil zurückgebracht wurde.

Verzweifelt und enttäuscht über diesen Erstgeborenen, setzte der Vater seine ganzen Hoffnungen in den zweiten Sohn, Gaspar, der bestrebt war, das Textilgeschäft zu erlernen, und eher willens, die Familientradition fortzuführen. Da er um die wirtschaftliche Zukunft seines älteren Sohnes fürchtete, überschrieb der alte Blau Germán die seit Jahren halb verlassene Villa in Sarriá.»Obwohl du für uns alle eine Schande bist, habe ich nicht wie ein Sklave gearbeitet, damit einer meiner Söhne auf der Straße landet«, sagte er. Die Villa hatte seinerzeit bei der Crème de la Crème in höchstem Ansehen gestanden, aber nun kümmerte sich niemand mehr um sie. Sie war verflucht. Tatsächlich, hieß es, hätten die geheimen Begegnungen von Diana und dem Freigeist Salvat an diesem Ort stattgefunden. So ging das Haus wie durch eine Ironie des Schicksals an Germán über. Kurze Zeit später wurde er mit der heimlichen Unterstützung seiner Mutter Lehrling von ebendiesem Quim Salvat. Am ersten Tag schaute ihm Salvat fest in die Augen und sprach folgende Worte:

»Erstens, ich bin nicht dein Vater und kenne deine Mutter nur vom Sehen. Zweitens, das Künstlerleben ist ein Leben voller Risiken, Unsicherheiten und, fast immer, Armut. Man sucht es sich nicht aus, es sucht sich einen aus. Wenn du in einem der beiden Punkte Zweifel hast, gehst du am besten gleich wieder zu dieser Tür raus.«

Germán blieb.

Die Lehrlingsjahre bei Quim Salvat waren für ihn ein Sprung in eine andere Welt. Zum ersten Mal glaubte jemand an ihn, an sein Talent und seine Chancen, etwas mehr zu werden als nur ein blasser Abklatsch seines Vaters. Er fühlte sich wie ein neuer Mensch. In sechs Monaten lernte und verbesserte er sich mehr als in all den Jahren seines Lebens zuvor.

Salvat war ein extravaganter, großzügiger Mann, der die Annehmlichkeiten der Welt liebte. Er malte nur nachts, und obwohl er nicht gut aussah (wenn er überhaupt irgendwie aussah, dann wie ein Bär), galt er als regelrechter Herzensbrecher mit einer seltsamen Verführungskraft, die er beinahe noch besser einzusetzen wusste als den Pinsel.

Atemberaubende Mannequins und Damen der oberen Zehntausend zogen durch sein Atelier, weil sie ihm sitzen und, so argwöhnte Germán, noch etwas mehr wollten. Salvat kannte sich mit Weinen, Dichtern, legendären Städten und aus Bombay importierter Liebesakrobatik aus. Er hatte seine siebenundvierzig Jahre intensiv ausgelebt und sagte immer, die Menschen ließen das Leben an sich vorbeiziehen, als würde es ewig dauern, und das sei ihr Verderben. Er lachte über das Leben und den Tod, über Gott und die Welt. Er kochte besser als die großen Küchenchefs mit Sternen im Guide Michelin und aß für sie alle. In der Zeit, die Germán bei ihm verbrachte, wurde Salvat zu seinem Meister und besten Freund. Germán war sich immer bewusst, dass er das, was er in seinem Leben als Mensch und Künstler geworden war, Quim Salvat verdankte.