Выбрать главу

Salvat war einer der wenigen Privilegierten, die das Geheimnis des Lichts kannten. Er bezeichnete das Licht als eine launische Tänzerin, die um ihre Reize wisse. Unter seinen Händen verwandelte es sich in wundervolle Linien, die das Gemälde erleuchteten und in der Seele Türen öffneten. Das erklärte zumindest der Werbetext in seinen Ausstellungskatalogen.

»Malen heißt schreiben mit Licht«, sagte Salvat.»Zuerst muss man sein Alphabet lernen, dann seine Grammatik. Erst dann kann man Stil und Magie entwickeln.«

Quim Salvat erweiterte Germáns Weltbild, indem er ihn auf seine Reisen mitnahm. So zogen sie durch Paris, Wien, Berlin, Rom… Bald begriff Germán, dass Salvat seine Kunst ebenso gut verkaufte, wie er malte, vielleicht noch besser. Darin lag der Schlüssel zu seinem Erfolg.

»Von tausend Menschen, die ein Bild oder ein Kunstwerk erwerben, hat nur ein einziger eine entfernte Vorstellung dessen, was er kauft.«Salvat lächelte.»Die anderen kaufen nicht das Werk, sondern den Künstler, das, was sie von ihm gehört haben, und fast immer das, was sie sich um ihn herum zurechtphantasieren. Dieses Geschäft funktioniert auf die gleiche Weise wie Quacksalberware oder Liebestränke verkaufen, Germán. Der Unterschied besteht nur im Preis.«

Quim Salvats großes Herz blieb am 17. Juli 1938 stehen. Einige führten es auf die Exzesse des Malers zurück. Germán war immer der Ansicht, es seien die Schrecken des Bürgerkrieges gewesen, die den Glauben und die Lebenslust seines Mentors abgetötet hätten.

»Ich könnte tausend Jahre malen«, murmelte Salvat auf seinem Totenbett,»und die Barbarei, Ignoranz und Bestialität der Menschen würde sich keinen Deut ändern. Die Schönheit ist ein Hauch gegenüber dem Wind der Wirklichkeit, Germán. Meine Kunst hat keinen Sinn. Sie ist unnütz…«

Die endlose Liste seiner Geliebten, Gläubiger, Freunde und Kollegen, die vielen Menschen, denen er selbstlos geholfen hatte, beweinten ihn auf seiner Beerdigung. Sie wussten, dass an diesem Tag ein Licht in der Welt erlosch und dass sie künftig einsamer, leerer wären.

Salvat vermachte ihm eine höchst bescheidene Summe Geld und sein Atelier. Er hieß ihn den Rest (was nicht viel war, denn er hatte immer mehr ausgegeben, als er verdient und ehe er es verdient hatte) unter seinen Geliebten und Freunden verteilen. Der mit der Testamentsvollstreckung beauftragte Notar gab Germán einen Brief, den ihm Salvat anvertraut hatte, als er sein Ende nahen fühlte. Er sollte ihn nach seinem Tod öffnen.

Mit Tränen in den Augen und zerfetzter Seele streifte der junge Mann eine Nacht lang ziellos in der Stadt umher. Das Morgengrauen überraschte ihn auf dem Wellenbrecher im Hafen, und dort las er in den ersten Stunden des neuen Tages die letzten Worte, die ihm Quim Salvat hinterlassen hatte.

Lieber Germán,

das hier habe ich Dir zu Lebzeiten nicht gesagt, da ich den richtigen Moment abwarten wollte. Aber ich fürchte, ich bin nicht mehr da, wenn er kommt.

Ich habe Dir Folgendes zu sagen. Nie habe ich einen Maler mit größerem Talent kennengelernt als Dich, Germán. Du weißt es noch nicht und kannst es auch nicht verstehen, aber es ist in Dir drin, und mein einziges Verdienst hat darin bestanden, es zu erkennen. Ich habe mehr von Dir gelernt als Du von mir, ohne dass Du es wusstest. Es wäre mir lieb, Du hättest den Lehrer gehabt, den Du verdienst, jemanden, der Dein Talent besser geleitet hätte als ich armer Lehrling. Das Licht spricht aus Dir, Germán. Wir anderen hören bloß zu. Vergiss das nie. Von nun an wird Dein Lehrer Dein Schüler und bester Freund sein, für immer.

SALVAT

Eine Woche später brach Germán, vor unerträglichen Erinnerungen fliehend, nach Paris auf. Man hatte ihm einen Lehrstuhl in einer Kunstakademie angeboten. Zehn Jahre lang sollte er keinen Fuß mehr nach Barcelona setzen.

In Paris erwarb er sich den Ruf eines Porträtmalers von einigem Prestige und entdeckte eine Leidenschaft, die ihn nie mehr loslassen sollte: die Oper. Allmählich verkauften sich seine Bilder gut, und ein Händler, der ihn noch aus seinen Zeiten bei Salvat kannte, wurde zu seinem Agenten. Sein Professorengehalt und der Verkauf seiner Bilder erlaubten ihm ein zwar einfaches, aber würdiges Leben. Mit einigen Einschränkungen und der Hilfe des Schulleiters, der mit halb Paris verwandt war, konnte er sich für die ganze Spielzeit einen Platz in der Oper reservieren. Nichts Protziges – Rang sechste Reihe und etwas zu weit links. Ein Fünftel der Bühne lag außerhalb seines Gesichtsfeldes, doch die Musik erreichte ihn in ihrer vollen Pracht, ihr war der Preis von Platz und Loge egal.

Dort erblickte er sie zum ersten Mal. Sie schien ein Geschöpf aus einem von Salvats Bildern zu sein, aber ihrer Stimme konnte nicht einmal ihre Schönheit gerecht werden. Sie hieß Kirsten Auermann, war neunzehn Jahre alt und laut dem Programmzettel eine der jungen Verheißungen des internationalen Musiktheaters. Am selben Abend wurde sie ihm auf dem von der Intendanz nach der Aufführung organisierten Empfang vorgestellt, bei dem er sich als angeblicher Musikkritiker von Le Monde eingeschlichen hatte. Als er ihr die Hand gab, blieb er stumm.

»Dafür, dass Sie Kritiker sind, sprechen Sie sehr wenig und mit ziemlichem Akzent«, scherzte Kirsten.

In diesem Moment beschloss Germán, diese Frau zu heiraten, und sei es die letzte Tat seines Lebens. Er wollte sämtliche Verführungskünste beschwören, die er Salvat jahrelang hatte praktizieren sehen. Doch einen Salvat gab es nur einmal, er war unwiederholbar. So begann ein sechs Jahre dauerndes Katz-und-Maus-Spiel, das an einem Sommernachmittag des Jahres 1946 in einer kleinen Kapelle der Normandie endete. Am Tag ihrer Hochzeit schwebte das Gespenst des Krieges noch in der Luft wie der Gestank von verborgenem Aas.

Nach kurzer Zeit kehrten Kirsten und Germán nach Barcelona zurück und ließen sich in Sarriá nieder. In seiner Abwesenheit war der Wohnsitz zu einem geisterhaften Museum geworden. Kirstens Leuchtkraft und dreiwöchige Reinigungsarbeiten wirkten Wunder.

Das Haus erlebte eine vorher nie gekannte glanzvolle Zeit. Germán malte pausenlos, besessen von einer ihm selbst unerklärlichen Energie. Seine Werke standen in den obersten Kreisen hoch im Kurs, und einen Blau zu besitzen wurde bald zum sine qua non der guten Gesellschaft. Auf einmal verkündete der Vater öffentlich seinen Stolz auf Germáns Erfolg.»Ich habe immer an sein Talent und seinen künftigen Durchbruch geglaubt«,»Er hat es eben im Blut wie alle Blaus«und»Einen stolzeren Vater als mich kann es nicht geben«wurden zu seinen Lieblingssätzen, und nachdem er sie oft genug wiederholt hatte, glaubte er selber daran. Kunsthändler und Kuratoren, die sich jahrelang nicht dazu herabgelassen hatten, Germán auch nur zu grüßen, schmeichelten sich jetzt bei ihm ein. Und inmitten dieses Sturms der Eitelkeiten und Heucheleien vergaß Germán nie, was Salvat ihm beigebracht hatte.

Auch Kirstens Opernkarriere gedieh prächtig. In der Zeit, in der allmählich die 33er-Schallplatte in Mode kam, war sie eine der ersten Stimmen, die ihr Repertoire auf Vinyl verewigte. Es waren Jahre des Glücks und des Lichts in der Villa in Sarriá, Jahre, in denen alles möglich schien und keine Schatten sich am Horizont abzeichneten.

Niemand maß Kirstens Übelkeiten und Ohnmachten größere Bedeutung bei, bis es zu spät war. Der Erfolg, die Reisen, die Anspannungen der Premieren – das erklärte vermeintlich alles. An dem Tag, an dem Kirsten von Dr. Cabrils untersucht wurde, veränderten zwei Nachrichten für immer ihre Welt. Die erste: Sie war schwanger. Die zweite: Eine unheilbare Blutkrankheit zehrte sie langsam auf. Ein Jahr blieb ihr noch, allerhöchstens zwei.

Noch an diesem Tag bestellte Kirsten, nachdem sie die Arztpraxis verlassen hatte, bei der Allgemeinen Schweizer Uhrmacherwerkstatt in der Vía Augusta eine goldene Uhr mit einer Inschrift für Germán.