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Jamie schaute nach oben und sah den silbrigen Punkt des Schwebegleiters hoch oben in der Sonne glitzern. Sein Herz klopfte von dem plötzlichen Adrenalinstoß. Er kam sich töricht vor. Da oben kreisen keine marsianischen Falken; es ist bloß Pete Connors, der die Pavonis-Caldera fotografisch vermessen will. Hoffentlich macht es Patel glücklich.

»Stimm-Check.« Mironows jungenhafter Tenor in seinem Kopfhörer ließ Jamie zusammenfahren. Er blickte sich um und sah, daß sein Schatten lang über dem Boden lag. Die Sonne näherte sich dem Horizont.

»Patel hier.«

Der Rover parkte rund hundert Meter weiter unten am Hang zwischen einem Meteoritenkrater, der doppelt so groß war wie er, und einer zickzackförmigen Spalte, die einmal ein Lavaschlot gewesen sein mochte. Du hast recht gehabt, Rava, sagte Jamie im stillen. Diese Vulkane haben uns so viel zu erzählen, und wir werden nicht lange genug hier sein, um ihre Geschichte auch nur ansatzweise zu verstehen.

»Waterman, alles in Ordnung«, sagte Jamie. Die Stimm-Checks gehörten zur normalen Sicherheitsprozedur, wenn die Wissenschaftler außerhalb des Blickfelds des für das Team verantwortlichen Astronauten oder Kosmonauten waren. In diesem zerklüfteten Gelände konnte Mironow seine drei herumwandernden Teamkameraden unmöglich alle im Auge behalten.

Ein langes Schweigen.

»Naguib?« In Jamies Kopfhörer klang Mironows Stimme scharf. »Doktor al-Naguib, Stimm-Check bitte.«

Keine Antwort.

»Doktor al-Naguib?«

»Er war bei der Spalte da drüben.« Patel zeigte weiter hangaufwärts. »Vielleicht blockiert dieses Gelände die Funkwellen.«

Jamie hörte ein leises, gutturales Gemurmel, als Mironow auf Russisch fluchte. Er folgte dem ausgestreckten Arm von Pateis gelbem Anzug mit dem Blick und rief in sein Helmmikrofon: »Schauen wir mal nach, Rava. Vielleicht steckt er in Schwierigkeiten.«

»Nein, ich glaube nicht …«

»Bleiben Sie, wo Sie sind. Es ist meine Aufgabe, ihn zu suchen«, rief Mironow. »Ich will nicht, daß noch einer von Ihnen verschwindet.«

Aber Jamie marschierte bereits so schnell hangaufwärts, wie es in dem harten Anzug ging. Die Steigung war gering, und seine Stiefel gaben ihm guten Halt, aber der zerklüftete Boden war heimtückisch.

»Rava«, rief er, »wo haben Sie ihn zuletzt gesehen?«

Der buttergelbe Anzug hatte sich nicht bewegt. »Rechts von Ihnen«, antwortete Pateis Stimme. »Vielleicht zwanzig oder dreißig Meter weiter oben.«

Jamie umrundete eine konische Vertiefung, einen Meteoriteneinschlag, der im Vergleich zu den verwitterteren Kratern, die den Boden sprenkelten, geradezu funkelnagelneu wirkte. Er sah einen Riß, der sich durch das schwarze Gestein schlängelte. Er war so breit, daß man durchaus hineinfallen konnte. Wie tief?

Sehr tief, sah er, als er sich unbeholfen vorbeugte und hineinschaute. So schwarz und tief wie die Hölle. Er schaltete seine Helmlampe ein, aber der Strahl fiel nur matt in den senkrechten Spalt.

»Doktor Naguib?« rief er.

Keine Antwort. Wenn er in dieser Spalte steckt, müßte er mein Funksignal hören können, sagte sich Jamie. Falls er bei Bewußtsein ist. Und am Leben.

»Bleiben Sie stehen!« rief Mironow. »Ich komme. Ich habe die Peilantenne dabei.«

Erst als Jamie sich ganz umdrehte, sah er den Russen in seinem Feuerwehranzug mit großen Sätzen auf sich zukommen. Er hatte einen schwarzen Kasten von der Größe eines tragbaren Fernsehers in einer behandschuhten Hand. Patel stand immer noch wie erstarrt an derselben Stelle; er hatte keine andere Bewegung gemacht, als den Arm sinken zu lassen.

Die Peilantenne wird uns nicht viel nützen, dachte Jamie. Wenn weder Naguib uns hören kann noch wir ihn, dann fängt auch die Peilantenne kein Funksignal auf.

»Er muß auf der anderen Seite dieser Spalte sein«, rief Jamie Mironow zu, wobei er unbewußt die Stimme hob, als müßte er schreien, um die Distanz zwischen ihnen zu überbrücken.

Bevor Mironow etwas erwidern konnte, trat Jamie ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und sprang über die Spalte. Bei der geringen Schwerkraft war das leicht, sogar mit dem unhandlichen Anzug, der ihn belastete.

»Warten Sie!« brüllte Mironow. »Ich befehle Ihnen zu warten!«

Jamie ging noch ein paar Schritte weiter und ließ seinen Blick so weit hin- und herschweifen, wie es der Helm erlaubte. Er ist irgendwo hier oben. Er muß hier sein. Irgendwo, wo wir ihn nicht sehen können. Wo wir keinen Funkkontakt mit ihm aufnehmen können. Das bedeutet …

Links von ihm schien der unebene Boden plötzlich aufzuhören, als würde er steil abfallen. Jamie ging dort hinüber. Er hörte Mironows keuchenden Atem in seinem Kopfhörer.

»Hier entlang, glaube ich«, rief Jamie und ging auf die Spalte zu. Es war eine Runse, sah er, eine ziemlich steile Talrinne.

Und dort lag Naguib, mit dem Gesicht nach unten, am Fuß einer zehn Meter hohen Felswand. Die Runse — ein zerklüfteter, unregelmäßiger Graben, der in den festen Basalt gekerbt worden war — hatte einen Durchmesser von ungefähr zwanzig Metern. Naguibs dunkelgrüner Raumanzug lag lang hingestreckt und mit gespreizten Beinen an ihrem Grund wie ein kaputtes, weggeworfenes Spielzeug. Er bewegte sich nicht.

»Er ist hier!« rief Jamie und drehte sich so weit um, daß er Mironow über die Spalte segeln sah. »Kommen Sie her. Wir brauchen ein Seil, eine Leine.«

Vorsichtig begann Jamie, die Steilwand hinunterzuklettern. Sie lag vollständig im Schatten, weil die Sonne zum Horizont sank, aber es war noch hell genug, daß er Vorsprünge und kleine Spalten sah, an denen er mit Händen und Füßen Halt finden konnte.

Er hörte, wie Mironow Patel zurief: »Laufen Sie zum Rover zurück und holen Sie die Kletterwinde.« Die Funkstimme wurde merklich leiser, sobald Jamies Helm unter den Rand der Talrinne tauchte.

Es schien eine Stunde zu dauern, bis er sich zu dem Ägypter hinuntergearbeitet hatte. Auf der Talsohle war es dunkel; er benötigte seine Helmlampe, um auf den letzten Metern etwas zu sehen.

In seinem Kopfhörer hörte er Naguib jedoch rauh atmen. Er lebt. Sein Anzug ist nicht kaputtgegangen.

Endlich kam er bei dem Geophysiker an. Sein Tornistergerät war arg zerbeult. Im Licht von Jamies Helmlampe war schwer zu erkennen, wie stark es beschädigt war.

»Lebt er?« Mironows Stimme war so laut, daß Jamie zusammenfuhr.

»Ja. Wir brauchen eine Leine, um ihn hochzuhieven.«

»Schon unterwegs.«

Langsam und vorsichtig drehte Jamie Naguib auf den Rücken. Der verdammte Helm war ebenfalls verbeult, wie er sah. Er spähte in die Sichtscheibe, wischte den roten Sand weg, mit dem sie beschmiert war. Naguibs Lider flatterten. Sein Gesicht schien blutbeschmiert zu sein. Er hustete.

Jamie warf einen Blick auf die Kontrollinstrumente an Naguibs Handgelenk. Lieber Himmel, er hat keine Luft mehr! Er muß da drinnen seine eigenen Ausdünstungen einatmen.

Mit den automatischen Reaktionen, die von langen Stunden des Trainings herrührten, griff Jamie rasch an die Seite seines eigenen Tornisters und riß den Notluftschlauch los. Er schaute auf die Anzeigeinstrumente an seinem Handgelenk. Nicht mehr viel übrig; wir sind alle so verdammt lange draußen gewesen, daß die Filter des Luftaufbereiters weitgehend aufgebraucht sind.

Er steckte das freie Ende des Schlauches in die Notbuchse an Naguibs metallenem Kragenring, drückte auf den Auslöser und ließ Luft aus seinem Tank in Naguibs zerbeulten Helm strömen.

Der Ägypter tat einen tiefen, seufzenden Atemzug. Sein ganzer Körper bog sich leicht durch. Dann hustete er.

»Immer sachte«, sagte Jamie. »Immer sachte. Nur die Ruhe, dann kommt alles wieder in Ordnung.«

Naguib hustete wie jemand, der zu lange unter Wasser gewesen war, und brachte dann matt heraus: »Waterman? Sie?«

»Ja. Alex und Rava bauen gerade die Winde auf. In ein paar Minuten haben wir Sie hier rausgeholt.«