»Ich … bin ausgerutscht. Als ich abgestiegen bin … hat der Fels nachgegeben, und ich bin hinuntergefallen.«
»Können Sie sich aufsetzen?«
»Ich glaube schon.«
Jamie half ihm behutsam, den Oberkörper aufzurichten. Wegen des harten Anzugs war das, als würde man ein steifes Stück Plastikrohr umbiegen.
»Wie geht es Ihnen?« Jamie hörte nichts von Mironow und Patel; er vermutete, daß die beiden auf eine andere Funkfrequenz gegangen waren.
»Ich glaube, meine Nase ist gebrochen. Ich kann nicht durch sie atmen.«
»Rippen? Arme, Beine?«
Naguib schwieg einen Moment lang, dann sagte er: »Alles andere scheint in Ordnung zu sein. Ich glaube, ich kann jetzt aufstehen.«
»Noch nicht. Entspannen Sie sich.« Jamie schaute nach oben und sah, daß das Stück Himmel über der Runse noch hell war. Da oben war es immer noch Tag, obwohl die Nacht innerhalb von Minuten über sie hereinbrechen konnte, wie er wußte.
Keine gute Idee, im Dunkeln mit einem Verletzten hier draußen zu sein, sagte er sich und tippte auf die Kontrolltasten seines Funkgeräts. Aus seinem Kopfhörer brach Mironows knurrendes, grollendes Russisch über ihn herein, als dieser sich abmühte, die Winde am richtigen Platz aufzustellen.
»Alex«, rief er. Die Stimme des Kosmonauten verstummte sofort, obwohl Jamie ihn im Kopfhörer keuchen hörte. »Doktor Naguib scheint nichts weiter zu fehlen, außer daß er sich bei seinem Sturz vielleicht die Nase gebrochen hat. Aber sein Luftaufbereiter ist kaputt. Ich teile meine Luft mit ihm.«
Stille. Dann Pateis Stimme, hoch und ängstlich. »In unseren Luftaufbereitern ist auch nicht mehr viel. Wir waren den ganzen Nachmittag draußen.«
»Wir schaffen es schon«, sagte Mironow. »Wir teilen alle unsere Luft, sobald wir euch beide wieder hier oben haben.«
Das Windenkabel schlängelte sich zu ihnen herab. Das Klettergeschirr hing wie eine leere Weste daran. Jamie legte es Naguib um die Schultern und schloß die Gurte.
Der Ägypter sagte: »Mein Szintillationsdetektor … er hat angefangen zu blinken … kann sein, daß diese Runse eine Uranader freigelegt hat.«
»Sind Sie deshalb heruntergeklettert?« fragte Jamie, während er die Gurte festzurrte.
»Ich bin losgeklettert … und dann bin ich abgestürzt. Ich muß ohnmächtig geworden sein.«
»Das wird schon wieder. Sparen Sie sich jetzt Ihren Atem. Sie brauchen nicht zu sprechen. Warten Sie, bis wir wieder im Rover sind.«
Langsam zogen die beiden Männer am oberen Rand der Runse den Geophysiker in dem grünen Anzug zu sich herauf. Jamie hörte, wie Mironow Patel befahl, Naguib etwas von seiner Luft abzugeben, während der Russe das Geschirr wieder herunterließ. Jamie legte es rasch um, rief, er sei fertig, und ließ sich vom Motor der Winde nach oben ziehen.
Dann machten sie sich auf den mühsamen Rückweg zum Rover. Jamie trug die Winde, Mironow und Patel stützten Naguib. Jetzt gab ihm der Russe etwas von seiner Luft ab, sah Jamie.
Die Sonne streifte den Horizont, als sie die Spalte erreichten, über die sie alle zuvor gesprungen waren. Im Osten war der Himmel bereits so dunkel, daß dort Sterne funkelten.
»Wir könnten drum herum gehen«, schlug Patel vor. Es klang, als wollte er, daß man ihm widersprach.
»Das würde zu lange dauern«, sagte Mironow. »Die Spalte ist viele Kilometer lang. Wir müssen hinüberspringen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte Naguib.
»Wir halten Sie an den Armen«, antwortete Mironow, »und dann springen wir alle drei gemeinsam. Bei dieser Schwerkraft wird das nicht schwierig sein.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, wiederholte Naguib. »Meine Beine …«
Jamie sah, daß Patel Naguibs Arm losgelassen hatte und langsam, fast verstohlen an der Rand der Spalte getreten war. Mironow teilte seine Luft mit dem Verletzten. Jamie stellte die Winde ab und trat an die andere Seite des Ägypters. Er ergriff Naguibs freien Arm und legte ihn sich um die Schultern.
Leise sagte er: »Sie haben uns in diese Situation gebracht; jetzt müssen Sie uns helfen, auch wieder herauszukommen.«
Patel erhob Einwände, aber er hörte, wie Naguib tief in der Kehle gluckste. »Sie haben recht. Sie haben nur allzu recht, James. Ich werde mein Bestes tun.«
Jamie lächelte in seinem Helm. »Gut. Es dürfte gar nicht so schwer sein. Kommen Sie, Alex, gehen wir ein bißchen zurück und nehmen ordentlich Anlauf.«
Patel sprang als erster, ohne etwas zu sagen. Dann versuchten Jamie und Mironow, Naguib über die Spalte zu tragen. Ihr erster Versuch wäre fast in einer Katastrophe geendet. Naguib nahm anders Anlauf als sie, und bei dem Versuch abzubremsen, bevor sie den Rand erreichten, fielen sie alle drei beinahe hin. Jamie hörte, wie Mironow Verwünschungen in sich hineinmurmelte; Naguib keuchte ängstlich. Der Luftschlauch des Russen sprang aus Naguibs Kragen, und Jamie steckte seinen hinein.
Jamie erinnerte sich vage an einen Mythos über Vögel, die einem Navajo-Helden halfen, einen unpassierbaren Abgrund zu überqueren. Oder war er über einen Regenbogen gegangen? Wir könnten jetzt ein bißchen Hilfe brauchen, sagte er sich.
Es war nur noch wenig Tageslicht übrig. Die Kälte der Nacht sickerte Jamie bereits in die Knochen, und er wußte, daß Naguib noch steifer sein und noch mehr frieren mußte.
Sie traten wieder zurück, und Mironow erklärte ihnen, daß sie mit dem linken Fuß starten und im Gleichschritt weiterlaufen sollten. »Ich werde bis vier zählen«, sagte er.
»Odin … dwa … tri … cetyre«, zählte Mironow vor. »Odin … dwa …«
Sie segelten wie ein Trio gepanzerter Nilpferde über die Spalte hinweg und landeten rutschend und schlurfend in einer roten Staubwolke auf der anderen Seite. Es gelang ihnen mit Müh und Not, sich auf den Beinen zu halten.
»Besser als das Bolschoi-Ballett!« strahlte Mironow, als sie zum Rover gingen. Sie stützten Naguib immer noch von beiden Seiten.
»Schade, daß wir’s nicht gefilmt haben«, scherzte Jamie.
Naguib sagte nichts. Patel war ein Stück voraus. Seine eingeschaltete Helmlampe warf eine Lichtpfütze auf den dunklen Boden, während er eilig auf den Rover zusteuerte, um sich in Sicherheit zu bringen.
Sobald sie die Luftschleuse passiert hatten, setzten sie Naguib auf eine der Bänke und halfen ihm aus seinem Anzug. Dann säuberte Jamie das blutige Gesicht des Ägypters, während Patel die Anzüge absaugte und Mironow ins Cockpit ging, um der Basis Bericht zu erstatten.
»Ich glaube nicht, daß Ihre Nase gebrochen ist«, sagte Jamie. »Sie blutet nicht einmal mehr.«
»Ich habe sie mir am Visier angestoßen, als ich gestürzt bin«, sagte Naguib.
»Sie hätten ums Leben kommen können«, meinte Patel. Seine großen Augen waren ernst.
Naguib lächelte schwach. »Ich war nie sonderlich gut bei der Arbeit im Gelände.«
Mironow kam zurück. Er lächelte nicht; seine Miene war grimmig. »Reed will mit Ihnen sprechen«, sagte er zu dem Ägypter. »Er wird Ihnen Medikamente verschreiben.«
Jamie bot ihm an, ihm ins Cockpit zu helfen, aber Naguib stand aus eigener Kraft mit wackligen Beinen auf. »Ich schaffe es schon«, sagte er. »Ich glaube, Sie haben recht — es ist nichts gebrochen.«
Wortlos ging Patel in die Kombüse und holte sich eine Schale mit Abendessen heraus. Mironow sah ihm mit finsterer Miene nach.
»Kein Grund, sich zu ärgern, Alex«, sagte Jamie zu dem Kosmonauten. »Abdul geht es gut. Er hat nur eine blutige Nase, das ist alles.«
Mironow schnaubte und warf Patel einen zornigen Blick zu.
Reed bestätigte, daß Naguibs Nase wahrscheinlich nicht gebrochen war, und die vier Männer zogen den Klapptisch heraus und setzten sich zum Essen.
»Wir haben nur noch zwei Ersatztornister dabei«, knurrte Mironow, während sie aßen. »Bitte seien Sie morgen vorsichtiger.«