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Jamie zwängte sich in das Oberteil, streckte den Kopf durch den Halsring und grinste den Russen an. »Als Ihr Freund danke ich Ihnen dafür ganz herzlich.«

»Aber nur für die eine Stunde«, sagte Wosnesenski ernster. »Wir haben alle einen arbeitsreichen Vormittag vor uns.«

»Stimmt.«

Ein paar Minuten später steckten sie in ihren luftdicht verschlossenen Anzügen. Sie überprüften gegenseitig ihre Tornistergeräte, sagten Mironow Bescheid, der an diesem Morgen an der Überwachungskonsole saß, und betraten die Luftschleuse.

Erst als sie auf den staubigen roten Boden hinaustraten und Jamie wieder einmal zum rosafarbenen Marshimmel hinaufblickte, erinnerte er sich, daß die Farbe seines Anzugs nicht der Farbe des hiesigen Himmels entsprach; der nächste blaue Himmel war über hundertfünfzig Millionen Kilometer von seinem jetzigen Standort entfernt.

Während Wosnesenski ihm mit ein paar Schritten Abstand folgte, ging Jamie langsam um die gekrümmte Flanke der Kuppel herum zu der Seite hinüber, wo er die Landefahrzeuge und den Wirrwarr von Geräten und Meßinstrumenten um sie herum nicht sehen konnte. Das war sein Lieblingspanorama, leere Wüste bis zum beunruhigend nahen Horizont und eine runzlige rote Kette von Felsklippen in der Ferne.

Er zwinkerte einmal und sah New Mexico vor sich, mit struppigen Dornbüschen und stoppeligen Grasflecken zwischen dem Sand und den Steinen. Ein weiteres Zwinkern, und es war wieder der Mars, kahl und kalt.

Warst du einmal lebendig? fragte Jamie die Welt, auf der er stand. Werden wir die Geister deiner Toten in dem Canyon finden? Sind wir die ersten, die den Abgrund zwischen uns überquert haben, oder sind deine Vorväter schon vor einer Ewigkeit zu unserer Welt gelangt? Kehre ich nach Hause zurück?

Der leise pfeifende Wind gab Jamie keine Antwort. Die Geister des Mars, sofern es sie gab, behielten ihre Geheimnisse für sich.

Jamie stieß einen tiefen Seufzer aus. Also gut. Ich muß hinausgehen und euch suchen. Ich muß mit eigenen Augen sehen, was die Wahrheit ist.

Schließlich drehte er sich um und lächelte Wosnesenski in seinem feuerwehrroten Anzug an, obwohl er wußte, daß der Russe sein Gesicht durch das getönte Visier nicht sehen konnte.

»In Ordnung, Mikhail. Gehen wir wieder hinein.«

»Das war alles, was Sie wollten?«

»Sie hatten recht. Wir haben viel zu tun. Wir sollten uns jetzt lieber an die Arbeit machen.«

Jamie spürte, daß der Russe in seinem Anzug die Achseln zu zucken versuchte. Als sie zur Luftschleuse zurückstapften, kramte Jamie in seinem Gedächtnis nach den Einzelheiten des Traums. Etwas mit der Schule, etwas, das ihn beunruhigte. Er schob es auf seine Nervosität und vergaß es.

* * *

Tony Reed hatte ebenfalls geträumt.

Die englische Arzt war von seiner Schlafkabine aus direkt in sein Krankenrevier gegangen, war mit nichts weiter als einem Paar Wollsocken und einem ausgefransten königsblauen Frotteebademantel mit dem Aufnäher vom Club seines Vaters auf der linken Brustseite über den harten Kunststoffboden getappt.

Reed konnte sich nicht an seinen Traum erinnern, nur daran, daß er in kalten Schweiß gebadet aufgewacht war, dankbar dafür, daß die Visionen, die ihn im Schlaf gequält hatten, in dem Moment, als er die Augen aufgemacht hatte, wie das Bild auf einer Fernsehröhre erloschen waren. Er schloß sorgfältig die Falttür des Krankenreviers und ging daran, sich seinen morgendlichen Muntermacher zuzubereiten.

»Ich mag Kaffee, ich mag Tee«, sang er tonlos und nahezu lautlos vor sich hin. »Aber dich mag ich am meisten.«

Der perfekte Morgentrunk. Genug Amphetamin, um munter und hellwach in den Tag zu starten, aber nicht so viel, daß es schädlich ist. Oder daß man es mir anmerkt. Eine Prise von diesem und eine Prise von jenem. Genau das Richtige, um einen weiteren Tag auf dem Mars zu beginnen. Dem verfluchten Mars. Dem gefährlichen Mars. Dem langweiligen, öden, toten Mars.

Reed hielt den kleinen Plastikbecher ins Licht, vergewisserte sich, daß die Flüssigkeit darin genau bis zu dem vorgesehenen Meßstrich reichte, und schluckte sie dann genüßlich hinunter.

So! Wenn ich mit meinen morgendlichen Waschungen fertig bin, werden meine Hände so ruhig sein, daß ich mich rasieren kann.

Er war der letzte, der an diesem Morgen in die Messe kam. Nur Monique und Ilona waren noch da.

»Alle Bienchen schon zur Arbeit ausgeflogen, wie ich sehe«, sagte Reed munter, während er zum Kühlschrank ging.

»Ich muß auch los«, sagte Ilona, tupfte sich die Lippen ab und erhob sich vom Tisch.

Sie brachte ihre Schale zum Recyclingschacht hinüber, während Reed seine in die Mikrowelle stellte.

»Werde ich dir fehlen?« fragte er Ilona so leise, daß Monique es nicht hören konnte.

Ilona schaute beinahe überrascht drein. »Wir sehen uns doch jeden Tag, wenn wir unseren medizinischen Bericht übermitteln.«

»Das ist nicht ganz dasselbe, als wenn wir zusammen wären, nicht wahr?«

Sie bedachte ihn mit einem hochmütigen Lächeln. »In dem Sinn sind wir schon seit der Landung nicht mehr zusammen gewesen.«

»Ja. Schade eigentlich.«

»Fehle ich dir?«

»Natürlich.«

»Aber ich dachte, du wärst an Joanna interessiert.«

Reed schaute ihr in die gelbbraunen Augen. »Ach, das war nur ein Zeitvertreib. Ein Spiel.«

»Das du verloren hast.«

»Das Spiel ist noch nicht vorbei«, sagte Reed verstimmt.

Ilona lachte. »Wenn du sie dazu bringen kannst, mit dir ins Bett zu gehen, nachdem sie zehn ganze Tage mit unserem roten Mann zusammengewesen ist …«

»Und was machst du während der nächsten zehn Tage? Und Nächte?« fiel Reed ihr ins Wort.

Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, und sie war nicht viel kleiner als Reed. »Ich habe vor, eine gute Wissenschaftlerin zu sein und mich anständig zu benehmen. Eine Geländeerkundung ist nicht der richtige Platz für Spielchen, Tony.«

»Nein, wohl nicht.«

»Ganz bestimmt nicht.«

Sie verließ die Messe, während die Mikrowelle ihm zupiepste, daß sein Frühstück fertig war, und Monique den Eindruck zu erwecken versuchte, daß sie nicht gelauscht hatte.

Sie verlassen mich alle beide, sagte sich Reed im stillen, als er mit seinem Tablett zum Tisch ging. Ilona und Joanna. Und der Navajo auch. Sie lassen mich alle sitzen.

Monique lächelte ihn mit ihren Grübchen mütterlich an, entschuldigte sich dann und ging. Reed saß allein da, stocherte lustlos in seinem Essen herum und fühlte sich so verlassen und einsam wie damals im Krankenhaus, als man ihm die Mandeln herausgenommen hatte.

SOL 34

NACHMITTAG

Pete Connors blickte mit finsterer Miene auf die Kontrolltafel des Rovers und sagte ins Stiftmikrofon seiner Kopfhörergarnitur: »Die verdammten Lüfter wollen immer noch nicht hundert Prozent Leistung bringen.«

Wosnesenskis Gesicht war auf dem Bildschirm in der Mitte der Tafel. »Wieviel bringen sie denn?«

»Achtzig, zweiundachtzig.«

Jamie, der neben dem Astronauten saß, versuchte, die kribbelnde Ungeduld und Besorgnis in seinem Innern vor den anderen zu verbergen. Wir können die Abfahrt nicht verschieben, nur weil die Luftzirkulationsventilatoren nicht ihre maximale Leistung bringen. Das ist kein Grund, die Exkursion auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen.

Wosnesenski blickte auf die Checkliste vor sich hinunter. »Achtzig Prozent ist im Toleranzbereich«, sagte er zweifelnd.

»Ich glaube nicht, daß es irgendwelche Probleme geben wird, Mike«, sagte Connors. »Die Lüfter haben schon immer ihre Macken gehabt.«

»Ihr könnt den Sauerstoffanteil erhöhen, wenn es nötig ist«, sagte Wosnesenski.

»Genau. Dann kann es ja losgehen. Wir sind abfahrbereit.«

Connors wirkte todernst und entschlossen. Jamie fand, daß der Mann seit ihrer Ankunft auf dem Mars abgenommen hatte. Sein Gesicht sieht dünner aus, beinahe hager. Ich glaube, das ist bei uns allen der Fall.