Выбрать главу

Toshima machte sich Sorgen wegen einer Reihe von Staubstürmen im Norden, fast am Rand der schmelzenden Polarkappe. Der japanische Meteorologe behauptete mit Nachdruck, eine solche Sturmaktivität zu dieser Jahreszeit sei ungewöhnlich und müsse aufmerksam beobachtet werden. Erst recht, wenn ein Exkursionsteam draußen unterwegs sei. Li Chengdu nickte geistesabwesend. Er war absolut der gleichen Meinung. Die Stürme mußten beobachtet werden. Aber sonst konnte man wenig gegen sie tun.

Schließlich blickte Wosnesenski von den Notizen auf, die er vorgelesen hatte, und sagte: »Damit ist mein Bericht beendet.«

»Sind alle bei guter Gesundheit?« fragte Li das Gesicht auf dem Bildschirm.

Mit einem Grunzen und einem Nicken antwortete der Russe: »Ja, offenbar. Ich kann Doktor Reed bitten, Ihnen die Daten seiner wöchentlichen Untersuchungen zu geben.«

»Diese Information wird in unseren Computer übertragen, nicht wahr?«

»Ja. Automatisch.«

»Dann kann ich darauf zugreifen, wenn nötig, ohne Doktor Reed bemühen zu müssen.« Li zögerte einen Herzschlag lang. »Sagen Sie mir, wie geht es Ihren Leuten in emotionaler Hinsicht? Wie schätzen Sie die Mitglieder Ihrer Gruppe unter psychologischen Aspekten ein?«

Auf Wosnesenskis fleischigem Gesicht zeichnete sich Überraschung ab, dann legte er die Stirn nachdenklich in Falten. »Sie kommen mir alle ziemlich normal vor«, sagte er nach einer Weile. »Kurz vor dem Aufbruch des Exkursionsteams gab es beträchtliche Aufregung, aber inzwischen ist wieder die normale Routine eingekehrt.«

Das war genau, was Dr. Li hören wollte. »Gut«, sagte er. »Es freut mich, daß alle mit ihrer Arbeit zufrieden sind.«

Mikhail Wosnesenski nickte Dr. Lis Bild auf dem Kommunikationsbildschirm mürrisch zu. Der Expeditionskommandant sagte noch ein paar höfliche Worte und wünschte dem Kosmonauten dann gute Nacht.

Wosnesenski starrte noch geraume Zeit auf den Bildschirm, nachdem dieser grau geworden war. Er hatte den Expeditionskommandanten nicht angelogen. Nicht direkt. Er hatte sich bei der Antwort, die er Li auf seine Frage nach der Moral gegeben hatte, nur nichts anmerken lassen. Es stimmte tatsächlich, daß alle mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein schienen. Aber das war nicht die ganze Wahrheit.

Irgend etwas stimmte nicht, dachte Wosnesenski. Aber es war schwer zu fassen, was. Er spürte eine Spannung in der Luft, die vor ein paar Wochen noch nicht dagewesen war. Nichts, worauf er den Finger legen konnte, keine offensichtlichen Zusammenstöße oder Animositäten. Nichts so Krasses wie Ilona Malaters boshafte Gehässigkeiten oder Pateis unzufriedenes Gemecker über die Änderungen des Plans.

Aber es war etwas im Busch. Irgend etwas.

Die meisten Mitglieder der Gruppe haben abgenommen. Etwa seit der letzten Woche ist das besonders deutlich zu sehen. Aber Reed sagt, das war zu erwarten. Und sämtliche physiologischen Daten gehen direkt an die medizinischen Experten auf der Erde. Wenn sie alarmiert wären, dann hätten sie es uns inzwischen mitgeteilt, oder nicht?

Oder würden sie befürchten, daß sie uns Angst einjagen könnten, unsere Effizienz zunichte machen? Immerhin bleiben uns nur noch etwas über drei Wochen.

Vielleicht sollte ich mit Reed darüber sprechen, sagte er sich, als er von der Kommunikationskonsole aufstand. Er ist unser Arzt. Und Psychologe. Vielleicht kann er Licht in die Sache bringen.

Mit einem Zucken seiner massigen Schultern beschloß Wosnesenski, sich statt dessen einmal richtig auszuschlafen. Ich kann morgen mit Reed sprechen, wenn ich mir dann immer noch Sorgen mache. Morgen ist früh genug.

SOL 35

ABEND

»Wer hätte gedacht«, klagte Ilona, »daß man so müde werden kann, wenn man den ganzen Tag nur dumm herumsitzt?«

Lange, dunkelrote Schatten streckten sich über die sandige, kahle Landschaft. Jamie sah, daß die Sonne in etwa einer Stunde untergehen würde.

»Nichtstun kann anstrengender sein als harte körperliche Arbeit«, stimmte Joanna zu.

Die beiden Frauen hatten den ganzen Tag entweder auf den eingeklappten Bänken gesessen oder hinter den Männern in deren Cockpitsitzen gestanden, während der Rover durch die von Felsblöcken übersäte Wüste Richtung Tithonium Chasma gerollt war. Jamie hatte sich mit Pete Connors beim Fahren abgewechselt. Sein Kopf schmerzte von der unablässigen Anspannung; selbst wenn er rechts auf dem Beifahrersitz saß, beugte er sich in angestrengter Konzentration nach vorn und hielt nervös Ausschau nach Gesteinsbrocken, die so groß waren, daß sie nicht darüber hinwegklettern konnten, oder nach Kratern, die so steil waren, daß sie um sie herumfahren mußten.

Die Landschaft, durch die sie fuhren, war rauh. Sie bestand aus unebenen rostroten Formationen niedriger Hügel mit flachen Kuppen, und in der Ferne säumte eine zerklüftete Mauer aus Bergen den Horizont. Genau wie die Chinle-Formation in Arizona, sagte sich Jamie und schüttelte den Kopf, erstaunt über die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Welten. In jenen roten Felsen daheim hatten sie Dinosaurierknochen gefunden, erinnerte er sich.

»Irgendwas nicht in Ordnung?« fragte Connors.

Beinahe erschrocken riß sich Jamie aus seinem Tagtraum. Der Astronaut grinste ihn gutmütig an.

»Sie haben ein Gesicht gemacht, als ob Ihre Schuhe zu eng geschnürt wären«, sagte Connors.

»Ich habe bloß über was Geologisches nachgedacht«, erwiderte Jamie.

»Tut das weh?«

Jamie lachte und schüttelte den Kopf.

Ein paar Minuten später fragte Jamie: »Pete, wofür steht das ›T‹? Warum benutzen Sie Ihren ersten Vornamen nicht?«

Connors’ langes Gesicht verfinsterte sich. »Für Tyrone«, murmelte er.

»Tyrone?«

»Erzählen Sie’s nicht weiter.«

»Warum nicht? Das ist ein schöner alter irischer Name.«

Connors’ Grinsen kehrte zurück, aber irgendwie hatte es fast etwas Trauriges an sich. »Die weißen Kids in Nebraska fanden das nicht. Hat mir einen Haufen Schlägereien eingetragen, der Name. Und es hat keinen sonderlich guten Eindruck gemacht, daß der Sohn des Pfarrers die ganze Zeit abgeschürfte Knöchel hatte. Mit ›Pete‹ läßt sich’s viel leichter leben.«

Ich möchte wissen, wie viele Kämpfe er später noch in der Air Force ausfechten mußte, dachte Jamie. Und in der Raumfahrtagentur.

Sie fuhren weiter, während die ferne, blasse Sonne zum roten Horizont hinuntersank. Connors sprach leise in das Mikrofon der Kopfhörergarnitur, die über sein kurzgeschnittenes Haar geklemmt war. Jamie hatte seinen Kopfhörer nicht auf, aber er wußte, daß der Astronaut ihre Position auf der Satellitenfotokarte überprüfte und mit Wosnesenski in der Heimatbasis Kontakt hielt.

Dem Bildschirm in der Mitte der Kontrolltafel im Cockpit zufolge waren sie keine fünf Kilometer mehr vom Canyon entfernt. Jamie warf einen Blick auf seine Armbanduhr; sie hatten noch rund fünfzehn Minuten Tageslicht.

Connors bog mit dem segmentierten Rover fast im Neunzig-Grad-Winkel vom Kurs ab, ließ das Fahrzeug ausrollen und hielt an. Das Summen des Stromgenerators, der die Radmotoren mit Energie versorgte, verstummte.

»Okay, das war’s für heute«, sagte er.

Bevor Jamie fragen konnte, warum er vom Kurs abgewichen war, rief Connors den Frauen über die Schulter hinweg zu: »Kommt her und schaut euch den Sonnenuntergang an!«

Sie zwängten sich ins Cockpit und sahen schweigend zu, wie die merkwürdig kleine Sonne hinter einer Kette von Klippen versank. Der rosafarbene Himmel wurde feuerrot und anschließend pechschwarz. Jamie strengte die Augen an, um einen Blick auf das Polarlicht zu erhaschen, aber entweder war es so zart, daß man es durch die getönte Kanzel nicht sehen konnte, oder es war gar nicht vorhanden. Vielleicht ist es nur da, wenn die Sonne aktiv ist, dachte er.