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»Möglicherweise müssen Sie mehrere Stunden oder sogar mehrere Tage in einem Gummiboot sitzen«, hatte der Stabsbootsmann fröhlich erklärt. »Ich habe die Aufgabe, Sie auf diesen Fall vorzubereiten.«

Deshalb verbrachten sie drei Tage in einem offenen Gummiboot etliche Kilometer vor der Küste der Hauptinsel von Hawaii. Acht Männer und Frauen, darunter der lederhäutige Stabsbootsmann. Joanna war eine von ihnen gewesen.

Jamie erinnerte sich, daß sie die ganze Zeit seekrank gewesen war und ständig Angst gehabt hatte. Ihr Gesicht war weiß gewesen, und sie hatten die Fäuste so fest geballt, daß ihre Fingernägel sich tief in die Handteller gruben.

Er war die ersten beiden Stunden ebenfalls seekrank gewesen, während sie unablässig auf den dunklen, sich hoch auftürmenden Wogen tanzten. Im Wellental konnten sie nichts als tiefblaues Wasser und den blaßblauen Himmel sehen. Wenn sie auf einen Kamm gehoben wurden, stellte sich der Horizont schief und schwankte derart, daß ihnen übel wurde.

Jeder von ihnen trug eine dicke, aufgeblasene Schwimmweste, die in der Sonne zu heiß war, nachts jedoch nicht wärmte. Der Stabsbootsmann erlaubte ihnen nicht, die Ärmel und Hosenbeine ihrer Overalls hochzukrempeln. Außerdem mußten sie Hüte mit weichen Krempen tragen. »Sonnenstich«, hatte der Stabsbootsmann wissend gesagt. Niemand hatte ihm widersprochen.

»War ja wirklich das Letzte, wenn man bis zum Mars und zurück fliegt und dann bei der Rückkehr ertrinkt«, sagte eine der Trainingsteilnehmerinnen, eine grinsende, sonnengebräunte blonde Kalifornierin mit dem Körperbau einer Gewichtheberin.

»Im Augenblick hätte ich nichts dagegen, zu ertrinken«, sagte eine andere Frau. »Es wäre eine Erlösung.«

Der Stabsbootsmann befahl ihnen allen, über den wulstigen Rand des Gummiboots zu rutschen und jeweils eine Stunde lang im Wasser zu schwimmen. »Sie gehen schon nicht unter, jedenfalls nicht, wenn Ihre Schwimmausrüstung aufgeblasen ist. Das einzige, worüber Sie sich Sorgen machen müssen, sind Haie.«

Jamie verbrachte seine ganze Stunde im Wasser damit, sich Sorgen über Haie zu machen, während der Stabsbootsmann erklärte, wie man im Wasser nach ihren verräterischen Rückenflossen Ausschau hielt, »’türlich, wenn einer von unten raufkommt, sehen wir ihn erst, wenn’s wahrscheinlich schon zu spät ist. Da kann man nicht viel gegen machen.«

Anfangs kam ihm das Wasser warm vor, aber als die Minuten langsam verstrichen, merkte Jamie, wie die Wärme aus seinem Körper gesogen wurde. Ich erhöhe die Temperatur des Pazifik, sagte er sich. Hoffentlich wissen die Haie das zu schätzen.

Joannas Stunde kam gegen Sonnenuntergang. Sie schien starr vor Entsetzen zu sein, aber sie schaffte es, die Beine steif auf den vom Wasser glitschigen Wulst zu schwingen und fast geräuschlos ins Meer zu gleiten. Sie hing fast wie ein Leichnam im Wasser, ohne die Beine zu bewegen, die angespannten Arme ausgebreitet, die Augen groß und starr, die Lippen zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammengepreßt.

Hin und wieder trieb sie vom Gummiboot weg, unternahm aber nie auch nur den leisesten Versuch, wieder zurückzuschwimmen. Der Stabsbootsmann brüllte sie an, mußte sie aber jedesmal an der Sicherheitsleine näher heranholen.

Als Jamie im abgedunkelten Rover auf seiner Liege lag und zuhörte, wie der Marswind ihn rief, sah er Joanna wieder vor sich, wie sie allein im kalten schwarzen Meer trieb, von panischer Angst erfüllt, und das erbitterte Gebrüll des Stabsbootsmanns und die verlegene Aufmerksamkeit der anderen Trainingsteilnehmer ertrug, bis der Stabsbootsmann sie schließlich wieder an Bord des Gummiboots zog. Zitternd wickelte Joanna sich in eine Decke und kroch in eine Ecke des Gummiboots. Dort kauerte sie sich in Fötusstellung zusammen, ohne ein Wort mit jemandem zu sprechen.

Warum hat sie eine solche Angst ertragen, fragte sich Jamie. Warum hat sie sich so geschunden, um all die Qualen des Trainings durchzustehen und hierher zum Mars zu kommen?

Dann fiel ihm ihr Ausflug auf den Gletscher in McMurdo wieder ein, und schließlich wurde ihm klar, wovor Joanna sich in Wahrheit fürchtete.

Vor ihrem Vater! Sie fürchtet sich davor, ihn zu enttäuschen. Sie hat Angst, Brumado im Stich zu lassen, mehr Angst als vor Haien oder vor dem Erfrieren — oder davor, hundertfünfzig Millionen Kilometer von zu Hause entfernt zu sterben. Sie fürchtet sich nicht davor, selbst zu versagen, sondern nur davor, ihn zu enttäuschen.

Ihre Seele gehört tatsächlich ihm. Er füllt ihr ganzes Leben aus. Was wird sie tun, wenn wir zur Erde zurückkehren? Besonders, wenn wir keinen Beweis für Leben finden, den sie ihrem alten Herrn zeigen kann?

Er drehte sich um und fiel in einen unruhigen Schlaf. Er träumte von erdbedeckten Navajo-Balkenhütten, die die kahle Marswüste sprenkelten, und von prächtig gefiederten Göttern, die auf Flammensäulen aus dem Himmel herabstiegen. Der prächtigste aller Götter sah genau wie Alberto Brumado aus, und er funkelte Jamie mit den zornigen, glitzernden Augen eines Adlers an.

ERDE

WASHINGTON: Harvey Todd war so klein, daß man ihn mit Alexander Hamilton hätte vergleichen können, einem der Väter der amerikanischen Verfassung. Wie Hamilton hatte er in seinem Leben nie ein öffentliches Amt bekleidet, in das man gewählt wurde. Er hatte ein jungenhaftes, freundliches Gesicht, modisch geschnittenes sandfarbenes Haar und stand im Ruf, dynamisch und rücksichtslos zu sein. Noch keine fünfunddreißig Jahre alt, arbeitete in der Regierung mit, seit er in seiner College-Zeit einer der unermüdlichen jungen Männer in der Wahlkampagne einer schrillen Lehrerin aus New Jersey gewesen war, die es damals zur Kongressabgeordneten gebracht hatte.

Nun war diese Kongressabgeordnete Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, und Harvey Todd war ihr Berater für Wissenschaft und Technik. Er verbrachte seine Zeit bereits jetzt größtenteils damit, ihre Vorwahlen im nächsten Jahr vorzubereiten.

Todd schien sich wohlzufühlen, als er Alberto Brumado an dem kleinen Tisch gegenübersaß. Die Mittagsgäste des Restaurants im Jefferson Hotel unterhielten sich leise und gedämpft, als würde sich jeder vollbesetzte Tisch im Flüsterton über seine ganz eigenen Geheimnisse austauschen; die Menschen hockten in tiefen, luxuriösen, gepolsterten Sitznischen, so daß es nahezu unmöglich war zu sehen, wer mit wem zusammensaß.

Brumado trank einen Schluck aus seinem tulpenförmigen Glas mit portugiesischem vinho verde. Er nahm den Geschmack des Weines kaum wahr, so sehr konzentrierte er sich auf das, was Todd sagte.

»Ich habe ein Exemplar der Rede mitgebracht.« Der Berater der Vizepräsidentin zog eine winzige Computerdiskette aus der Innentasche seines Jacketts und legte sie auf das Tischtuch aus Damast. »Ich denke, sie wird Ihnen gefallen.«

»Akzeptiert die Vizepräsidentin, daß weitere Missionen zum Mars erforderlich sind?« fragte Brumado und beugte sich ein wenig vor.

»Ohne jede Einschränkung.«

»Wunderbar.« Brumado streckte die Hand nach der Diskette aus.

Todd bedeckte sie mit seiner Hand. »Hat der Indianer sein Statement zur Unterstützung der Vizepräsidentin geschrieben?«

»Noch nicht. Er hatte ziemlich viel zu tun.«

Todd zog die Diskette wieder zurück. »Nun, wenn Sie mir seine schriftliche Erklärung zeigen können, kann ich Ihnen die Rede der Vizepräsidentin zeigen.«

»Ich verstehe.«

»Ich habe die Ansprache zum NASA-Jahrestag angesetzt, wie Sie vorgeschlagen haben. Ihr Indianer hat nicht mehr viel Zeit, uns seine Erklärung zukommen zu lassen.«

»Er wird es schon tun. Sobald er von seiner Exkursion zum Tithonium Chasma zurückkommt.«

»Wohin?«

»Zum Grand Canyon des Mars.«