Daher lebte Brumado nun seit Wochen praktisch mit Edith Elgin zusammen und führte sie überall als inoffizielle Biographin des Projekts ein. Die anderen Networks beschwerten sich; die Printmedien veranstalteten ein Riesengeschrei. Aber Edith blieb bei Brumado. Sie reisten miteinander, aßen miteinander, verbrachten jeden Tag miteinander.
Außer bei seinem Lunch mit Harvey Todd. Der Berater der Vizepräsidentin hatte darauf bestanden, daß ihr Treffen strikt unter vier Augen stattfand.
Als Brumado mit dem Taxi allein nach Georgetown zurückfuhr, fragte er sich, wie lange er Edith noch einen Maulkorb umlegen konnte. Die Abmachung zwischen ihnen war sehr einfach gewesen, als er sie vorgeschlagen hatte. Aber nun wurde die Lage komplizierter. Eine der Komplikationen war die Vizepräsidentin. Eine andere war Harvey Todd und sein Ehrgeiz, trotz seiner vorgeblichen Loyalitäten hinter dem siegreichen Kandidaten zu stehen. Die brisanteste Komplikation war Edith selbst. Sie war jung, ganz reizend und sehr begehrenswert. Aber Brumado konnte sich nicht zu einer Entscheidung durchringen, was sie betraf. Würde sie mit ihm ins Bett gehen oder ihn abweisen? Würde es sie enger an ihn binden oder ihre Distanz zu ihm eher vergrößern, wenn er mit ihr zu schlafen versuchte?
Er lächelte vor sich hin, während das Taxi sich durch die schmale, verstopfte Wisconsin Avenue schlängelte. Vielleicht geht sie weg, wenn ich nicht versuche, sie zu verführen. Vielleicht erwartet sie von mir, daß ich mit ihr schlafe.
Er schüttelte den Kopf. Nein. Sie ist intelligenter. Und gefährlicher.
Das Taxi fuhr vor dem roten Backsteinhaus in Georgetown an den Straßenrand. Edith hatte ein Zimmer im nahegelegenen Four Seasons Hotel und ein üppiges Spesenkonto. Tatsächlich bezahlte sie ihre Mahlzeiten meistens selbst und trug auch ihre gesamten Reisekosten.
Brumado lachte in sich hinein, als er die Treppe hinaufging und in seinen Taschen nach dem Hausschlüssel suchte. Warum soll ich nicht mit ihr schlafen? Es denken doch sowieso schon alle, daß ich es tue. Das macht den Kohl nun auch nicht mehr fett.
SOL 36
MORGEN
Die Abfahrt über den Hang war beängstigend.
»Immer sachte«, murmelte Connors. Seine Hände waren fest ums Lenkrad des Rovers geklammert, seine gestiefelten Füße spielten so geschickt mit Gaspedal und Bremse wie die eines Konzertpianisten mit den Pedalen seines Instruments. Auf dem Kopf hatte er eine Kopfhörergarnitur mit einem Ohrstöpsel, deren Stiftmikro an einem dünnen, gebogenen Arm vor den Lippen des Astronauten hing.
Jamie hatte das Gefühl, als würde er ebenfalls fahren. Er saß angespannt auf dem rechten Sitz und starrte auf den steil abfallenden Hang der Rutschung hinaus. Es kam ihm so vor, als würde ihre Nase beinahe senkrecht nach unten zeigen.
»Ist so, als würde man das alte Space Shuttle landen«, scherzte Connors. »Einen neunundneunzig Tonnen schweren Koloß innerhalb von zehn Minuten von Überschallgeschwindigkeit so runterbremsen, daß er sanft aufsetzt. Ist unsere leichteste Übung.«
Jedesmal, wenn der Rover schwankte, wurde es Jamie flau im Magen. Er warf einen Blick nach hinten zu den beiden Frauen. Sie saßen angeschnallt auf den ausklappbaren Notsitzen am Schott direkt hinter dem Cockpit. Joanna war bleich und schwitzte sichtlich. Ilona sah ebenso angespannt aus, brachte aber ein verkrampftes Lächeln zustande.
Sie waren alle vier leger in ihre vorschriftsmäßigen brauen Overalls gekleidet; nur Ilona hatte sich ein buntes Tuch um die Taille gebunden. Die Raumanzüge brauchten sie erst, wenn sie sicher auf der Sohle des Canyons angelangt waren und den Rover verlassen wollten.
Jamie spürte, wie ihm der Schweiß in Bächen die Rippen hinunterlief. Schweißperlen traten ihm auf Stirn und Oberlippe. Seine Eingeweide hüpften und zuckten.
Das mittlere Modul des Rovers war für diese Exkursion umgebaut worden. Es diente nicht nur als Stauraum für Instrumente und Ausrüstungsgegenstände, sondern auch als Miniaturlabor, in dem die drei Wissenschaftler die gesammelten Steine und Bodenproben untersuchen und vorläufige Analysen durchführen konnten. Vom vorderen Modul aus gelangte man durch die Luftschleuse ins provisorische Labor. Das Logistik-Modul war mit Methantreibstoff für den Stromgenerator und die Treibstoffzellen gefüllt, dazu mit ihren anderen Verbrauchsmaterialien: Notsauerstoff, zusätzlichem Wasser und Nahrung.
Trotz des an Totenstarre erinnernden Griffs, mit dem Connors das Lenkrad gepackt hielt, wirkte er völlig gelassen. Er manövrierte langsam um einen Krater herum, der sich vor ihnen abzeichnete wie ein von einer Artilleriegranate gerissenes Loch, und steuerte den Rover zwischen dessen Wall und dem gefährlich nahen Rand der Rutschung hindurch. Wie Jamie nebenbei bemerkte, war die Rutschung immerhin schon so alt, daß sie hin und wieder von ziemlich großen Meteoriten getroffen worden war.
»Wo sind diese Nebelschleier, die Sie gesehen haben?« fragte Connors. »Im Moment sieht alles völlig klar aus.«
»Ich weiß auch nicht. Vielleicht bilden sie sich erst später.«
»Ist immer komisch mit dem Dunst. Aus dem einen Blickwinkel sieht alles völlig klar aus, aber wenn man aus einer anderen Richtung kommt und die Sonne in einer anderen Position ist, kann der Dunst alles bedecken und wie ein Rauch Vorhang aussehen.«
Aber jetzt war überhaupt keinen Dunst da. Jamie spürte, wie sich eine Ranke der Furcht in sein Bewußtsein schlängelte. Vielleicht war der Dunst, den Mikhail und ich gesehen haben, ein seltenes Phänomen, etwas Einmaliges. Vielleicht habe ich uns hierhergeschleift, um ein Phantom zu jagen, das gar nicht existiert.
Der Hang war mit Felsbrocken und Kieselsteinen übersät, aber sie waren alle nicht so groß wie die Felsblöcke, auf die sie oben auf dem Marsboden gestoßen waren. Jamie sah keine Staubhäufchen an den größeren Steinen. Entweder gibt es hier unten keinen Wind, überlegte er, oder er weht so stark, daß er sämtlichen Staub wegbläst, der sich gesammelt hat.
Die aus Metallplatten bestehenden Räder des Rovers wurden jeweils von einem eigenen unabhängigen Elektromotor angetrieben, was dem Fahrzeug die bestmögliche Bodenhaftung verlieh. Trotzdem merkte Jamie hin und wieder, wie der Boden unter ihnen wegrutschte, und hörte einen Radmotor plötzlich aufheulen, bevor er sich auf den losen Schotter darunter einstellte.
Connors murmelte fortwährend so leise vor sich hin, daß Jamie nicht einmal aus dieser Nähe verstehen konnte, ob der Astronaut fluchte oder betete. Vielleicht beides, dachte er.
Sie kamen an der einen geologischen Sonde vorbei, die auf dem Hang gelandet war. Ihr kurzer, dicker weißer Rumpf hob sich gegen den rötlichen Boden und die Steine ab wie ein grellbuntes Reklameschild mitten in der Sahara. Der Boden um die Sonde herum war natürlich fest und leicht zu befahren, das Gefälle erheblich geringer als in dem Bereich, den sie soeben durchquert hatten.
»Sieht so aus, als ob es da vorne leichter würde«, sagte Connors.
Jamie sah, daß der Boden ebener und glatter war. Keine Krater in Sicht.
»Gut«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Ein Schatten glitt über das Cockpit hinweg, und im selben Moment rief Ilona: »Seht mal!«
Eines der RPVs huschte so tief an ihnen vorbei, daß Jamie die glitzernden Augen der Kameraobjektive an seinem Bauch ausmachen konnte. Er wußte, daß das andere, von Paul Abell gesteuerte RPV hoch über ihnen dahinsegelte und das gesamte Gebiet beobachtete. Der Tiefflieger erkundete das Terrain vor ihnen. Mironow, der an seinen Kontrollen saß, erstattete Connors Minute für Minute über den seitlich an seinen Kopf geklemmten Ohrstöpsel Bericht über das, was er sah.
»Wir müßten bald unten sein«, sagte Connors leise. Ob seine Worte an Mironow oder die anderen im Rover gerichtet waren, konnte Jamie nicht erkennen.