Genau in diesem Augenblick rutschte der Rover weg. Seine einzelnen Teile verschoben sich in der unerbittlichen Zeitlupe eines Alptraums gegeneinander; der vordere Teil wurde plötzlich seitwärts gezogen, weil sich die schwereren Segmente in der Mitte und hinten querstellten. Radmotoren kreischten, und es gab einen lauten, dumpfen Schlag. Sie hüpften und holperten, und Connors wirbelte das Lenkrad erst in die eine, dann in die andere Richtung.
»Festhalten!«
Jamie stemmte seine gestiefelten Füße gegen den Boden und streckte die Hände aus, um sich an der Kontrolltafel abzustützen. Der Rover krachte gegen einen weiteren Stein, schwenkte in einem verrückten Winkel herum und kam schließlich knirschend zum Stehen.
Eine ganze Weile waren im Cockpit nur die tiefen, ängstlichen Atemzüge von vier schweißnassen Menschen und das Knirschen und Knistern von überhitztem Metall zu hören.
Connors schluckte so schwer, daß sie es alle hören konnten. Dann sagte er: »Muß ein alter Krater gewesen sein, der mit losem Schutt gefüllt war.«
»Oder mit Staub«, hörte Jamie sich mit hohler Stimme sagen.
»Hat sich irgendwie eher wie Sand angefühlt.«
»Sitzen wir fest?«
Connors schüttelte den Kopf. »Kann sein, daß wir diese Sektion von den anderen beiden abtrennen müssen, aber ich glaube, wir schaffen es.«
»Ohne den Treibstofftank und das Labor?« fragte Ilona.
»Lassen Sie’s mich erst mal probieren …«
So sanft wie eine Mutter, die ihr Baby streichelt, setzte Connors die Fußspitze auf das Gaspedal. Die Elektromotoren summten in einer tiefen Lage. Jamie spürte, wie der Rover erschauerte und sich ein ganz kleines Stück nach vorn schob.
»Wir müssen alle drei Segmente in einer Linie ausrichten, sonst fangen wir wieder an zu rutschen«, murmelte Connors. »Ist wie bei ’nem Sattelschlepper …«
Ganz, ganz langsam krochen sie dahin. Auf dem langen, ernsten Gesicht des Astronauten zeigte sich allmählich ein vorsichtiges kleines Lächeln. Die Heulen der Elektromotoren wurde höher, das Fahrzeug bewegte sich sicherer vorwärts, und Connors’ Lächeln wurde immer breiter, bis sie schließlich zuversichtlich dahinrollten und all seine strahlend weißen Zähne zu sehen waren.
»Gracia a dios«, kam Joannas atemlose Stimme von hinten.
Noch ein paar kleinere Stöße, und Jamie sah, daß sie ebenen Boden erreicht hatten.
»Das war’s«, sagte Connors zufrieden. »Wir sind auf dem Grund des Canyons.«
»Gute Arbeit«, sagte Jamie.
»Vorhin ist es mir ein paar Minuten lang gar nicht so gut gegangen.«
»Wem sagen Sie das!«
Ihr Plan sah vor, daß sie am Fuß der Rutschung haltmachten, draußen Gesteins- und Bodenproben sammelten und dann bis zum Einbruch der Dunkelheit an der Nordwand des Canyons entlangfuhren. Gleich am nächsten Morgen würden sie noch ein paar Proben nehmen und dann weiterfahren, bis sie dorthin kamen, wo Jamie sein ›Dorf‹ gesehen hatte. Dort würden sie feststellen, ob sie zu der Spalte hinaufklettern konnten, in der sich die Gesteinsformation befand. Zumindest konnten sie weitere Fotos von ihr machen und versuchen, aus der Ferne eine Spektralanalyse der Formation vorzunehmen, indem sie mit einem Laser eine winzige Menge Stein wegbrannten und das Spektrum der dabei entstehenden Gaswolke fotografierten.
»Ich begleite dich bei der ersten EVA«, sagte Joanna, nachdem sie rasch eine kalte Mahlzeit zu sich genommen hatten.
Jamie stand an der Luftschleusenluke am hinteren Ende des Kommandomoduls des Rovers. Connors war ins Cockpit zurückgegangen, um alle Systeme zu überprüfen und Wosnesenski seinen Bericht zu erstatten.
»Laut Plan soll Ilona mitkommen«, sagte er.
»Sie fühlt sich nicht wohl«, entgegnete Joanna.
Jamie warf einen Blick auf Ilona. Sie saß bleich auf dem Rand der eingeklappten Liege und zitterte sichtbar.
In Jamies Gedärm rumorte es ebenfalls noch, und er war nach wie vor total verschwitzt von der qualvollen Abfahrt auf dem Hang. Aber Ilona sah richtig krank und elend aus.
»Okay«, sagte er zu Joanna. »Zieh dich an.«
Jamie ging zur mittleren Sektion zurück und beugte sich über Ilona. Sie blickte zu ihm auf. Ihre Augen waren feucht, ihr Gesicht war mit einem glänzenden Schweißfilm bedeckt.
»Warum gehst du nicht nach vorn und bittest Pete, dich mit Tony sprechen zu lassen? Ich glaube, du brauchst einen Arzt.«
»Das wird schon wieder«, sagte sie matt. »Ich komme mir blöd vor.«
»Ruf Tony an; hol seinen Rat ein.«
Sie nickte.
Jamie ging zur Luftschleuse zurück. Er hatte selber weiche Knie, und die Beine taten ihm weh. Er schob es auf die Anspannung der Abfahrt. Herrje, ich hoffe, wir haben uns nicht alle irgendwas eingefangen. Wenn einer von uns die Grippe hat, kriegen wir sie alle, und das wäre das Ende dieser Exkursion.
Joanna steckte schon halb in ihrem Raumanzug. Jamie machte sich an die mühselige Aufgabe, in seinen zu steigen. Es schien eine Stunde zu dauern, aber schließlich waren sie beide fertig angekleidet, die Tornister waren angeschlossen und die Helmvisiere heruntergeklappt und verriegelt. Connors kam nach hinten in die Luftschleuse und überprüfte sie beide. Zu dritt war es unerträglich eng darin, obwohl Connors nur seinen Overall trug.
»Bleiben Sie in Sichtweite des Rovers«, mahnte der Astronaut. »Ich beobachte Sie vom Cockpit aus, sobald ich meinen Anzug anhabe.«
Die Standardprozedur. Eine weitere Person mußte immer den Anzug tragen, damit sie sich bei einem Notfall sofort ausschleusen konnte. Es war eine sehr freie Auslegung der Vorschriften, wenn Wissenschaftler hinausgingen, ohne daß ein Astronaut bei ihnen war, aber Kaliningrad hatte die Änderung des Verfahrens abgesegnet — nur für diese eine Exkursion.
»Wir bleiben nicht lange draußen«, sagte Jamie. »Sieht so aus, als lägen hier in der Gegend massenhaft Steine herum. Joanna kann welche einsammeln, während ich ein paar Löcher bohre.«
»Lassen Sie’s nur ruhig angehen und überanstrengen Sie sich nicht«, sagte Connors.
Erst als der Astronaut die Luftschleuse verlassen hatte, kam Jamie zu Bewußtsein, daß Connors ebenfalls geschwitzt hatte. Während die Luft abgepumpt wurde und die Außenluke aufging, fragte er sich, wie es kam, daß Pete am Lenkrad des Rovers derart ruhig und gelassen gewesen war und daß er jetzt schwitzte, wo sie sicher auf dem Boden des Canyons waren.
»Mikhail Andrejewitsch, ich muß dich unter vier Augen sprechen.« Mironow sagte es auf Russisch und beinahe im Flüsterton.
Wosnesenski blickte vom Kommunikationsmonitor auf. Er saß bereits seit einer Stunde dort und beobachtete Waterman und Brumado bei der Arbeit auf dem Boden des Canyons.
Mironows normalerweise fröhliches Gesicht sah sehr ernst aus.
»Was ist?« fragte Wosnesenski, ebenfalls auf Russisch.
Der Kosmonaut zog sich einen der zierlichen Plastikstühle heran und sagte: »Es geht mir nicht gut. Ich fühle mich krank.«
»Hast du es Reed gesagt?«
»Noch nicht. Ich wollte dich fragen, ob ich es tun soll. Es könnte einen schlechten Eindruck machen, wenn einer von uns krank wird.«
Wosnesenskis Gesicht zog sich in einem Stirnrunzeln zusammen. »Dann geht es dir also offenbar noch nicht so schlecht, daß du zum Arzt gehen würdest.«
Mironow schaute unglücklich drein. »Mir tut alles weh. Ich fühle mich schwach. Es ist, als bekäme ich eine Grippe.«
»Laß dich von Reed untersuchen. Wir können es uns nicht leisten, daß sich eine Infektionskrankheit in der ganzen Gruppe ausbreitet.«
»Aber was werden sie in Kaliningrad sagen?«
Wosnesenski schlug bewußt einen sanfteren Ton an. »Wenn du krank bist, ist das nicht deine Schuld. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, daß Kaliningrad dich in das Schiff im Orbit hinaufholt und Iwschenko als Ersatzmann herunterschickt.«