Mironow stöhnte. »Genau das hatte ich befürchtet.«
»Wenn es sein muß, muß es sein. Zum Wohl der Mission.« Wosnesenski streckte die Hand aus und klopfte ihm grinsend auf die Schulter. »Außerdem kann Doktor Yang viel besser mit Kranken umgehen als der Engländer.«
»Meinst du?«
»Während des Trainings hatten wir einmal ein sehr interessantes Gespräch über die russisch-chinesischen Beziehungen — im horizontalen Bereich. Ich kann mich für ihr Mitgefühl und ihre ausgesprochen zärtliche Fürsorge verbürgen.«
Mironows niedergeschlagene Miene hellte sich beträchtlich auf. »Wahrscheinlich brauche ich nur ein bißchen Aspirin.«
»Mal sehen, was Reed empfiehlt. Ich weiß, daß du nicht aus dem Bodenteam ausscheiden willst, aber wenn es sein muß — nun, es gibt Entschädigungen.«
Der Kosmonaut hievte sich mit unübersehbarer Mühe aus dem Stuhl und begab sich mit einem tiefen Seufzer zum Krankenrevier. Wosnesenski wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Kommunikationsbildschirm zu. Er fuhr sich mit einem Finger innen am Kragen entlang, dann rief er die Anzeige für die Klimasteuerung auf den Bildschirm. Die Zahlen zeigten, daß in der Kuppel alles normal war; nur einer der Luftzirkulationsventilatoren war zu Wartungszwecken abgeschaltet worden. Die Temperatur der Kuppel lag ganz knapp unter den üblichen einundzwanzig Grad Celsius. Merkwürdig, dachte Wosnesenski. Es kam ihm wärmer vor als sonst.
Jamie war völlig erschöpft. Er sackte in den Cockpitsitz und streckte die Hand nach dem Kommunikationsschalter aus.
»Meine Güte, Sie sehen ja schrecklich aus«, sagte Connors.
»Ich fühle mich lausig. Hatte gerade noch genug Kraft, um aus dem Anzug zu steigen.«
»Sie waren zu lange draußen.«
»Kann sein.«
»Was Sie brauchen, ist eine warme Mahlzeit und eine ordentliche Mütze Schlaf.«
Jamie hätte beinahe gelacht. »Sie hören sich an wie meine Mutter.«
Connors erwiderte das Grinsen. »Jetzt, wo Sie’s sagen — ich klinge wie meine Mutter.«
Jamie schaltete das Kommunikationssystem ein. Wosnesenskis mürrisches Gesicht füllte den winzigen Bildschirm an der Kontrolltafel.
»Herrgott, Mikhail, machen Sie denn nie eine Pause?«
Der Russe grunzte. »Auf dem Rückflug kann ich mich neun Monate lang ausruhen.«
»Da haben Sie recht«, gab Jamie zu. Er holte tief Luft und fuhr fort: »Okay, hier ist unser vorläufiger Bericht über die heutige EVA.«
»Ich bin bereit. Das Band läuft.«
»Wir haben acht Steine mit an Bord gebracht, um sie zu untersuchen. Doktor Malater und Doktor Brumado sind gerade in der Laborsektion und versuchen, aus ihnen schlau zu werden. Drei von ihnen haben irgendwelche orangefarbenen Intrusionen, die wir noch nie gesehen haben. An den Felswänden laufen hier und dort ähnliche orangefarbene Streifen entlang. Wir haben etwas davon abgekratzt.«
»Schmitt hat eine orange Färbung auf dem Mond gefunden«, sagte Wosnesenski. »Eine Art Glas, wenn ich mich recht entsinne.«
»Das ist kein Glas«, sagte Jamie. »Da bin ich sicher.«
»Was dann?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht eine Schwefelverbindung. Wir müssen es erst noch analysieren.«
Wosnesenski machte mit einer Hand eine Geste, daß Jamie mit seinem Bericht fortfahren sollte.
»Ich habe vier Bohrungen bis in eine Tiefe von zehn Metern niedergebracht. Hier unten auf der Talsohle scheint es keine Permafrostschicht zu geben, oder wenn, dann liegt sie tiefer als zehn Meter.«
»Was ist mit tieferen Bohrungen?«
»Wir haben beschlossen, bei der morgigen EVA nach unserer Fahrt zum zweiten Standort eine Tiefbohrung vorzunehmen. Eine Tiefbohrung dauert länger, wegen der schwereren Geräte und allem; dafür hatten wir heute einfach nicht die Zeit. Wir werden nicht so weit fahren, daß die beiden Standorte geologisch nicht gleich wären; also sollte auch eine einzige Tiefbohrung reichen.«
Der Russe blinzelte nachdenklich und nickte.
»Ilona und Joanna werden Ihnen Videos der Gesteinsproben schicken. Wir haben natürlich auch Bodenproben genommen. Massenweise sandiger Regolith hier draußen, eine dicke Schicht, über zwei Meter an dieser Stelle. Ich habe eine Fernerkundungsbake aufgestellt. Die vorläufigen Daten, die wir von ihr bekommen, zeigen, daß der Wärmestrom aus dem Boden hier auf dem Grund des Canyons signifikant stärker ist als oben auf der Ebene.«
»Ein stärkerer Wärmestrom? Woran liegt das?«
»Keine Ahnung. Noch nicht.« Jamie vergaß seine Müdigkeit, während er redete. »Alles, was wir bisher gesehen haben, deutet darauf hin, daß der Mars im Innern kalt ist; wenn er einen schmelzflüssigen Kern hat wie die Erde, dann ist er sehr klein und liegt tief im Innern des Planeten. Er muß natürlich einmal größer und heißer gewesen sein. Diese Tharsis-Vulkane können nicht älter als höchstens eine halbe Milliarde Jahre sein. Aber der Kern ist offenbar fast vollständig abgekühlt. Keine Anzeichen für eine Kontinentalverschiebung … nichts, was auch nur Ähnlichkeit mit Kontinenten hat.«
»Und trotzdem kommt Wärme aus dem Boden des Canyons?«
»Mehr als an allen anderen Stellen, die wir erforscht haben«, bestätigte Jamie. »Etwas unter diesem Canyon ist warm. Deshalb gibt es hier unten Nebelschleier und Wasserdampf.«
»Was noch?«
»Luftdichte und Temperatur entsprechen dem, was die Sonden gefunden haben. Dieser ganze Grabenkomplex scheint sein eigenes Mikroklima zu besitzen; es ist wärmer als der restliche Planet, und der Luftdruck ist höher. Vielleicht zeigt sich beim Hellas-Becken dasselbe Phänomen. Wir müssen das überprüfen.«
»Nicht auf dieser Mission!«
»Das weiß ich. Wir werden zurückkommen müssen. Es ist wie bei der Erforschung von Afrika, Mikhail. Es wird Jahrzehnte dauern, vielleicht ein Jahrhundert oder noch länger, bis wir alles untersucht haben.«
Wosnesenski ließ eines seiner seltenen Lächeln sehen. »Wenn es Ihnen an etwas nicht mangelt, Jamie, dann an Ehrgeiz.«
Jamie war verblüfft. »Ehrgeiz? Ich?«
Aber Wosnesenski formulierte bereits seine nächste Frage. »Wie geht es Ihnen? Wollen Sie mit Tony sprechen? Ist Ihr Gesundheitszustand in Ordnung?«
Jamie zögerte. »Ich bin müde, aber sonst geht es mir gut. Ilona ist nicht so ganz auf dem Damm, aber ich glaube nicht, daß sonst noch jemand Beschwerden hat. Ich werde sie alle einzeln fragen; falls es irgendwelche Probleme gibt, melden wir uns wieder.«
»Gut. Ich verlasse mich darauf.«
Jamie verabschiedete sich und unterbrach die Verbindung. Seltsam, daß Mikhail sich nach ihrem Gesundheitszustand erkundigt hatte. Der verdammte Kerl mußte ein Telepath sein. Dann wurde ihm klar, daß Ilona mit Tony gesprochen haben mußte, während sie draußen waren. Und Mikhail hat gesehen, daß Joanna und nicht Ilona den Ausflug mit mir gemacht hat. Er ist ein mißtrauischer Bursche. Typischer Russe.
MARSORBIT
Li Chengdu schaute mit finsterer Miene auf den Bildschirm. Er saß an der Überwachungsstation hinter den beiden Pilotensitzen im Kommandomodul der Mars 2. Tolbukhin und der amerikanische Astronaut, Burt Klein, hatte ihre Sitze umgedreht und damit eine kleine Konferenzrunde gebildet.
Dr. Yang saß neben Li und zeigte auf die beiden Listen, die nebeneinander auf dem Bildschirm deutlich zu sehen waren.
»Sehen Sie? Waterman und Brumado haben bei ihrer EVA nur die Hälfte der geplanten Arbeiten durchgeführt.«
Yangs Fingernagel war lang und rot und sorgfältig manikürt. Li überlegte, wozu sich die Ärztin die Mühe machte, ihre Nägel zu lackieren. Sie war keine sonderlich gutaussehende Frau, dachte er, eigentlich sogar ziemlich unansehnlich, mit einer Knollennase und wulstigen Lippen. Ihre Figur war unscheinbar. Aber sie hatte ihren braunen Overall mit einem glänzenden goldenen Flechtgürtel geschmückt und trug ein Halstuch und mehrere Armreifen, die wie winzige Becken aneinanderschlugen, wenn sie die Hände bewegte. Ihr mausbraunes Haar war frisch geschnitten; der Pony reichte ihr fast bis zu den Augenbrauen. Und sie hatte doch tatsächlich Lippenstift und sogar Lidschatten aufgelegt.