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Der Russe war in der Messe. Er hockte über einem Becher dampfendem Tee. Mironow und er unterhielten sich leise und ernst in ihrer Muttersprache. Für Reeds professionelles Auge sahen sie beide krank aus. Hager, blasses Gesicht. Sogar ihre Overalls wirkten ausgebeult und zerknittert, ganz anders als noch vor ein paar Tagen, als sie einen tadellosen Anblick geboten hatten. Was immer es ist, sie haben es. Und alle anderen auch. Alle außer mir. Und vielleicht Toshima.

Reed fühlte sich absurd normaclass="underline" gesund und stark. Aufmerksam und hellwach. Er hatte sogar seinen morgendlichen Amphetamin-Cocktail reduziert, um festzustellen, ob seine offenkundige Gesundheit auf chemische Ursachen zurückzuführen war.

Die Russen schauten beide auf, als Tony sich einen Stuhl heranzog und sich zu ihnen setzte.

»Das Team im Rover hat es auch«, erklärte Reed ihnen leise, »was immer es sein mag.«

»Erschöpfung«, sagte Wosnesenski sofort. »Psychologische Erschöpfung. Das habe ich bei Langzeitmissionen im Orbit auch schon erlebt.«

»Nach nur siebenunddreißig Tagen?« Reed hätte beinahe spöttisch gelacht.

»Wir sind seit fast einem Jahr im Raum.«

»Ja«, gab Reed zu. »Das stimmt.«

»Die Belastungen, denen man in dieser Umgebung ausgesetzt ist …« begann Mironow und verstummte.

»Der Mars ist nicht anstrengender als der Mond oder eine Raumstation in der Umlaufbahn«, sagte Reed. »Eigentlich eher weniger anstrengend, würde ich meinen.«

»Was ist es dann?« knurrte Wosnesenski. »Was passiert mit uns?«

Reed schüttelte den Kopf. »Was immer es ist, es ruft bei allen dieselben Symptome hervor: Schwäche, Glieder- und Kopfschmerzen.«

»Es ist die Grippe«, sagte Mironow.

Reed sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. »Wie sollten wir alle fast ein Jahr nach unserem Abflug von der Erde die Grippe kriegen? Influenza-Viren haben keine so lange Inkubationszeit. Wenn es die Grippe wäre, hätten wir sie schon längst bekommen.« Sofern es kein Slow Virus ist, dachte Tony plötzlich. Wie die Legionärskrankheit oder etwas in der Art.

In Mironows Miene lag eine störrische Skepsis.

»Und im Orbit hat es niemand«, hob Reed hervor. Er versuchte nicht nur, den Kosmonauten zu überzeugen, sondern ebenso sich selbst.

»Die Marsgrippe eben«, sagte Wosnesenski halb scherzhaft.

»Es ist absolut unmöglich, sich auf einem Planeten, auf dem es überhaupt kein Leben gibt, eine Krankheit zu holen«, fauchte Reed beinahe wütend. »Hier gibt es keine Viren, die uns infizieren könnten. Selbst wenn es marsianische Mikroben gäbe, wären sie nicht an unsere Zellen angepaßt. Auf dem Mars könnte es alle möglichen Bakterien geben, aber sie würden uns überhaupt keine Probleme bereiten. Sie könnten es gar nicht.«

»Das ist die Theorie der Ärzte«, murmelte Mironow finster.

»Vielleicht ist es gar keine richtige Krankheit«, sagte Wosnesenski.

»Keine Krankheit?«

»Bergleute bekommen eine Staublunge«, sagte Wosnesenski. »Nicht von Bazillen, sondern weil sie Kohlenstaub einatmen.«

Reed starrte ihn an. Dieser Kosmonaut hat tatsächlich ein Gehirn in seinem dicken Schädel!

»Vielleicht enthält der Marsstaub eine Substanz, die schädlich für uns ist«, fuhr Wosnesenski fort.

»Aber wir geben uns doch große Mühe, den Staub aus unseren Anzügen und unserem Wohnbereich fernzuhalten«, hob Reed hervor.

»Der Staub ist sehr fein. Vielleicht bemühen wir uns nicht genug.«

»Daran hatte ich noch gar nicht gedacht«, gestand Reed.

Mironow sagte: »Wir könnten die Luft hier drin überprüfen und feststellen, wieviel Staub sie enthält.«

»Ja«, sagte Wosnesenski. »Das müssen wir tun.«

Reed wollte gerade etwas erwidern, als Toshima zum Tisch gerannt kam. Seine Augen waren groß vor Erregung. Wenn er die ›Marsgrippe‹ hatte, dann war es ihm jedenfalls nicht anzumerken.

»Der Staubsturm!« schrie er beinahe. »Er hat begonnen!«

SOL 37

NACHMITTAG

Ausgangsverbot.

Jamie kam sich wie ein unartiger Teenager vor, der von seinen Eltern bestraft wurde. Der Rover war voll und ganz fahrtüchtig, und obwohl er sich schwach fühlte und Kopfschmerzen hatte, sah er keinen Grund, warum er nicht weiterfahren sollte, näher zu dem ›Dorf‹, das er gesehen hatte.

Dort müssen wir hin, sagte er sich immer wieder. Vielleicht kann ich sogar hinaufklettern, wenn wir erst mal am Fuß der Felswand unter dieser Spalte angelangt sind. Ich wette, es gibt sogar einen natürlichen Pfad, der zur Spalte und der Formation darin hinaufführt. Vielleicht haben sie auch Stufen in den Stein geschlagen.

Der Tag schien vollkommen klar zu sein, obwohl Toshima darauf beharrte, daß ein Staubsturm durch den Canyon auf sie zugerast kam und sie bald einhüllen würde.

Früher am Vormittag hatten sogar die Nebelschleier da draußen gehangen, dünne graue Schlieren, die in der frühmorgendlichen Kälte in der Luft schwebten und langsam verdunsteten, als die Sonne in den Canyon fiel. Wie Geister, die verschwinden, wenn das Licht sie berührt, dachte Jamie.

Wenn der Nebel sich auflöst und sich dann am nachten Morgen erneut bildet, folgerte er, bleibt die Feuchtigkeit entweder in der Schlucht, oder sie wird aus einer Quelle im Boden oder in den Felswänden erneuert.

Herrgott! Es gibt so vieles, wonach wir suchen müssen, und sie sperren uns in diese Aluminiumdose hier ein!

Zum vierzigsten Mal an diesem Morgen marschierte er durch das ganze Kommandomodul des Rovers, vom Cockpit-Schott vorbei an der kleinen Kombüse durch den engen Gang zwischen den eingeklappten Liegen zu den Borden mit den Geräten und schließlich zur Luftschleuse am hinteren Ende.

Connors rief von vorn aus dem Cockpit: »Ich glaube, es geht los.«

Jamie lief die neun Schritte, die man brauchte, um das Modul in seiner ganzen Länge zu durchqueren, und steckte den Kopf durchs Schott. Durch die gewölbte Kanzel des Cockpits sah der Canyon draußen genauso aus wie beim letzten Mal, als er hinausgeblickt hatte.

Connors kam ihm zuvor. »Schauen Sie mal zum Himmel rauf.«

Jamie glitt auf den leeren Sitz neben dem Astronauten, so daß er nach oben schauen konnte. Der rosafarbene Himmel sah normal aus — fast normal.

»In den letzten fünf Minuten ist es zehn Prozent dunkler geworden«, sagte Connors und hielt eine Farbvergleichsskala hoch.

»Es gibt also tatsächlich einen Sturm.«

»Ja.«

»Ich gehe lieber nach hinten und sage es gleich den anderen.«

»In Ordnung. Wir haben ja sonst nichts zu tun.« Connors setzte sich die Kopfhörergarnitur auf, während er sprach, und streckte die Hand zum Schalter der Kommunikationsanlage aus.

Joanna und Ilona saßen im Labormodul so eng beieinander, daß ihre Schultern sich beinahe berührten. Das Licht war gedämpft; die leuchtenden Anzeigen auf den Computerbildschirmen verbreiteten mehr Helligkeit als die heruntergeregelte Neonröhre über ihnen.

Keine der beiden Frauen blickte auf, als Jamie durch die Luftschleuse hereinkam. Sie waren beide über etwas auf dem Arbeitstisch gebeugt.

»Der Sturm geht los«, sagte Jamie.

Joanna drehte leicht den Kopf und sah ihn über die Schulter hinweg an. In dem matten Licht konnte er ihre Miene nicht erkennen. Er sah nur, daß sie furchtbar blaß war.

»Die Kernproben-Daten sind auf dem Bildschirm hier«, sagte sie und tippte kurz an den Computer neben sich.

»Irgendwas Interessantes?«

»Sieh selbst«, sagte sie und wandte sich wieder der Arbeit zu, mit der sie und Ilona gerade beschäftigt waren.

Jamie runzelte die Stirn über ihre abrupte Art. Er beugte sich hinüber, da es keine anderen Stühle im Labor gab, und las die Zahlen auf dem Bildschirm ab.

Keine große Differenz zu den Werten, die sie von anderen Kernproben bekommen hatten, wie er sah. Außer daß kein Eis in der Probe war, keine Permafrostschicht.