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Wo kommt das Wasser dann her, fragte sich Jamie.

Er rief eine Parallelanzeige auf, die die Ergebnisse der in der Nähe der Kuppel gesammelten Kernproben mit denen aus dem Canyon verglich. Belanglose Unterschiede, viel weniger, als Jamie erwartet hatte. Bis auf das Wasser. Hier gibt es weniger Wasser als oben auf der Ebene. Weniger! Absurd. Er verstand das nicht.

Draußen heulte plötzlich der Wind. Jamie richtete sich auf, und ein Schmerz fuhr ihm durch den Rücken. Er hatte länger gebückt dagestanden, als er gemerkt hatte. Der Wind sang jetzt geradezu. Im Labormodul gab es keine Fenster; man konnte nicht sehen, was draußen vorging.

Joanna und Ilona saßen immer noch über ihre Arbeit gebeugt. Die Diamantensäge summte kurz und heulte dann auf, als sie in Stein biß.

»Ich gehe nach vorn und schaue mir den Sturm an«, sagte er.

»Gut«, erwiderte Joanna, ohne den Kopf zu heben.

Neugierig fragte er: »Woran, zum Teufel, arbeitet ihr denn? Was ist so faszinierend?«

»Geh nach vorn, Jamie, und laß uns in Ruhe. Wir rufen dich, wenn wir soweit sind und reden wollen.«

Du liebes bißchen, grummelte Jamie in sich hinein. Dann fiel ihm wieder ein, wie besitzergreifend Joanna geworden war, als sie den grüngestreiften Stein gefunden hatten.

Irritiert und etwas verärgert begab er sich wieder ins Kommandomodul. Connors war immer noch vorn im Cockpit. Er mampfte einen Schokoriegel und hatte die Kopfhörergarnitur noch aufs Ohr geklemmt, den Mikrofonarm aber vom Mund weggebogen.

»Toshima sagt, wir werden den ganzen Tag in dieser Waschküche sitzen«, verkündete er mürrisch.

Jamie starrte auf das Bild, das sich ihm draußen bot. Der Wind schrie wie ein Kleinkind, hoch und dünn. Es war ganz dunkel geworden, eine unheimliche, fluktuierende Finsternis, ganz anders als bei Nacht, obwohl es nicht mehr viel heller als kurz nach Sonnenuntergang war. Ein diffuses Halbdunkel, als hätte man eine Decke über dem Kopf. Irgendwie bedrohlich, tief unten im Bauch. Jamie konnte die Felswand kaum sehen, obwohl sie keine fünfzig Meter von der Nase des Rovers entfernt war. Der Himmel war von Dunkelheit ausgelöscht.

Er glitt auf den Cockpitsitz und schaute auf den Hauptmonitor an der Instrumententafel hinunter.

Connors hatte ein Satellitenbild der Region daraufgelegt. Jamie konnte den Grabenkomplex deutlich sehen, aber das Innere das gewundenen Labyrinths war bis zum Rand mit wogenden Wolken aus rötlichgrauem Staub gefüllt. Sie hoben und senkten sich wie Meereswellen und erweckten den Anschein, als wären sie weich und dick genug, um den Körper zu tragen, wenn man sich mit ausgebreiteten Armen und Beinen in sie hineinlegte.

»Wosnesenski ist stinksauer, weil wir keine Abdeckung haben, die wir über die Kanzel ziehen könnten«, sagte Connors. »Er befürchtet, der Staub wird den Kunststoff so stark zerkratzen, daß wir nicht mehr durchgucken können.«

»Und? Stimmt das?«

Connors wiegte zweifelnd den Kopf. »Schwer zu sagen, bis jetzt. Ich höre nichts, was wie ein Kratzen klingt. Sie?«

»Die Staubpartikel sind mikroskopisch klein.«

»Ja, aber scharfkantig.«

»Wir können nichts anderes tun als warten«, sagte Jamie.

»Wie läuft’s bei den Frauen hinten?«

Jamie schnaubte. »Die sind so beschäftigt, daß sie sich nicht mal für den Sturm interessieren.«

»Sie werden die Show verpassen.«

Jamie wunderte sich erneut über das Fehlen von Wasser in den Kernproben. Da kann etwas nicht stimmen. Uns entgeht etwas.

»Wenn wir die Kanzel abgedeckt hätten, könnten wir das nicht sehen«, sagte Connors. Seine Stimme klang müde.

»Was ist mit den Kameras?«

»Die laufen alle auf Automatik. Wir bekommen eine vollständige Aufzeichnung des Sturms, vorausgesetzt, der Sand zerkratzt die Objektive nicht allzusehr.«

»Wir haben doch Ersatzobjektive an Bord, oder?«

»Klar.« Connors stieß einen Seufzer aus. »Ich hätte sowieso nicht die Kraft, jetzt eine Abdeckung drüberzuziehen.«

»Geht’s Ihnen immer noch schlecht?«

»Schlechter. Und Ihnen?«

»Ziemlich lausig.«

»Meinen Sie, wir sollten Reed Bescheid sagen?«

»Wenn er uns was zu sagen hätte, würde er sich melden«, meinte Jamie.

»Ja. Glaube ich auch.«

Jamie lehnte sich zurück und beobachtete den Staubsturm, der draußen tobte. Er fühlte sich zerschlagen, und er schwitzte, obwohl er den ganzen Tag nichts getan hatte. Er entnahm den Anzeigen an der Instrumententafel, daß der Wind mit konstanten zweihundertfünfundzwanzig Stundenkilometern wehte, in Böen mit einer Geschwindigkeit von bis zu zweihundertneunzig Stundenkilometern. Ein hohes Kreischen war zu hören. Der Rover geriet jedoch nicht ins Schaukeln; er bewegte sich nicht, erbebte nicht einmal. Jamie wußte, daß die dünne Marsluft nur sehr wenig Kraft besaß. Mit seinen fast dreihundert Stundenkilometern war der Wind nicht stärker als ein laues Lüftchen von dreißig Stundenkilometern auf der Erde.

Toshima rief an und erkundigte sich nach der Lufttemperatur außerhalb des Rovers.

»Geht rauf«, meldete Connors überrascht. »Jetzt sind es fast zehn Grad plus.«

Toshima lächelte breit vom Bildschirm. »Die Reibung der Staubpartikel heizt die Atmosphäre auf. Es könnte Blitze geben.«

»Blitze?«

»Es wäre möglich. Vergewissern Sie sich, daß alle Geräte geschützt sind.«

Connors stieß genervt die Luft aus. »Alles ist unter Dach und Fach, nur die Kommunikationsantenne steht wie ein Blitzableiter draußen im Wind.«

»Sie ist doch geerdet, oder?«

»Sicher, aber wie viele Ampere werden diese Blitze haben?«

Toshima setzte eine ausdruckslose Miene auf. Jamie erkannte, daß er einfach schwieg, wenn er die Antwort auf diese Frage nicht wußte.

»Okay«, sagte Connors, »ich fahre die Antenne zwischen den Übertragungen ein.« Der Astronaut warf einen Blick auf die Digitaluhr an der Instrumententafel. »Ich rufe Sie in fünfundvierzig Minuten an, genau um fünfzehn Uhr.«

Der Meteorologe nickte.

»Wenn Sie eine dringende Nachricht für uns haben, kommen Sie über Sprechfunk oder die Computerverbindung. Deren Antennen liegen flach am Dach an. Wir können uns per Modem unterhalten, wenn es sein muß.«

»Ich verstehe.«

Connors verabschiedete sich und drehte sich dann zu der Schalterreihe links neben sich um. Durch das schrille Heulen des Windes hörte Jamie das leise Klicken eines Kippschalters, dann das Summen eines Elektromotors über ihnen.

»Die Antenne ist genau über dem Cockpit. Wenn sie einen Blitzstrahl anzieht, könnten wir gebraten werden.«

Das Summen des Elektromotors wurde zu einem schnarrenden Brummen.

»Mist, verdammter! Sie klemmt. Der Scheiß-Staub muß in die Gelenke geraten sein.« Connors betätigte mehrmals den Schalter. Seine sonstige Gelassenheit wich frustriertem Zorn. Der Motor winselte und mühte sich ab. Kopfschüttelnd sagte Connors: »Ist genau in der Mitte steckengeblieben. Den Satelliten erreichen wir damit nicht mehr, aber sie ragt immer noch so weit raus, daß sie einen Blitz anziehen kann. So ein verfluchtes, nutzloses Stück Schrott!« Er schlug mit der Faust auf die Tafel.

»Aber sie ist geerdet«, sagte Jamie, halb als Frage.

»Ja, aber wer weiß denn, wieviel Saft so ein marsianischer Blitz hat?«

Jamie schaute zu den dunklen Wolken hinaus, die am Cockpit vorbeiflogen, und sagte leise: »Wollen wir hoffen, daß wir’s nicht rausfinden müssen.«

»Möchte wissen, was der Staub sonst noch alles kaputtmacht, verdammt noch mal.«

Jamie merkte, wie seine Augenbrauen in die Höhe gingen.

»Die Räder, zum Beispiel«, schimpfte Connors. »Kann sein, daß wir zur Kuppel zurücklaufen müssen.«

Jamie sah den schwarzen Astronauten genauer an. Es sah Connors gar nicht ähnlich, daß er so verbittert herumjammerte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß. Seine Wangen wirkten eingefallen, seine blutunterlaufenen Augen lagen tief in den Höhlen.