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»Sie würden Ihr eigenes Leben und das derjenigen aufs Spiel setzen, die Sie mitnehmen«, sagte Li.

»Iwschenko wird sich mit Freuden freiwillig melden, Doktor. Dafür werde ich schon sorgen, keine Angst. Wir werden alle Sicherheitsvorschriften genauestens beachten.«

»Ich kann Ihnen jetzt nicht die Genehmigung dazu erteilen!«

»Ja, ich verstehe. Das ist Ihre Pflicht. Aber ich habe eine Verpflichtung meinen Kameraden gegenüber.«

»Besprechen wir das mit Kaliningrad.«

Wosnesenski hätte beinahe gelacht. »Bis die Flugkontrolleure die Sache ausdiskutiert haben, sind wir alle reif für die Pension — oder für unsere Beerdigung. Nein, das muß jetzt geschehen, nicht erst in zwei Tagen.«

Li fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Auf dem Kommunikationsbildschirm sah er für Wosnesenski auf einmal wie ein erschrockenes Kaninchen aus, das ihn anstarrte, bereit, sich mit ein paar Sätzen in Sicherheit zu bringen. Die beiden Männer sahen einander eine Weile wortlos an.

Schließlich sagte Li: »Viel Glück.«

* * *

Wosnesenski versammelte die elf Männer und Frauen in der Messe und gab seine Entscheidung bekannt.

»Iwschenko und ich fahren mit dem zweiten Rover zum Canyon und holen Watermans Team zurück. Wir werden drei Tage fort sein — höchstens vier.«

Die anderen schwiegen. Sie standen in einem lockeren Halbkreis vor dem Kosmonauten, sahen einander unsicher an, traten von einem Bein aufs andere. Ihr Blick war fragend.

Schließlich sagte Dr. Yang: »Sie sind nicht in der körperlichen Verfassung für eine solche Fahrt.«

»Es ist meine Pflicht«, sagte Wosnesenski. »Li und die Flugkontrolleure wollen uns in den Orbit evakuieren, bevor sie das Exkursionsteam zu retten versuchen. Ich habe anders entschieden. Ich muß fahren. Ich selbst.«

»Aber Sie sind immer noch krank«, wandte Yang ein. »Die Auswirkungen des Skorbuts werden noch viele Tage anhalten. Sie werden schwach und kraftlos sein …«

»Dimitri Josifowitsch wird die ganze Arbeit machen; ich werde lediglich den Ruhm einheimsen.«

Sie lachten nervös.

»Ich komme mit«, sagte Tony Reed.

»Sie? Nein.«

»Ich muß«, beharrte Reed.

»Es ist nicht erforderlich, daß Sie mitkommen«, meinte Wosnesenski. »Es ist ein unnötiges Risiko.«

Reed trat vor und blieb vor dem Russen stehen. »Es ist meine Pflicht, mitzufahren«, sagte er ruhig, »genauso wie Ihre.«

Wosnesenski schüttelte störrisch den Kopf. »Wir brauchen keinen Arzt an Bord des Rovers. Sie werden über Satellit mit uns in Verbindung stehen.«

»Verstehen Sie denn nicht?« brach es aus Reed hervor. Er drehte sich zu den anderen um. »Versteht ihr denn nicht? Es ist meine Schuld! Ihr seid alle durch meinen Fehler krank geworden! Ich habe das getan! Ich habe die Vitaminpillen verdorben. Und dann habe ich nicht erkannt, was mit euch los war.«

Es war das Schwierigste, was Antony Reed jemals in seinem Leben getan hatte. Die anderen starrten ihn überrascht an.

»Ich muß mitfahren«, flehte Reed und drehte sich wieder zu Wosnesenski um. »Jamie und die anderen … sie werden einen Arzt brauchen, wenn wir bei ihnen ankommen.«

Wosnesenskis Mund stand offen, als wollte er etwas erwidern, wüßte aber nicht, was er sagen sollte. Die anderen schauten verlegen drein; sie wußten nicht recht, was sie tun sollten.

»Er sollte mitfahren«, sagte Yang fest. »Er hat recht. Die vier im Rover werden sofortige ärztliche Betreuung brauchen, wenn Sie bei ihnen eintreffen.«

Wosnesenski strich sich über sein breites Kinn. »Ich verstehe.«

»Und Sie ebenfalls«, setzte Yang hinzu.

Der Russe grinste schwach. »Mein Leibarzt?«

Yang lächelte nicht zurück. »Wenn Sie darauf bestehen, diese Fahrt in Ihrem Zustand zu unternehmen, müssen Sie einen Arzt bei sich haben.«

»Also schön«, sagte Wosnesenski widerwillig.

»Danke!« sagte Reed. Er sah den Ausdruck auf Wosnesenskis Gesicht, auf allen Gesichtern. Er hatte mit Zorn oder vielleicht Abscheu über seine Dummheit gerechnet. Statt dessen schienen sie alle Mitgefühl für ihn zu empfinden, selbst die unter ihnen, denen es am elendsten ging. Sie werfen es mir nicht vor, erkannte Reed mit einer Aufwallung von Dankbarkeit, von der er fast weiche Knie bekommen hätte. Sie werfen es mir nicht vor!

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen Fehler zugegeben, hatte die Folgen seiner Handlungen akzeptiert, hatte den Männern und Frauen um sich herum seine Schuld eingestanden. Er hatte geglaubt, es wäre schmerzhafter, als sich selber den Bauch aufzuschlitzen. Und das war es auch. Aber er hatte den Schmerz überlebt. Wie ein Mann, der kurz vor dem Selbstmord steht, hatte er sich dem Schlimmsten gestellt, was er sich vorstellen konnte, und es heil überstanden.

Wosnesenski sank dankbar auf den nächsten Stuhl in der Messe. Seine Beine waren so schwach, daß er nicht mehr stehen konnte. Gut, daß ich während der ganzen Fahrt zum Canyon sitzen kann, sagte er sich. Ich hoffe nur, ich kann den verdammten Rover fahren, ohne wie ein kraftloses altes Weib doch noch zusammenzubrechen.

* * *

Jamie saß wieder im Cockpit. Joanna saß neben ihm. Connors hatte sich auf seiner Liege ausgestreckt und stöhnte leise im Schlaf. Ilona lag auf der Liege über der des Astronauten und versuchte ebenfalls zu schlafen. Keiner von ihnen hatte die Kraft gehabt, die Liegen wieder einzuklappen. Sie hatten ihr trübsinniges Frühstück auf den Rändern der unteren Liegen eingenommen und dabei den Kopf eingezogen, um nicht an die oberen zu stoßen.

»Vitaminmangel«, sinnierte Jamie. »Bei dieser Mission hätte alles mögliche schiefgehen können, aber wir kriegen ausgerechnet Skorbut. Da hat Murphys Gesetz mal wieder voll zugeschlagen.«

Joanna schien kaum wach zu sein, aber sie sagte: »Jetzt, wo wir wissen, was es ist, kommt es mir irgendwie nicht so schlimm vor. Es war das Unbekannte, das mir angst gemacht hat.«

»Wir können immer noch daran sterben, ob wir nun wissen, was es ist, oder nicht.«

Sie lächelte matt. »Du läßt uns nicht sterben, Jamie. Ich weiß es.«

Warum lädt sie mir diese Bürde auf, fragte er sich ein wenig ärgerlich. Aber laut sagte er zu ihr: »Jetzt können wir alle nicht viel anderes tun als warten.«

Joannas schwaches kleines Lächeln wurde ein wenig breiter, als wüßte sie etwas, das Jamie nicht wußte.

Die Kommunikationsanlage summte. Jamie legte den Schalter um, und Abells froschähnliches Gesicht erschien auf dem Bildschirm an der Kontrolltafel. Er war genauso blaß und hager wie die vier im Rover. Seine eingesunkenen Wangen ließen seine vorquellenden Augen noch mehr aus den Höhlen treten als sonst.

»Da kommt gerade eine Botschaft aus Kaliningrad für Joanna rein«, sagte Abell. »Ist sie auf?«

»Ich bin hier«, sagte Joanna und beugte sich vom Beifahrersitz aus so weit vor, daß Abell sie sehen konnte, obwohl die in die Kontrolltafel eingebaute Miniaturkamera auf Jamie gerichtet war.

»Oh, gut. Ich sage denen oben in der Mars 2, sie sollen sie direkt zu euch runterschicken.«

»Wie geht es euch?« fragte Jamie.

Abell drehte den Kopf hin und her. »Reed pumpt so viel Vitamin C in uns rein, daß ich mir vorkomme, als würde ich mich in einen Orangenhain verwandeln. Ich kann den Kopf schütteln, ohne daß mir schwummrig wird, aber ich fühle mich immer noch wie Hundefutter in Dosen.«

Jamie merkte, daß er selbst sich wie gegessenes Hundefutter fühlte. Und daß Abell ihn nicht fragte, wie es ihm ging.

»Dimitri und Ollie sind draußen und machen den zweiten Rover fertig. Mikhail läßt über die Bildfunkverbindung den Boss raushängen und macht ihnen das Leben schwer. Er ist zu schwach, um selber rauszugehen, und macht ihnen deshalb andauernd die Hölle heiß.«