»Sag mal, Dimitri Josifowitsch«, sagte Wosnesenski laut, wobei seine Stimme selbst in seinen eigenen Ohren rauh und angestrengt klang, »wie kommt es eigentlich, daß du so gut aussiehst?«
Der jüngere Mann warf ihm einen einigermaßen verblüfften Blick zu und konzentrierte sich dann rasch wieder aufs Fahren. »Meine Mutter ist Armenierin, falls du das meinst«, antwortete er.
»Ach, ich habe mich bloß gewundert. Ich dachte, du hättest vielleicht ein bißchen türkisches Blut in dir.«
Iwschenkos Nasenflügel blähten sich. »Nein. Armenisches.«
»Ich verstehe«, sagte Wosnesenski. »Und wie sieht’s mit deinem Liebesleben da oben im Orbit aus?«
Iwschenkos Grinsen kehrte zurück. »Passabel, Genosse. Sogar sehr passabel. Besonders wenn diese deutsche Ärztin sich bei ihrer Arbeit langweilt.«
»Diels? Die Blonde?«
»Sie führt eine sehr körperbetonte Therapie mit mir durch, bei der ich ganz neue Dinge lerne.«
»Das Streben nach Wissen hört niemals auf«, stimmte ihm Wosnesenski zu.
»Ja, es ist durchaus der Mühe wert.«
Wosnesenski lachte, aber dabei tat ihm die Brust weh. Sein Gelächter ging in Husten über.
»Ist es sehr schlimm, Mikhail Andrejewitsch?«
»Nein. Ich habe nur ein bißchen Schmerzen.«
»Sollen wir umkehren?«
»Nein!« donnerte Wosnesenski. »Wir fahren weiter. Ganz gleich, was passiert, wir fahren weiter.«
Stunden vergingen. Sie hielten kurz an und tauschten die Plätze, so daß Wosnesenski fahren konnte.
Iwschenko behielt ihn jedoch genau im Auge. Der jüngere Kosmonaut war keineswegs geneigt, seinem älteren Genossen zu erlauben, sie beide umzubringen.
»Bei Sonnenuntergang kannst du wieder übernehmen«, sagte Wosnesenski. Er fühlte, wie ihm der Schweiß aufs Gesicht trat, ihm die Rippen hinunterlief und den Rücken seines Overalls an den Sitz klebte.
»Willst du dann schlafen?«
»Ich werde es versuchen.«
»Nach den Sicherheitsvorschriften ist es verboten, mit dem Rover zu fahren, wenn kein Ersatzfahrer wach ist und das Steuer im Notfall übernehmen kann. Und bei Nacht zu fahren …«
»Ich kenne die Vorschriften sehr gut«, blaffte Wosnesenski. »Ich war einer von denen, die sie ausgearbeitet haben. Dies ist ein Notfall; wir werden die Regeln ein bißchen freier auslegen.«
»Ein bißchen«, murmelte Iwschenko.
Wosnesenski zeigte mit dem Daumen nach hinten. »Wenn du dich einsam fühlst, während ich schlafe, kann unser Arzt dir Gesellschaft leisten.«
Iwschenko machte ein mürrisches Gesicht.
Sie fuhren über die steinige Ebene nach Südosten, während die zwergenhafte Sonne zum zerklüfteten Horizont sank und jeder Stein in der kahlen Wüste lange, blutrote Schatten warf. Für Wosnesenski sahen die Schatten wie die dünnen Krallenhände von Toten aus, die nach ihm griffen.
Im mittleren Teil des Kommandomoduls spürte Tony Reed jeden Stoß, wenn der Rover über einen Stein oder durch eine Vertiefung holperte. Er saß auf der Bank und hielt sich mit beiden Händen an ihrem Rand fest. Das ist Wahnsinn, sagte er sich. Warum habe ich mir bloß eingeredet, daß ich mitkommen müßte? Um Buße zu tun? Für seine Sünden zu büßen ist ja gut und schön, aber das geht nun wirklich ein bißchen zu weit.
Doch er hielt den Mund und beklagte sich nicht, sondern versuchte nur, die Angst zu unterdrücken, die in ihm aufkeimte. Wir sind in diesem lächerlichen kleinen Vehikel draußen, mitten auf der leeren Marsebene. Wenn irgend etwas schiefgeht, was auch immer, sind wir alle tot.
Vorn im Cockpit summte die Kommunikationsanlage. Iwschenko schaltete sie ein, und Dr. Lis langes, bleiches Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Seine Mundwinkel waren nach unten gebogen, seine Augen sahen müde und besiegt aus.
»Ich habe den halben Tag mit Kaliningrad diskutiert«, sagte Li. Seine Stimme war ein heiseres Krächzen. »Die Flugkontrolle bleibt hart.«
Wosnesenski grunzte, fuhr jedoch weiter.
»Sie besteht darauf, daß die Mannschaft in der Kuppel in den Orbit evakuiert werden muß und daß danach erst ein Versuch unternommen werden kann, das Team im Rover zu retten.«
»Haben Sie denen gesagt, daß wir bereits zum Canyon unterwegs sind?«
Li schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe ihnen erklärt, daß wir weder mit ihrer Lagebeurteilung noch mit ihrer Entscheidung einverstanden sind.«
»Aber sie bestehen trotzdem darauf?«
»Ja.«
»Und was wollen Sie nun tun?«
Der Expeditionskommandant zupfte nervös an einer Spitze seines Schnurrbarts. »Es ist meine Pflicht, Ihnen den Befehl zu erteilen, umzukehren und zur Kuppel zurückzufahren, damit Sie die Anweisungen der Flugkontrolle ausführen können.«
»In Ordnung«, sagte Wosnesenski. »Sie haben Ihre Pflicht getan.« Er langte über die Kontrolltafel hinweg und schaltete die Kommunikationsanlage aus. Dann brachte er den Rover langsam zum Stehen.
Iwschenko sah ihn besorgt an. »Willst du jetzt umkehren?«
Wosnesenski stieß einen tiefen, gequälten Seufzer aus. »Red keinen Unsinn. Du fährst die nächsten zwei Stunden, während ich ein Schläfchen mache. Wenn wir die Nacht durchfahren, können wir morgen mittag am Rand des Canyons sein.«
Oliver Zieman blickte auf den Kommunikationsbildschirm.
Er saß allein in der Kommandosektion der Kuppel; die meisten anderen lagen krank in ihren Kabinen. Dr. Yang war im Krankenrevier und führte noch weitere Tests durch. Zieman kratzte sich am Kopf und dachte in aller Eile nach. Er hatte nicht mit einer Führungskrise gerechnet.
Dr. Lis Gesicht auf dem Bildschirm sah schmerzerfüllt und zerquält aus. Er muß seine ganze Zeit im Kommandomodul verbringen, dachte Zieman. Anscheinend lebt er dort, Tag und Nacht. Er sieht fast so schlimm aus wie die Skorbutfälle.
»Wir stehen vor einer sehr schwierigen Situation«, sagte Li zu dem Astronauten, »und ich will sicher sein, daß Sie sich über alle Implikationen vollständig im klaren sind.«
»Ja, Sir«, sagte Zieman beinahe eifrig.
»Die Flugkontrolle hat Anweisung gegeben, die Kuppel zu räumen und das gesamte Basisteam wieder in der Orbit heraufzuholen«, sagte Li.
»Aber das Team im Rover …«
Li hob einen langen, schlanken Finger, um den Astronauten zum Schweigen zu bringen. Er fuhr fort: »Kaliningrad argumentiert, daß wir zuerst an die Gesundheit und Sicherheit der Mehrheit denken müssen.
Die Flugleitung ist bereit, die Basis aufzugeben und die gesamte Besatzung in der Kuppel zu evakuieren.«
Zieman überlegte rasch. Das bedeutet, daß ich sie in die L/AVs verfrachten muß. Acht Personen, mich eingerechnet. Wer, zum Teufel, soll die zweite Fähre fliegen? Mironow und Abell sind nicht in der Verfassung dafür, und Dimitri ist mit Wosnesenski und Reed unterwegs.
»Wenn das Kontingent aus der Kuppel sicher im Orbit ist«, sprach Li weiter, »und wir alle Astronauten und Kosmonauten hier haben, können wir mit dem letzten Abstiegs- und Aufstiegsfahrzeug versuchen, die vier im Rover zu retten.«
»Dann wollen Sie, daß Wosnesenski zurückkommt«, sagte Zieman.
»Ich habe es ihm befohlen. Er hat sich geweigert.«
Geweigert! Ein brennender Strahl der Angst durchzuckte Zieman. Man kann sich nicht weigern, Befehle auszuführen! Das ist verrückt! Die ganze Mission könnte scheitern, wenn wir Befehle nicht befolgen.
Li wartete einen Moment, bis seine Worte zu Zieman durchgedrungen waren. Dann sagte er: »Wosnesenski hat mir die Hände gebunden. Ich kann nicht den Befehl zur Evakuierung der Kuppel erteilen, wenn es dort nur einen gesunden Astronauten gibt. Ich kann Tolbukhin und Klein nicht zu euch hinunterschicken, weil ich dazu den letzten verbliebenen Lander einsetzen müßte. Das würde bedeuten, daß wir das Team im Rover endgültig aufgäben.«