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»Stop!« brüllte Wosnesenski. Iwschenko rammte seinen gestiefelten Fuß so hart auf die Bremse, daß sie beide gegen die Kanzel geprallt wären, wenn Wosnesenski nicht darauf bestanden hätte, daß sie Sicherheitsgurte anlegten. Tony Reed, der hinter Wosnesenskis Sitz stand, knallte mit einem schmerzerfüllten Grunzen gegen die Lehne.

Der Grand Canyon des Mars erstreckte sich vor ihnen. Sein Rand lag kaum zwanzig Meter vor der Nase des Rovers. Iwschenko fiel das Kinn herunter, und er starrte mit offenem Mund nach vorn. Seine Brust hob und senkte sich.

»Du meine Güte!« stieß Reed hervor.

»Davor wollte ich dich warnen«, sagte Wosnesenski ruhig. »Was auf den ersten Blick wie der Kamm einer weiteren Hügelkette aussieht, ist in Wirklichkeit der Rand des Abgrunds.«

»Das … das hättest du mir sagen müssen.«

Wosnesenski stieß einen müden Seufzer aus, wie ein Lehrer, der von einem Schüler enttäuscht ist.

Nebel füllte den Canyon aus, wogte sanft in der Morgensonne und wirkte so dicht, daß man fast glaubte, darauf laufen zu können. Vom Innern des Cockpits aus konnten sie den Boden der Schlucht nicht sehen; er war bei weitem zu tief unten, selbst wenn die Luft völlig klar gewesen wäre. Rechts und links von ihnen erstreckten sich die Felswände bis zum Horizont, Festungsanlagen aus rotem Stein, geformt von unzähligen Jahrmillionen der Verwitterung, hoch und stolz. Wosnesenski schaute geradeaus über den Canyon hinweg und glaubte, die zerklüfteten Konturen der gegenüberliegenden Wand ausmachen zu können; sie zitterten undeutlich in der dunstigen Ferne. So weit weg.

»Ich sehe den Hang der Rutschung nicht«, sagte Reed.

»Ich auch nicht. Wir müssen während der Nacht vom Kurs abgekommen sein. Ich werde unsere Position bestimmen. Dimitri Josifowitsch, du nimmst Kontakt mit der Basis auf und erzählst ihnen, daß wir den Canyon erreicht haben — ohne hineinzufallen.«

Vor sich hinbrummelnd, beugte Iwschenko sich ein bißchen vor, um an die Schalter der Kommunikationsanlage heranzukommen. Er sah das leise Grinsen auf dem Gesicht seines Vorgesetzten nicht.

Eine Viertelstunde später hatten sie ihre Position mit Hilfe der Ortung eines der um den Planeten herum verteilten Navigationssatelliten genau bestimmt und waren auf dem Weg zum Rand der Rutschung, die rund fünf Kilometer westlich von ihnen lag.

Wosnesenski saß beinahe entspannt auf dem rechten Sitz. Iwschenko war fast die ganze Nacht hindurch gefahren, hatte ein paar Stunden geschlafen und fuhr nun wieder. Er wirkte frisch; seine Reflexe waren gut. Mikhail selbst fühlte sich nur wenig besser; er war immer noch schwach und hatte nach wie vor Schmerzen; während der Nacht hatte er so gut wie gar nicht geschlafen.

Der Körper beeinflußt den Geist, sagte er sich, während sie mit zwanzig Stundenkilometern über die von Felsblöcken übersäte rote Landschaft krochen. Wenn man Schmerzen hat, wird man müde, gerät leicht durcheinander und verzweifelt rasch. Das darf ich nicht vergessen. Ich muß dafür sorgen, daß ich einen klaren Kopf behalte, ganz gleich, wie es mir körperlich geht.

»Ich glaube, ich sehe ihn.«

Iwschenkos Worte rissen Wosnesenski aus seinen Grübeleien. Sein Blick folgte dem Zeigefinger des Piloten, und durch den morgendlichen Dunst sah er so etwas wie einen großen, in die Felswand geschnitten Halbkreis, von dessen Rand sich ein rostroter Hang bis zum Grund des Canyons tief unten hinunterzog.

»Ja, das muß er sein.«

Während Wosnesenski ihre Position auf dem Navigationsbildschirm überprüfte, sagte Iwschenko: »Du willst diesen Hang doch nicht etwa hinunterfahren, oder?«

»Wir sind hergekommen, um das Team im anderen Rover zu retten«, erwiderte Wosnesenski. Der Navigationsschirm zeigte, daß sie im richtigen Gebiet waren. Der steckengebliebene Rover befand sich ungefähr auf zwei Dritteln des Weges die alte Lawine hinunter.

»Genosse Kosmonaut«, sagte Iwschenko, »was würde es uns nützen, wenn wir selbst neben ihnen steckenblieben?«

»Was schlägst du vor?« knurrte Wosnesneski. Er spürte plötzlich Ungeduld mit seinem Begleiter.

»Ich schlage vor«, sagte Iwschenko, wobei er die letzten beiden Worte ironisch betonte, »daß wir am Rand des Canyons anhalten und sie zu Fuß zu uns heraufkommen lassen. Das ist am sichersten.«

»Und wenn sie zu schwach dazu sind?«

Der Kosmonaut kaute auf der Unterlippe. Wosnesneski wartete auf seine Antwort und dachte: Wenn er sagt, daß wir zur Kuppel zurückkehren sollten, ohne dort hinunterzufahren und sie zu holen, werfe ich ihn ohne Anzug aus der Luftschleuse.

»Wenn sie zu schwach dazu sind«, sagte Iwschenko langsam, »dann werden wir wohl zu Fuß hinuntergehen und ihnen helfen müssen.«

»Wir?«

»Doktor Reed und ich«, sagte Iwschenko. »Du solltest hier im Rover bleiben, Mikhail Andrejewitsch.«

Wosnesenski wurde es warm ums Herz. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Bravo, Dimitri Josifowitsch! Tapfere Worte! Aber ich habe eine viel bessere Idee.«

Das will ich hoffen, dachte Tony Reed. Keine zehn Pferde bringen mich da hinaus!

SOL 40

MITTAG

Jamie drehte an dem geriffelten Rädchen am Fernglas; die wellige Sandfläche wurde scharf.

»Es muß ein alter Krater sein, der sich mit Staub gefüllt hat«, sagte er ebenso zu sich selbst wie zu den anderen, die sich im Cockpit drängten.

»Warum weht der Wind den Staub nicht weg?« fragte Joanna.

Er stellte das Fernglas ab. Sie saß neben ihm auf dem rechten Sitz. Ihr Gesicht war blaß, ihr Haar verfilzt und matt. Ihr Atem stank. Genau wie meiner, sagte sich Jamie. Wie der von uns allen.

Connors, der abgerissener denn je aussah, hockte auf dem Boden zwischen den beiden Sitzen. Sein Overall war zerknittert und hatte dunkle Schweißflecken. Ilona stand hinter ihm und stützte sich müde auf die Lehnen der Sitze. Sie wirkte ebenfalls ungepflegt; wie Joanna hatte sie nicht mehr die Kraft, sich die Haare zu kämmen. So krank und erschöpft sie jedoch waren, sie konnten es alle kaum erwarten, den ersten Blick von Wosnesenskis Rover zu erhaschen.

»Ich glaube nicht, daß der Wind genug Kraft hat, den Krater freizuräumen. Die Luft ist zu dünn, selbst wenn er mit zweihundert Knoten bläst. Der Krater hat sicherlich steile Wände. Wahrscheinlich stammt er von einem Meteoriten, der fast senkrecht heruntergekommen ist.«

»Der Wind kann den Krater allmählich mit Staub füllen«, mutmaßte Joanna, »aber wenn er einmal voll ist, dann bleibt er auch voll.«

»Genau«, sagte Jamie. Wir reden hier von Jahrmillionen, setzte er stumm hinzu. Nichts geht schnell auf dem Mars. Wenn wir in einer Million Jahre zurückkommen, steht der Rover höchstwahrscheinlich immer noch hier.

Er hob das Fernglas wieder an die Augen. Wenn der merkwürdig gewellte Sand die Kraterfläche repräsentierte, dann hatte der Krater einen Durchmesser von über einem Kilometer. Jamie konnte seinen Rand deutlich sehen, einen großen Kreis, wo die kleinen Wellen aus rotem Sand endeten und der Boden stärker mit Steinen und Felsbrocken übersät war.

Er erinnerte sich, daß er mit Naguib über die Häufigkeit solcher mit Staub gefüllten Krater diskutiert hatte. Der Ägypter nannte sie ›Geisterkrater‹ und glaubte, daß die Landschaft selbst dort von ihnen gespickt war, wo der Boden relativ eben wirkte. Jamie war anderer Meinung gewesen. Aber Abdul hat recht gehabt; wir sind in einen Geisterkrater gestürzt. Ich hätte den Unterschied in der Bodenbeschaffenheit merken müssen, tadelte sich Jamie. Ich hätte dieses Gebiet umfahren müssen. Wenn ich nur besser aufgepaßt hätte …

»Da sind sie!«

Joanna zeigte eifrig hin. Ihr blasses Gesicht verzog sich auf einmal zu einem Lächeln.

Jamie folgte ihrem ausgestreckten Arm und erblickte den Rover, der sich über den Kamm des Hangs schob. Er sah wie eine dicke, silberne Raupe mit einem großen, glänzenden, knolligen Kopf aus, die in ihre Richtung kroch.