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Brumado rang die Hände. »Joanna sitzt im Rover fest, und sie sind alle krank. Anscheinend haben sie eine Art Vitaminmangel-Krankheit bekommen.«

»Du lieber Gott!« hauchte Edith. »Wie schlimm ist es?«

»Das weiß ich ja eben nicht. Ich wollte mit Joanna sprechen, aber sie hat sich geweigert, mit mir zu reden.«

»Geweigert? Warum?«

»Ich weiß es nicht!« erwiderte er gereizt.

Ediths Gedanken rasten. Dann muß Jamie auch krank sein. Er sitzt dort draußen in der Wüste fest und ist krank. Stirbt vielleicht sogar. Und all diese Reporter, die sich im Foyer versammeln. Wie Geier, die über einem verletzten Tier kreisen.

»Und das Projekt will trotzdem eine Nachrichtensperre aufrechterhalten?« fragte sie.

Brumado nickte. Sein Gesicht war ein Bild des Jammers. »Meine Kleine stirbt da draußen, und sie will nicht einmal mit mir sprechen.«

»Alberto — das mit der Nachrichtensperre wird nicht funktionieren. Die Reporter wissen schon, daß etwas Großes im Gange ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand auspackt, und dann wird hier die Hölle los sein.«

Seine tiefen, dunklen Augen richteten sich auf sie, als sähe er sie zum ersten Mal. »Du willst die Story bringen, ist es so?«

»Wenn ich es nicht mache, tut es jemand anders.«

»Unsere Abmachung — gilt sie für dich nicht mehr?«

»Verstehst du das denn nicht, Alberto? Das ist meine große Chance. Und deine.«

»Meine?«

»Du bist die Seele des Marsprojekts. So nennen dich alle, stimmt’s? Also, jetzt es ist an der Zeit, daß du vor diese Kameras trittst und der Welt erzählst, was da oben auf dem Mars vor sich geht. Erzähl es auf deine eigene Weise. Du mußt jetzt der Sprecher des Projekts sein, das Bindeglied zwischen ihm und dem Rest der Welt.«

»Ich kann nicht … die Projektleitung würde das niemals erlauben. Die haben ihre eigenen Pressestäbe, ihre eigenen Sprecher …«

Edith schüttelte ihre goldenen Locken. »Du mußt es tun, Alberto. Alle Welt kennt dich und vertraut dir; die Leute sehen dich seit über dreißig Jahren im Fernsehen. Du wirst respektiert wie der gute alte Walter Cronkite, Herrgott noch mal. Du mußt dich den Reportern stellen.«

Er stand vom Bett auf und ging zum Fenster mit den zugezogenen Vorhängen hinüber.

»Du kannst der Welt ruhig sagen, was vorgeht, Alberto. Sag es auf deine Art, auf die richtige Art. Sonst sickert immer mehr durch, die Reporter kriegen Tips, hören hier und dort etwas, und dann senden sie irgendwann ihre eigenen Hypothesen und Vermutungen. Es wird ein Fiasko werden, ein Eins-A-Mega-Debakel für das Marsprojekt. Jeder Feind, den das Projekt jemals gehabt hat, wird im Fernsehen auftreten und ein Riesengeschrei veranstalten. Du weißt, wie die arbeiten. Wenn du nicht vor die Kameras trittst, und zwar verdammt schnell, werden sie es tun.«

»Aber meine Tochter …«

»Tu’s für sie!« fauchte Edith. »Willst du, daß sie da oben stirbt, während die Leute hier unten sagen, daß die Erforschung des Mars ein einziger großer Fehler war? Eine ungeheure Geldverschwendung?«

»Ich weiß nicht, ob ich das kann.«

»Niemand sonst kann es.«

Er hatte ihr immer noch den Rücken zugekehrt. Nun zog er den Vorhang vor dem Fenster ein kleines Stück auf. »Mein Gott, da unten stehen drei Ü-Wagen auf dem Parkplatz — und da kommt gerade noch einer.«

»Jemand hat ihnen bereits gesteckt, was los ist«, sagte Edith.

Brumado drehte sich wieder zu ihr um. Seine Miene war grimmig und skeptisch. »Ich könnte Kaliningrad anrufen. Wenn sie keine Einwände gegen deinen Plan haben …«

»Ob sie welche haben oder nicht, du mußt es tun.

Offiziell gehörst du nicht zum Projekt. Sie können dir keinen Maulkorb anlegen.«

Er machte ein Gesicht, als wollte er widersprechen, ging jedoch statt dessen zum Telefon.

»Ich gehe runter und sage den Leuten im Foyer, daß du mit ihnen sprechen wirst«, sagte Edith.

Brumado blickte zu ihr auf, zögerte einen Sekundenbruchteil und nickte dann unglücklich.

Edith ging auf den Flur hinaus und lenkte ihre Schritte zum Fahrstuhl. Es ist das Richtige, sagte sie sich immer wieder. Ob es mir hilft oder nicht, es ist das Richtige. Und vielleicht komme ich zu Jamie durch. Vielleicht lassen sie uns mit ihnen reden, wenn wir die Story gebracht haben.

SOL 40

SONNENUNTERGANG

Das Thermometer in dem Instrumentenblock, der in Jamies linken Ärmel eingesetzt war, zeigte vierzig Grad unter Null. Er hätte beinahe gelächelt. Das ist die einzige Temperatur, bei der sich die Celsius- und die Fahrenheit-Skala treffen: Vierzig Grad unter Null sind vierzig Grad unter Null, in beiden Systemen. Kalt, ganz gleich, wie man es betrachtet.

Die Sonne hatte soeben den zerklüfteten Horizont berührt und warf ungeheuer lange Schatten über den unebenen, steinigen Boden. Jamie sah seinen eigenen, unglaublich langgezogenen Schatten, der sich weit nach vorn erstreckte. Aber auch nicht annähernd weit genug.

Er hatte sich um den gewellten Sand herum vorwärtsgekämpft, der verriet, wo der im Staub begrabene Krater lag. Als er sich umdrehte, um einen Blick auf die winzige, leblose Sonne zu werfen, sah er auch seinen eigenen, zu zwei Dritteln im roten Staub versunkenen Rover. Er war enttäuschend nahe. Jamie schleppte sich seit über einer Stunde um den Rand des Kraters herum, aber es kam ihm so vor, als hätte er den Marsch zu dem zweiten Fahrzeug gerade erst angetreten.

Das Kabel zog sich von dem Anschluß an seinem Geschirr nach hinten zu dem teilweise begrabenen Rover. Meistenteils lag es auf der gekräuselten Sandfläche. Je weiter ich um den Krater herumgehe, desto mehr Kabel wird auf dem Sand liegen, sagte sich Jamie. Das sollte eigentlich keine Probleme geben. Ich glaube nicht, daß es welche geben wird. Dürfte überhaupt kein Problem sein. Das Kabel wird nicht in dem verdammten Sand versinken. Und selbst wenn, können wir es mit der Winde spannen, falls ich zu Wosnesenskis Rover komme. Nicht falls. Wenn. Wenn.

Er ging weiter. Selbst wenn er sich umdrehte, bewegten sich seine Beine weiterhin auf sein Ziel zu: diesen zweiten Rover, in dem Wosnesenski, Reed und Iwschenko auf ihn warteten.

Es wurde dunkel. Und kalt. Jamie Beine fühlten sich gummiartig und schwach an. Kälte saugt einem die Kraft aus. Ich muß weitergehen.

Er marschierte in dem langsamen, stetigen Tempo, das er von seinem Großvater gelernt hatte, als sie oben in den Bergen Maultierhirsche gejagt hatten. »Sieh einfach nur zu, daß du den richtigen Rhythmus findest«, hatte Al immer gesagt, »dann kannst du den ganzen verdammten Tag lang gehen, kein Problem. Liegt alles am Rhythmus. Immer mit der Ruhe. Keine Eile. Der Hirsch läuft nicht sehr weit. Du kannst ihm nachgehen, bis er erschöpft ist und dir praktisch vor die Füße fällt.«

Ja. Richtig, Großvater. Wenn man gesund ist. Wenn man all seine Vitamine gekriegt hat. Wenn man richtige Luft atmet, und wenn es draußen nicht vierzig Grad unter Null sind und das Thermometer rasch noch weiter sinkt.

Es wurde so dunkel, daß er den Boden nicht mehr sehen konnte. Jamie langte nach oben und schaltete die Lampe an seinem Helm ein. Ich will nicht aus Versehen in den Sand treten. Wie es Golfspielern wohl hier auf dem Mars gefallen würde? Zwei Kilometer breite Sandmulden. Keine Wassergräben. Vielleicht sollten wir nächstesmal einen Satz Schläger mitbringen. Könnte einen richtigen Touristenboom auslösen.

Machen Sie Urlaub auf dem Mars. Besteigen Sie den höchsten Berg des Sonnensystems. Trinken Sie ein Glas Mars-Perrier. Setzen Sie Ihren Stiefelabdruck dorthin, wohin noch niemand den Fuß gesetzt hat.

»Jamie! Haben Sie mich gehört?«

Wosnesenskis gebieterische Stimme riß Jamie ruckartig aus seinen Träumereien. »Was? Was haben Sie gesagt?«